Das Wort „Evangelisation“ ist eher negativ besetzt. Zu anachronistisch, zu sperrig, zu „verkopft“ klingt es. Wenn schon der Begriff an sich schwierig ist, gilt das natürlich umso mehr für seine praktische Realisierung. Betrachtet man jedoch die etymologischen Wurzeln – „Frohbotschaft“ – sollte es doch ganz einfach sein, oder? Florian Mittl über „Linie 7“, ein Projekt der steirischen Kirche.
Ein Versuch, die Frohbotschaft auch wirklich fröhlich zu verkünden, war das Projekt Linie 7 – Kirche auf Rädern.[1] Im September und Oktober 2016 konnte man einen mit auffälligen Sprüchen (z. B. „Der Bus rollt, Gott ist schon da“) verzierten Bus an öffentlichen Plätzen in Graz und in der Steiermark antreffen.
Ein Bus unterwegs
Sicher ist, dass die Initiative Spaß gemacht hat. Spaß den in der Vorbereitung und Durchführung involvierten Laien, Priestern und Ordensleuten und hoffentlich auch den Passanten und Passantinnen, mit denen wir ins Gespräch gekommen sind. Wir besuchten Einkaufszentren, Parks, Universitäten, Schulen sowie als Abschluss zu Allerheiligen den Zentralfriedhof. Ziel war es, den direkten Kontakt mit allen gesprächsbereiten Menschen zu suchen. „Nicht von anderen Menschen Bewegung einfordern, sondern zu den Menschen hingehen und schauen, was sich an Begegnungen ergibt“, formuliert es Hermann Glettler, Bischofsvikar für Caritas und Evangelisation.
Die Idee stammt aus England, wo der Mercy Bus sogar mit dem Segen des Papstes durch die Diözese Salford (Greater Manchester und Teile der Grafschaft Lancashire) tourte. „We are meeting people where they are, we are parking up beside their lives“[2], so Father Frankie Mulgrew, Initiator des Projekts.
Barmherzigkeit
Ins Leben der Menschen einparken also, aber dieses nicht zuparken. Anlass waren das Jahr der Barmherzigkeit und der Auftrag von Papst Franziskus, an die geographischen und existentiellen Peripherien zu gehen.
Die Zahl 7 ließ Platz für viele Assoziationen und Anknüpfungspunkte: Werke der Barmherzigkeit, Schöpfung (und Schöpfungsverantwortung), Sakramente, Wurzelsünden etc. Ein erstes Resümee fällt durchaus positiv aus: Viele dankbare und ermutigende Worte von Passantinnen und Passanten, viele lächelnde Gesichter, einige tiefer gehende Gespräche, sehr gute Medienpräsenz, zahlreiche freiwillige Helferinnen und Helfer, sehr gute Zusammenarbeit verschiedener kirchlicher Stellen (Katholische Aktion, Amt für Öffentlichkeitsarbeit, Katholische Hochschulgemeinde etc.).
Gesellschaftliche Wahrnehmung
Geplaudert wurde buchstäblich „über Gott und die Welt“ und auch die Möglichkeit, „Dampf abzulassen“, war gegeben. Zur allgemeinen Überraschung wurde davon aber kaum Gebrauch gemacht. Die berühmten „heißen Eisen“ wie Zölibat, Frauenordination, wiederverheiratete Geschiedene scheinen merklich abgekühlt. Die am intensivsten geführten Gespräche drehten sich um Migration und Asyl. Den Vorwurf, die Kirche trage Mitschuld daran, dass „das ganze Gesindel“ zu uns strömt, kann man jedoch getrost als Kompliment für offensichtlich authentisch gelebtes Christentum sehen. Überdies wurde gerade das vielfältige karitative Engagement von vielen Seiten gelobt.
Aber es gibt doch zu denken, dass Kirche mittlerweile nicht einmal mehr Anlass zu kultiviertem Streit gibt. Positiv betrachtet könnte man sagen: Die ausgebliebene Kritik zeigt, dass wir besser dastehen, als wir uns selbst zutrauen. Aber realistischer Weise muss man anerkennen, dass Kirche in vielen Bereichen schlicht als unverbesserlich und ewiggestrig wahrgenommenen wird und ihr kaum Entwicklungspotential zugetraut wird. Großen Teilen der Gesellschaft sind wir mittlerweile einfach gleichgültig geworden.
Nicht Einzelaktion, sondern Haltung
Was also tun? Zuerst müssen wir begreifen, dass die Aufforderung des Papstes, die geographischen und existentiellen Ränder aufzusuchen, nicht nur nette und durchorchestrierte Einzelaktionen meint, sondern vor allem eine Grundhaltung. Franziskus appelliert für ein „Apostolat des Hörens“[3] und sieht Barmherzigkeit als Name und „Kennkarte Gottes“[4]. Sodann gilt es, uns endlich einzugestehen, dass wir als Kirche ebenfalls einen Rand der Gesellschaft einnehmen. In der fragmentierten Gegenwart sind wir nur ein Player von vielen und können Barmherzigkeit nicht nur großspurig verkünden und anbieten, sondern müssen diese auch vom „Rest“ der Gesellschaft für uns erbitten.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir Zugang zu einem unglaublichen Schatz erhalten haben, nämlich der bereits erwähnten frohen Botschaft unseres Herrn, Jesus Christus. Diese Botschaft hat das Potential, jederzeit Leben nachhaltig zum Positiven zu verändern. Man muss kein ausgesprochener Bibelkenner sein, um die Grundzüge der christlichen Botschaft, die eine Botschaft der Befreiung, der Barmherzigkeit und der Freude ist, zu verstehen. Frère Roger betont: „Lebe das, was du vom Evangelium begriffen hast, und sei es noch so wenig.“
Unverfälschte, authentische Gottesbeziehung
Und Leo Tolstoi schildert in seiner Erzählung Die drei Starzen, wie ein Erzbischof drei auf einer Insel lebenden Einsiedlern geduldig die Dreifaltigkeit erklärt. Die drei alten und äußerst frommen Männer verstehen einander ohne viele Worte, können aber nicht einmal das Vater Unser beten. Die Augen gen Himmel gehoben, lautet ihr Gebet für alle Situationen: „Ihr seid drei, wir sind drei, erbarme dich unser!“[5] Der Erzbischof nimmt sich Zeit und nach stundenlangem geduldigen Lehren und Üben sind die drei doch so weit, das Gebet des Herrn fehlerfrei aufsagen zu können. Der Erzbischof sticht wieder in See, nach einiger Zeit sieht er aber die drei Starzen, die ihm über das Meer nachgelaufen kommen. Dem verdatterten Kleriker gestehen sie, dass sie das Gebet schon wieder vergessen haben, und bitten ihn, es ihnen noch einmal zu lehren. Daraufhin verneigt sich der Erzbischof und sagt: „Auch euer Gebet steigt zu Gott empor, ihr heiligen Männer Gottes. Ich habe euch nichts zu lehren. Betet für uns arme Sünder!“[6]
Oftmals fehlt uns dieser natürliche Zugang, diese unverfälschte, authentische Gottesbeziehung. Dabei kann nur sie andere dazu bringen, sich ebenfalls ernsthaft auf das Abenteuer Glaube einzulassen. Während manche ohne jegliche Unterweisung über das Wasser laufen als sei es trockenes Land, zerbrechen wir uns zu sehr den Kopf über Regeln, Zahlen oder Strukturen. Und vergessen dabei, dass es neben dem „Entweder oder“ auch ein authentisches „Sowohl als auch“ geben kann und muss.[7]
Für Papst Franziskus bedeutet Evangelisieren „das Reich Gottes in der Welt gegenwärtig zu machen“[8] bzw. ganz einfach „gratis das weiter zu reichen, was Gott gratis mir gegeben hat“[9]. Und gerne zitiert er seinen heiligen Namensvetter: „Verkündigt das Evangelium, und wenn es nötig sein sollte, dann auch mit Worten.“
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Florian Mittl ist promovierter Fundamentaltheologe, Gymnasiallehrer und Vizepräsident der Katholischen Aktion Steiermark.
[1] https://www.katholische-kirche-steiermark.at/specials/linie7
[2] Caldwell, Simon: Mercy Bus run by former stand-up comedian tours the north, in: http://www.catholicherald.co.uk/news/2016/02/24/mercy-bus-run-by-former-stand-up-comedian-tours-the-north [abgerufen am 03.03.2016].
[3] Papst Franziskus: Der Name Gottes ist Barmherzigkeit. Ein Gespräch mit Andrea Tornielli, München 2016, 38.
[4] Ibid., 29.
[5] Tolstoi, Nikolajewitsch Leo: Die drei Starzen. Aus den Volkssagen von der Wolga, in: Ders.: Volkserzählungen, Gütersloh 1983, 313.
[6] Ibid., 316f.
[7] „Es [der Umgang mit den Grenzen des Einzelnen] gehört zum großen Gesetz der Kirche, das ein ‚et et‘ (sowohl – als auch) ist und nicht ein ‚aut aut‘ (entweder – oder). Für einige Menschen, die in schwierigen Umständen sind, die menschliche Dramen durchleben müssen, kann ein kleiner Schritt, eine winzige Wandlung in den Augen Gottes viel wert sein.“ (Papst Franziskus, Der Name Gottes ist Barmherzigkeit, 94)
[8] Evangelii Gaudium 176.
[9] Frühmesse in Santa Marta vom 03.03.2016, in: http://de.radiovaticana.va/news/2016/09/09/papstmesse_jesus_verk%C3%BCnden_-_mehr_mit_taten_als_mit_worten/1256895 [abgerufen am 27.02.2017].
Vgl. auch EG 14: „Alle haben das Recht, das Evangelium zu empfangen. Die Christen haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, nicht wie jemand, der eine neue Verpflichtung auferlegt, sondern wie jemand, der eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes Festmahl anbietet. Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern ‚durch Anziehung‘“.
Photo: Rainer Juriatti
Florian Mittl ist promovierter Fundamentaltheologe und lehrt an einem Grazer Gymnasium.