Angeregt von der „Trostrolle für Efraim“ im Buch Jeremia1 hat Anne Herzig eine kleine Trostrolle für den Corona-November verfasst.
Sei traurig
über die grauen Regenwolken
und die Nasskälte
den geschlossenen Italiener
die Fotographin ohne Aufträge
und den Kosmetiker, der auf Dezember bangt
Heule ruhig auch mal
dass der Zoo zu ist
kein Popcorngeruch vor dem Kino
einsam sitzt jemand am Esstisch
und liest die Zeitung nicht mehr
in der Wohnung oben links wütendes Gebrülle
Ärgere Dich
wann endlich Weihnachten planen
und die Geschenke kaufen
von den Nägeln blättert der Lack
schon wieder den Mundschutz auskochen
beinahe die Nerven verlieren
Sei wütend und traurig und müde.
Denn Gott spricht in der Losung für November:
„Sie werden weinend kommen,
aber ich will sie trösten und leiten.“
Es wird nämlich Dezember werden.
Ganz bald.
Amen.
—
Text: Anne Herzig hat Semitistik in Leiden studiert und in ihrer Masterarbeit über die Gartenmetapher in der Hebräischen Bibel nachgedacht. Gerade bereitet sie sich auf ihr Examen in Ev. Theologie in Leipzig vor.
Bild: Prof. Dr. Dr. Andreas Schüle
- Die Losung für den Monat November in Jer 31,9 stammt aus einem Teil des Jeremiabuches, der auch als „Trostrolle für Efraim“ bezeichnet wird. ↩