Die Weltsynode ist in ihrer letzten Arbeitswoche, es geht um das Schlussdokument. Was kann dabei überhaupt herauskommen? Und lässt sich diese Kirche damit noch bewegen? Feinschwarz-Redaktor Daniel Bogner spricht darüber mit Helena Jeppesen-Spuhler, europäische Delegierte und eine der wenigen Frauen mit Stimmrecht.
Helena Jeppesen ist schwer beschäftigt. Pressearbeit, Versuche, innerhalb der Synodalen Kontakte zu pflegen und Absprachen zu treffen – nachher steht ein Treffen mit einem deutschen Bischof an. Aber sie ist sofort zum Gespräch bereit. In der kleinen Küche ihrer römischen Unterkunft sind wir online zum Gespräch verabredet.
Hallo nach Rom! Wie fühlen Sie sich nach über drei Wochen Synode?
Es ist schon sehr anstrengend gewesen bisher, weil ich in vier verschiedenen Gruppen gearbeitet habe – zu unterschiedlichen Fragen und in verschiedenen Sprachen, zuerst in Italienisch, dann in Englisch. Und dann war ich meist alleine als Frau darin, in der letzten Gruppe auch als einzige Laiin, unter lauter Bischöfen, die fast alle recht konservativ waren. Da kommt es dann sehr auf die Moderation an – die war glücklicherweise gut.
Die Weltsynode ist ja eigentlich eine Bischofssynode – die jetzt um einige Laien und ein paar Frauen erweitert wurde. Aber die Mehrheitsverhältnisse sind völlig eindeutig, und vor allem der Kontext ist doch sehr bischöflich-klerikal. Wie fühlt man sich da als Frau?
Eigentlich fühle ich mich nicht so schlecht. Es ist auf jeden Fall eine historische Sache und wir Frauen sind nicht nur die Dekoration, das merkt man schon ganz klar. Wir werden, im Rahmen des Möglichen, vom Synodensekretariat als gleichberechtigt behandelt. Es wird sehr genau auf Minderheitenmeinungen geachtet. Es ist ein Stück Pionierarbeit, das spürt man.
Es wird sehr genau auf Minderheitenmeinungen geachtet.
Was bei solchen Versammlungen herauskommt, hängt stark von Kontakten und Absprachen ab. Ist es so, dass die Bischöfe besser vernetzt sind und dadurch einen Vorteil haben in den Debatten?
Eigentlich müsste es so sein – aber ich sehe es nicht. Die Lateinamerikaner zum Beispiel haben einerseits viel Vorarbeit gemacht, aber sie sind auch in sich wiederum unterschiedlich. Es ordnet sich eher regional, auch nach Themen, nach Interessen, nach Bekanntschaft vielleicht auch, nicht unbedingt nach dem Unterschied Klerus – Laie oder Laiin. Und auch unter den Laien gibt es zum Teil Personen, die extrem reformkritisch unterwegs sind.
Das heißt, es gibt eher einen Mangel an Vernetzung. Für ein solches Ereignis ist das ein Problem, oder?
Ja, auf jeden Fall. Wir bekommen Mittwoch (d.i. heute) den Entwurf für das Schlussdokument vorgelegt, im Plenum. Und dann bleiben zwei Tage, um das zu bearbeiten und zu einer Beschlussfassung zu kommen, das ist wirklich eine Herausforderung. Ich weiss noch nicht, wie das gehen soll. Es bräuchte viel mehr Absprache, Austausch, Vernetzung im Umfeld dieser Beratungen hier. Darauf ist in der Kirche offenbar noch keiner so richtig eingestellt.
Was heißt das konkret?
Naja, wenn der Schweizer Bericht im Vorfeld etwa festhält: „Wir treten für den Diakonat der Frau ein“ – dann muss man doch eine Strategie haben, wie man das erreichen und in Gesprächen weltkirchlich voranbringen möchte. Dann muss ich schauen, wo gibt es andere, die dem gegenüber aufgeschlossen sind. Und die gibt es ja, auch bei Bischöfen und Kardinälen, und zwar aus allen Erdteilen! Wenn man etwas verändern möchte, dann muss man dafür etwas tun – sich kurzschließen, sich austauschen, Verbündete suchen, für Ideen und Überzeugungen werben. Wenn ich Ende November in der Schweizer Bischofskonferenz berichten werde über diese Versammlung, werde ich dort fragen: Was tun wir denn konkret dafür, dass die Schweizer Positionen auch Gehör finden? Die Deutschen sind da viel strategischer, weil deren Bischöfe vom Synodalen Weg her gewohnt sind, so zu denken. Die Bischöfe müssen sich überlegen, wie sie die Positionen weltkirchlich besser ins Spiel bringen. Wir müssen noch viel mehr tun, um die Kommunikation über die Synode in der Schweiz zu verstärken, um die Bischöfe und die Basis zu motivieren, den Ball aufzunehmen und weiterzuspielen, damit wir im Herbst 2024 weiter sind. Das ist der Sinn der zirkulären Struktur. Und wir müssen im Herbst 2024 dann auch in der Lage sein, den Weg selber weiterzugehen.
Was die meisten Bischöfe nicht können, ist strategisch zu denken.
Oft wird ja kolportiert, solche Reformanliegen wie der Zugang der Frauen zu den Weiheämtern seien westeuropäische Anliegen, vielleicht sogar exklusive Lobbyinteressen der deutschen oder Schweizer Kirche. Spürt man solche Einschätzungen in Rom?
Nein, das empfinde ich nicht so. In Frankreich gibt es auch solche Stimmen, auch in Polen, den USA, auch in Afrika und in Lateinamerika sowieso. In vielen Gruppen und außerhalb der Aula wurde der Frauendiakonat und der Zugang der Frauen zu den Weiheämtern diskutiert, nicht nur in der Gruppe, die sich explizit damit befasst hat. Es ist einfach ein Thema, und keineswegs nur ein europäisches. Das große Problem ist, dass es über diese faktischen Übereinstimmungen weltweit gar kein richtiges Gespräch und keinerlei Austausch gibt. Und dann kann auch nicht passieren, wofür es vielleicht der Sache nach durchaus Spielräume gäbe.
Was erwarten Sie vom Abschlussdokument, das zum Ende der Woche ja verabschiedet werden soll?
Ich erwarte, dass wir ganz konkrete Schritte vorschlagen können – etwa zur verbindlichen Partizipation und Rechenschaftspflicht, nach oben in der Hierarchie und gegen unten an die Basis, und zum Zugang der Frauen zu den Weiheämtern. Dass damit die Richtung klar wird, in die es dann gehen kann. Ich fände das ganz wichtig. Wenn man sieht, wie gut auch im Plenum zu den Punkten etwa unserer Gruppe zur Rolle der Frau gesprochen wurde, dann steht es jetzt einfach an weiterzugehen. Ich erinnere mich an beeindruckende Statements, etwa von einer Ordensfrau aus Bagdad, einer Nonne aus Syrien zu diesen Fragen. Da ist Vieles reif und das sollte in dem Dokument zum Ausdruck kommen.
Man kann also nicht sagen, dass solche Positionen als europäischer theologischer Kolonialismus wahrgenommen würde?
Nein, wirklich überhaupt nicht! Es ist oft einfach eine Frage der Machtasymmetrie: Ich selbst bin frei in dem, was ich sage. Mir passiert nichts, egal, wie ich mich äußere. Das gilt für andere Frauen nicht, die in einer viel engeren kirchenamtlichen Abhängigkeit arbeiten. Und die kommen dann oft zu mir und sagen: Du musst reden, sag es offen – wir können das nicht so, aber wenn Du voran gehst, können wir uns einklinken. Wenn sich nicht alle gleichermaßen deutlich äußern, hat das oft diese Gründe, es liegt aber nicht daran, dass die Anliegen, die ja eine Veränderung und auch eine Überwindung des Status quo wären, nicht geteilt würden.
Mir wird gesagt: Du kannst offen reden – wir können das nicht!
Der Vorwurf an die Synode lautet ja: Vielleicht bewegt sich etwas bei den unmittelbar Beteiligten. Aber es müssten sich doch die Regeln und Strukturen ändern, damit eine aufbrechende Dynamik auch nachhaltig spürbar wird.
Vollkommen richtig, und wir sind hier auch dabei, dafür noch mehr einzufordern. Ein Problem ist zum Beispiel schon, dass es bei den Laien eine Art Vorprüfung gab, man musste schon eingebunden gewesen sein in nationale oder kontinentale synodale Prozesse – aber dann werden Bischöfe delegiert, die bisher mit alldem nichts zu tun hatten und jetzt halt mal schauen. Das geht einfach nicht. Ich hoffe, das Schlussdokument gibt uns eine Handhabe, die es uns ermöglicht, vor Ort, in unseren Ortskirchen und Ländern nachher konkret etwas einfordern zu können, weil einfach ein Standard gesetzt ist. Und dann ist klar, dass nachher das Kirchenrecht verändert werden muss. Ich hoffe, dass wir diesen Anspruch jetzt in den letzten Tagen auch noch hineinbekommen in das Schlussdokument.
Kommt das Ganze nicht viel zu spät, zumindest für Europa und auch andere? Ein synodaler Stil, der Appell an die Haltung, sich zuzuhören – das ist doch eigentlich etwas Selbstverständliches für jeden Dialog und es ist schon seltsam, dass die Kirche das extra einüben muss.
Ja, das stimmt. Ich denke aber nicht, dass diese Synode jetzt eine reine Luftblase bleibt. Es gibt einfach zu viele, die wirklich etwas verändern wollen. Zum Beispiel die Lateinamerikaner: Die gehen auf die Barrikaden, wenn hier nichts wirklich Neues kommt. Die haben sogar Angst, dass es zurück geht. Ich würde sagen, 90 Prozent der lateinamerikanischen Teilnehmenden hier sehen das so. Von den kontinentalen Ortskirchen sind die Lateinamerikaner am weitesten, vor den Europäern, einfach weil sie schon auf ihrem Kontinent am meisten vorgearbeitet haben, und dann hatten sie die Erfahrung der Amazonas-Synode. Und sie nehmen die Sache hier extrem ernst und haben einen guten Draht zu Franziskus. Da ist schon Musik drin und ich bin gespannt, wie es ausgeht.
Die Synode wird keine Luftblase bleiben. Weil so viele wirklich etwas verändern wollen.
Gibt es denn eine starke Präsenz der explizit Konservativen und der Reformgegner auf dieser Synode?
Ich nehme das nicht so wahr. Auf der Amazonassynode und in deren Umfeld waren diese Netzwerke sicher viel präsenter und aktiver. Vielleicht entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, da tut sich ja kaum was. Es kommt nicht rüber, wie die Debatten hier wirklich laufen. Zum Beispiel wurde gesagt, es sei im Plenum nur über den Diakonat der Frau geredet worden, nicht über den Zugang zu allen Ämtern. Das stimmt aber einfach nicht! Das wurde von mehreren wiederholt zum Thema gemacht.
Schauen wir auf die mögliche Wirkung dieser Synode und ihrer Debatten. Auch bei bestmöglichem Ausgang: Kann das denn irgendeinen Einfluss haben auf die Abwendung der Menschen von Kirche und Glaube – etwa in Deutschland und der Schweiz?
Ich denke das eigentlich nicht, zumindest nicht in größerem Ausmaß. Es kommt einfach zu spät. Aber das heißt nicht, dass wir nicht in dieser Richtung weitergehen sollten, und zwar weil es der richtige Weg ist. Es gibt eine Trendwende und einen Kulturwandel. Der Stein ist ins Rollen gekommen – auch wenn es sehr, sehr spät kommt aus meiner mitteleuropäischen Sicht. Aber nach dieser Synode wird es kaum mehr möglich sein, solche Synoden in der traditionellen Weise abzuhalten, dass also exklusiv Bischöfe teilnehmen. Es ist ein neuer Standard gesetzt. Das ist schon etwas.
Der deutsche Synodale Weg war ein starker Versuch von Seiten einer Ortskirche, diesen Anspruch der Synodalität konkret umzusetzen. Weltkirchlich wurde das scharf kritisiert, aus Polen oder Skandinavien zum Beispiel, aber auch vom Vatikan. Wie schaut man jetzt bei der Weltsynode auf diesen Weg?
Es gibt eine breite Unterstützung und auch Anerkennung für diese Vorarbeiten. Viele sagen: Die Deutschen haben einen guten Job gemacht, weil sie in die Hand genommen haben, dass sie etwas aus dem Missbrauch lernen müssen. Und es sind gute theologische Dokumente herausgekommen, die der ganzen Weltkirche dienen. Das haben mir zum Beispiel auch afrikanische Bischöfe gesagt. Wir sollten, wo wir solche Offenheit sehen, endlich diese Leute zusammenbringen, damit sie sich austauschen können und dann gemeinsam etwas machen. Das ist eigentlich das ganz große Desiderat, das sich hier auftut. Wer etwas verändern will, muss sich mit anderen zusammentun. Man kann nicht nur von Weltkirche reden, man muss sie konkret tun!
Und die Theologie? Es gibt ja diese Gruppe theologischer Expert:innen, die zumindest von den Kleingruppen beratend hinzugezogen werden können. Funktioniert das überhaupt?
Das ist ein ganz wichtiges Thema und das müsste im Nachfeld dieser Synode unbedingt nochmals angeschaut werden. Wir sind auf gute Theologie angewiesen, aber die Theolog:innen sind hier zu sehr am Rand. Sie dürfen nicht richtig mitreden – das bräuchte es aber dringend! Die Bischöfe meinen zwar immer, sie seien ja selbst Theologen, aber sie haben oft überhaupt keine Ahnung. Manche wissen das auch und sind dankbar für die Theologie. Wir merken hier: Es braucht unbedingt die seriöse, fundierte Einordnung von Ideen, von neuen Vorschlägen, es braucht diese Expert:innen, die sagen können, wie man diese oder jene Überlegung in der Tradition verortet, wo es schon einmal etwas gab, wo der biblische Grund ist, und so weiter. Ein Problem ist wirklich, dass die Theologie offenbar in den letzten Jahren oder Jahrzehnten in einem zu großen Abstand gehalten wurde von den Orten, an denen sich die kirchliche Lehrmeinung bildet.
Vielen Dank für das Gespräch und gute weitere Beratungen!
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Helena Jeppesen-Spuhler (im Titelbild oben zweite von rechts) ist seit vielen Jahren bei der Schweizer Fastenaktion tätig. Sie engagiert sich bei der reformorientierten «Allianz Gleichwürdig Katholisch». 2019 hat sie lateinamerikanische Partner von Fastenaktion an der Amazoniensynode begleitet. 2022 war sie Teilnehmerin der synodalen Versammlung des Bistums Basels und nahm in Einsiedeln an der nationalen Versammlung teil. Im Februar 2023 war sie auch Delegierte der katholischen Kirche der Schweiz an der europäischen Kontinentalsynode in Prag. Sie ist nun ordentliche Delegierte bei der Weltbischofssynode, die noch bis Ende dieser Woche in Rom tagt.
Im Bild außerdem, v.l.n.r.: Sr. Béa Faye (Expertin, Burkina Faso), Mariia Sabov (Teilnehmerin mit Stimmrecht/Ukraine) und Klara Csiszar (Expertin/Österreich)
Foto: H. Jeppesen-Spuhler