In der Karwoche bittet ein Priester seine Kollegin, ein Gebet in einem Live-Gottesdienst vorzulesen. Erst im Nachgang des Gottesdienstes spürt Julia Winterboer ihre Wut. Am Ende steht für sie fest: Ab sofort tritt sie in einen Eucharistie-Streik.
Am Montag der Karwoche 2020 übernehme ich freiwillig den Lektorendienst. Es sind andere Zeiten: Statt gemeinschaftliche Gottesdienste zu feiern, übertragen wir Live-Gottesdienste. Kurz bevor der Gottesdienst beginnt, fragt mich mein Priesterkollege, ob ich noch einen Text nach der Kommunion lesen kann.
Ich bejahe, lese die ersten Worte in der Sakristei und frage skeptisch nach, von wem dieser Text stammt. Als Antwort erhalte ich, dass es sich um einen französischen Text handle. Ich winde mich, kann mein Unbehagen nicht gleich greifen. Es sind noch wenige Minuten bis die Live-Schaltung beginnt. Ich verändere wenige Dinge an dem Text, um das Gefühl zu haben, dass es Worte sind, die ich mit mir vereinen kann.
Das Sakrament der Eucharistie wird zum Zentrum hochstilisiert und in den Herrschaftsbereich der Männer gerückt.
Erst im Nachgang an den Gottesdienst spüre ich meine Wut. In der Reflexion realisiere ich: Es geht nicht en Detail um die Worte des Gebetes, sondern um die Bedeutsamkeit, die ich damit als gläubige Frau der Eucharistie zukommen lassen soll.
In dem Gebet wird der Verzicht auf die Eucharistie als eines der geistlichen Probleme der jetzigen Zeit markiert. Es wäre auch möglich, bereits vorhandene Gebetspraktiken zu stärken oder neue Formate für Zuhause zu entwickeln, die den Communio-Gedanken ins Zentrum stellen. Dazu kommt ein Subtext, der unabhängig von der geistlichen und theologischen Aussage der Eucharistie existiert: Das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen, ist immer noch geweihten Priestern vorbehalten. Es wird zum Zentrum hochstilisiert und in den Herrschaftsbereich der Männer gerückt. In ihr manifestiert sich die männliche, geistliche Macht.
Das bittere daran ist, dass es den meisten männlichen Priestern nicht bewusst ist. Anscheinend macht sie kaum jemand darauf aufmerksam oder sie wollen es nicht hören. Dabei ist das Zuhören doch das, was in der Bibel unzählige Male genannt wird.
Priesterliche Berufungsgeschichten von Frauen werden in der Kirche nicht erzählt.
In den letzten Jahren habe ich Frauen treffen dürfen, die für die Kirche pastoral arbeiten. Frauen, die mir ihre gescheiterten Berufungswege erzählten. Neben ermutigenden Momenten und einer Faszination für die Ausdauer und Widerstandsfähigkeit dieser Frauen, waren es auch erschreckende und traurige biografische Geschichten.
Frauen waren dabei, die über Jahre in Klöstern waren, weil ihre priesterlichen Berufungen von den männlichen Kollegen missdeutet wurden. Vielleicht aus der eigenen Hilflosigkeit heraus sagten sie zu den Frauen: Wenn eine Frau eine solche Berufung habe (die es ja eigentlich nicht geben kann), sei der richtige Ort für sie ein Kloster. Eine andere Frau fragt zögerlich nach, welche Sanktionen sie zu fürchten habe, wenn sie sich bei Maria 2.0 für Gleichberechtigung in ihrer Kirche einsetze. Ihre Berufungsgeschichte kann sie nur im Zweiergespräch nach einem vollen Seminartag in der Dunkelheit erzählen.
Der Widerstand wird lauter. Das verhindert jedoch nicht, dass Gläubige und Priester immer wieder in den alten Strukturen stecken bleiben.
Das deckt sich mit meinem Eindruck, dass priesterliche Berufungsgeschichten von Frauen in der Kirche nicht erzählt werden. Es ist nicht kultiviert. Da ist eine Macht, die das Wort verbietet und keine Räume schafft, in denen Menschen sich gegenseitig in ihren individuellen und doch miteinander verbundenen geistlichen Wegen unterstützen. Mit der Initiative Maria 2.0 und der Arbeit von JournalistInnen wird dies nun – Gott sei Dank – immer sichtbarer und der Widerstand lauter.
Das verhindert jedoch nicht, dass Gläubige und Priester immer wieder in den alten Strukturen stecken bleiben oder in sie zurückfallen. Sie begrenzen damit den Raum, in dem Erneuerung, Aufbruch und endlich, endlich Gleichberechtigung gelebt und umgesetzt werden können.
Eine starke Reaktion der Kirche auf Corona sind Gottesdienste, in denen Priester stellvertretend für alle Gottesdienste feiern.
Dann taucht ein Virus wie Corona auf und eine starke Reaktion von kirchlicher Seite sind Gottesdienste, in denen Priester stellvertretend für alle Gottesdienste feiern. Alleine hinter dem Altar. Teilweise geben sie sich selbst die Antworten. Selbstgespräche.
Zum Glück gibt es auch partizipative Formate, die zunehmend ausgebaut und verbessert werden. Gleichzeitig macht diese Krise die Strukturen sichtbarer als je zuvor, auch für reguläre KirchgängerInnen. Sie können nicht mehr durch die anwesenden Gläubigen überdeckt werden.
Das gemeinsame Gut der Eucharistie ist mit einem revolutionären Potential ausgestattet, wenn man es in der Vollständigkeit so leben und auslegen würde.
Das bringt mich zurück zur Eucharistie. Nüchtern ausgedrückt: Sie ist ein zentrales Strukturelement des Gottesdienstes. Ja, sie ist das verbindende Element über Kultur- und Ländergrenzen hinweg. Es verbindet Menschen und kann auch ohne ein kognitives Verständnis von Worten miteinander geteilt werden.
Das ist wunderschön. Dieses Teilen von einem gemeinsamen Gut, der physischen wie geistlichen Nahrung, die keine Unterscheidung vornimmt zwischen Geschlecht, Alter oder kultureller Prägung, ist phänomenal. Gerade in der jetzigen Zeit ist das gemeinsame Gut der Eucharistie mit einem revolutionären Potential ausgestattet, wenn man es in der Vollständigkeit so leben und auslegen würde.
Als ich im Live-Stream eine Ansprache hielt, war ich froh. Doch kurze Zeit später erhielt ich eine Rückmeldung, die mich zweifeln lässt.
Um den klerikalen, einsamen Priestern vor ihren Altären ein winziges Stück weit gleichberechtigtere Bilder entgegenzusetzen, beschlossen der Priesterkollege und ich in dem Live-Stream der Hochschulgemeinde abwechselnd zu predigen und so viel Beteiligung wie möglich mit hinein zu nehmen. Wir suchen gemeinsam nach weiteren Formen.
Als ich das erste Mal im Live-Stream eine solche Ansprache hielt, war ich froh. Doch kurze Zeit später erhielt ich eine Rückmeldung von außen, die mich wieder zweifeln lässt, wie lange es noch dauern wird bis eine Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Ebenen sichtbar und erfahrbar wird. Wie lange muss es noch dauern bis das biologische Geschlecht keine Relevanz mehr dafür besitzt, wer welche Aufgabe innerhalb des liturgischen Rahmens erfüllt?
Mit einer klerikalen, priesterfixierten Wandlung der Kommunion begrenzen wir uns als Kirche.
Am Montag der Karwoche stand ich nun am Mikrofon und verlas diesen mir fremden Text zur Eucharistie, für die Menschen, die gerade gerne dieses Sakrament empfangen würden und nicht dürfen.
Ich erinnerte mich an Ordensfrauen im Karmel, die gerade in Solidarität mit allen, die gerade nicht empfangen können, darauf verzichten ebenfalls einen „Priester kommen zu lassen“ und damit die Kommunion zu empfangen. Ich begreife, dass wir uns als Kirche mit dieser klerikalen, priesterfixierten Wandlung der Kommunion begrenzen. Als gemeinschaftlich vollzogenes Sakrament setzt es frei, das ist Teil der Botschaft. Als gläubige Christinnen und Christen sind wir mit hinein genommen in eine befreiende, erlösende Anteilnahme, die den Tod überwindet – und die Angst.
Eucharistie-Streik! – um den trennenden Schmerz sichtbar zu machen, den diese Kirche immer noch in Bezug auf Geschlechterrollen lebt.
Doch dieses „volle Bewusstsein“ darüber, „die Dankbarkeit“, mit gemeint und hinein genommen zu sein in das eucharistische Sakrament, das kann ich erst wieder leben, wenn Kirche diese Gleichheit der Menschen auch strukturell abbildet.
Deswegen trete ich von jetzt an in einen Eucharistie-Streik. Ich verzichte auf den physischen Empfang des Sakraments der Eucharistie – in Solidarität mit allen, die jetzt nicht empfangen können und um den trennenden Schmerz sichtbar zu machen, den diese Kirche immer noch in Bezug auf Geschlechterrollen lebt.
… in der Hoffnung, dass ein Bewusstsein wächst, dass wir kein Vorrecht auf eine Macht haben, die in Machtlosigkeit ihr wahres Gesicht zeigte.
Zum Abschluss möchte ich das Gebet zitieren, das ich am Montag der Karwoche verlas und das Anlass dieses Streiks ist. In der Hoffnung, dass das Bewusstsein nicht nur bei mir wächst, dass wir kein Vorrecht auf eine Macht haben, die in Machtlosigkeit ihr wahres Gesicht zeigte:
„Jesus Christus, ich glaube fest daran, dass du im allerheiligsten Sakrament der Eucharistie gegenwärtig bist. In diesen schwierigen Zeiten ist es mir nicht möglich dich im Sakrament zu empfangen, deshalb bitte ich dich: Durch diesen Verzicht lass mich deinen Schmerz im Garten Getsameni, dein Leiden bei der Geißelung und deine Einsamkeit am Kreuz mit dir teilen.
Durch dieses Fasten der Eucharistie lass meinen Hunger nach dir wachsen und lass mich die Großzügigkeit deiner Gnade erkennen, die du mir in jeder Kommunion schenkst. Lass mich dich immer im vollen Bewusstsein und mit Dankbarkeit empfangen.
In diesem Verzicht auf die Eucharistie verbinde ich mich mit deiner leidenden Kirche und mit den verfolgten Christinnen und Christen. In diesem Fasten der Eucharistie bete ich schließlich mit dir für alle, die sich selbstlos mit Leib und Seele geben die Pandemie zu bekämpfen, für die darunter leiden und für die daran sterben.
Ich vertraue sie dir an. Herr, erbarme dich.
Und bis wir dich wieder empfangen können, Herr Jesus Christus, kehre geistlich bei uns ein und stärke uns durch deine Gnade.
Maranatha, komm Herr Jesus.“
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Bild und Text: Julia Winterboer ist Referentin der Hochschulpastoral in Bielefeld seit 2016.