Die Debatte zur Flüchtlingspolitik zeigt Ideen davon, was Politik kann und soll. Am Begriff der Obergrenzen wird das deutlich. Von Daniel Bogner.
„Obergrenze“ als Sprachsymbol
Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu fordern, ist der zentrale CSU-Beitrag in der aktuellen Debatte zur Flüchtlingspolitik, die AfD-Empfehlung zum Schusswaffengebrauch der Grenzpolizei dann die logische Konsequenz aus dieser Forderung: Wenn die Obergrenze erreicht ist, muss der Staat den Obergrenzenbeschluss ja durchsetzen, sonst ist er nichts wert. Wir erleben gegenwärtig eine Gespensterdebatte, die dem freiheitlichen Rechtsstaat nicht angemessen ist: „Obergrenze“ lässt sich nicht nur technisch kaum durchsetzen – außer man zieht eine Mauer hoch wie einst die DDR. Die Forderung ignoriert auch die Natur menschenrechtlicher Verbürgungen. Man kann es nur verstehen als ein politisches Sprachsymbol, um das Signal zu senden: Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung vor Überforderung ernst.
Gibt es wirklich ein Recht auf Wohlstandsstabilität?
Aber wieviel legitimen Grund gibt es wirklich für Angst und Besorgnis? Was gegenwärtig fehlt, ist eine Debatte über das Zumutbare: Was sind eigentlich die Kriterien dafür zu sagen, die Aufnahmekapazitäten seien erreicht? Die einen halten es für inakzeptabel, wenn der örtliche Sportverein sein reguläres Programm nicht mehr durchführen kann, weil die Sporthalle als Notunterkunft dient. Die anderen stören sich an überbelegten Bussen im öffentlichen Nahverkehr oder daran, dass der Wert des Eigenheims durch die in der Nachbarschaft entstehende Flüchtlingsunterkunft gemindert wird. Wieder andere halten es für unzumutbar, wenn Lerngeschwindigkeit und sozialer Zusammenhalt in der Grundschulklasse durch hinzustoßende Flüchtlingskinder aus dem Takt geraten. Im Hintergrund steht eine fundamentale Frage: Welches Recht haben wir darauf, dass ein bestimmtes Niveau öffentlichen und privaten Wohlstands (und seiner sozialen Nebeneffekte) erhalten bleibt, unbeschadet aller sozialen und politischen Fährnisse bei uns und weltweit?
Das kleine Karo der Politik: „Volksnähe“
Eine in kurzen und sich regional und national überschneidenden Legitimationszyklen verfangene Politik tendiert dazu, ihre Rolle einseitig auszulegen: Es wird nur noch „dem Volk aufs Maul“ geschaut. Das offenbar höchste Gut der Politik und ihrer Parteien lautet: sensibel sein für die Sorgen der Bevölkerung. Demokratische, wertgebundene Politik hat aber noch eine zweite Aufgabe, die unter dem Druck des erstarkten Rechtspopulismus vernachlässigt wird – die Pflicht, dem Volk nicht nur aufs Maul zu schauen, sondern verantwortungsvolle Impulse zu setzen und die Bevölkerung für diese Vorgaben zu gewinnen. Die Rede der CSU von den Obergrenzen ignoriert das; sie wirkt wie eine Schallplatte mit Sprung. Politische Verantwortung wird hier im eigentlichen Sinn nicht mehr wahrgenommen, Politik ist auf das kleine Karo der „Volksnähe“ reduziert – eine neue Spielform des vielfach kritisierten „imperativen Mandats“?
Globalisierung – für uns, nicht für die anderen…
In dieses Szenario passt die vehemente Kritik an den kirchlichen Stimmen in der Flüchtlingspolitik. Von der „Zuwanderungsbegrenzung als christlichem Gebot“ wird in WELT und F.A.Z. gerne gesprochen, die Unterstützung eines humanen Umgangs mit der Flüchtlingslage als „naiv“ gescholten. Problematisch ist nicht, dass zu einer differenzierten Sicht auf die Interessenskonflikte aufgerufen wird, die mit den hinzukommenden Menschen auftreten. Problematisch ist die Motivationslage solcher Einlassungen: Zu offensichtlich hadern manche schon mit dem Zeitenlauf an sich: dass Globalisierung nun plötzlich auch dieses menschliche Gesicht zeigt. Global handeln – lokal denken und empfinden. Maxime christlicher Ethik war das noch nie.
Daniel Bogner ist Professor für Moraltheologie und theologische Ethik an der Universität Freiburg i. Üe. – Foto: Gabi Eder / pixelio.de