Im Wiener Stephansdom werden seit Jahren die Fastentücher von prominenten Künstler:innen gestaltet und kontrovers diskutiert. Das diesjährige Fastentuch stammt von Gottfried Helnwein – und sollte ein Triptychon bis Pfingsten werden. Rudolf Kaisler (Wien) kommentiert die Entscheidung des Domkapitels, ab Karsamstag die weiteren beiden Tücher nicht zu präsentieren.
Warum der reaktionär befeuerte Rückzug des Domkapitels ein Fehler ist
Jedes Jahr rund um den 12. März wird der traditionelle dies academicus der Universität Wien mit einer Kranzniederlegung beim Epitaph ihres Gründers Rudolf des Stifters im Frauenchor des Stephansdoms begangen. Wenige Meter davon steht der beeindruckende Wiener Neustädter Altar und der damit verbundene Haupttabernakel der Stephanskirche mit einer Abbildung des Turiner Grabtuches.
Doch dieses Jahr ist die von Kurt Straznizky 1999 gestaltete künstlerische Darstellung der bekannten Reliquie nicht das einzige Grabtuch im Dom. Ein violetter Lichtbogen aus dem Hauptschiff weist in Richtung der riesigen dreiteiligen Fastentuch Installation von Gottfried Helnwein, die inzwischen Gegenstand heftiger Kontroversen inkl. Petition gegen das Fastentuch, medialer Befeuerung und einer fragwürdigen Reaktion des Domkapitels geworden ist. In deren Mitte vor dem Hauptaltar ist das Grabtuch von Turin verkehrt herum dargestellt, links und rechts davon sind auf zwei kleineren Leinwänden zwei Totenköpfe gemalt. Alles ist in violettes Licht, der liturgischen Farbe der Fastenzeit getaucht. (Vgl. dazu einen Beitrag im Wiener Kirchenblatt „Der Sonntag“).
Die Installation sollte der erste Teil eines künstlerischen Triptychons zu den theologischen Motiven Abstieg in die Unterwelt / Auferstehung /Geistaussendung sein. In einer knappen Stellungnahme am 21.3.2024 erklärte nun das Domkapitel, dass nach dem Fastentuch keine weiteren Installationen von Helnwein, die bis zum 7. Juli angedauert hätten, mehr zu sehen sein werden. Was ist passiert?
Satanismus und Verletzung religiöser Gefühle? Stimmungsmache durch eine Petition
Kurz nach der Präsentation der Installation durch Dompfarrer Anton Faber und Gottfried Helnwein Mitte Februar formiert sich eine Petition gegen die Fastentuch Installation über CitizenGO, einer Stiftung für konservativen Internet-Aktionismus mit dem Ziel, pressure groups für politisch gewünschte Entscheidungen zu bilden. Diese Petition startet am 23.2.2024 und hat bislang knapp 8000 Unterstützer:innen gefunden. Adressiert ist sie an Dompfarrer Anton Faber, der Helnwein für das Projekt gewinnen konnte, in das kein Cent Kirchenbeitrag geflossen ist. Die Petition startet mit der Erinnerung an den Kampf gegen die Fastentuch Installation 2023 von Peter Garmusch in der Innsbrucker Spitalskirche, die letztes Jahr sogar zu einer frühzeitigen Abhängung vor der Karwoche durch Bischof Glettler geführt hat, der selbst massiv angegriffen worden ist. Den Kern bildete auch damals eine sich empörende Petition. Dies wird in der aktuellen Petition als „Triumph“ konstatiert, der als Folie für das weitere Vorgehen dient.
Nun gebe es mit der Helnwein-Installation im Stephansdom ein neues Problem, das ebenfalls bekämpft werden müssen. Mit klassischen reaktionären Keywords wie „Satanismus“, „moralisch umstrittener Künstler“, „Provozieren der Gläubigen“, „Verletzung der religiösen Gefühle“, „Respekt vor dem heiligen Charakter der Kirchen“ wird eine Matrix gelegt, die die „seltsame ‚Kunst‘ “ zum Feindbild stilisiert, ebenso wie den Künstler Helnwein, dessen Nähe zu Scientology sofort gegen ihn verwendet wird. Verlinkt werden Artikel seriöser Medien neben dem offen rechtsextremen österreichischen Medium ‚Info Direkt‘, dem „Magazin für Patrioten“, wie es sich selbst nennt.
Ist die Allianz zwischen Kirche und Gegenwartskunst ein elitäres Projekt der Wenigen?
Ohne die Petition direkt zu erwähnen übernimmt der an der Universität Wien lehrende Dogmatiker Jan-Heiner Tück zentrale Inhalte in einem Artikel im Onlinemedium der ‚Communio‘, das zuletzt durch eine starke Negativkampagne gegen den Synodalen Weg in Deutschland aufgefallen ist. Die Unterstützer:innen der CitizenGO Petition werden von ihm allerdings kollektiviert, er spricht vom „Unmut im Kirchenvolk“, das anlog zu rechtspopulistischen politischen Diskursen einer abgehobenen Elite von „Kunst-Experten“ und „Theologen“ (Kunst-Expertinnen und Theologinnen scheinen von zweitrangiger Bedeutung zu sein) gegenübergestellt wird: „Die Allianz zwischen Kirche und Gegenwartskunst ist hier ein elitäres Projekt der Wenigen, bei dem das Votum der Vielen nicht gefragt ist.“
Tück argumentiert nicht so plump wie die Petition, er ist kunstaffin und klug, aber letztlich wird die reaktionäre Matrix derselben bewusst oder unbewusst übernommen. Die Wenigen da oben gegen die Vielen da unten, die berechtigte Empörung der einfachen Gläubigen gegen die verstörende Installation, gegen die an der „Schmerzgrenze“ agierenden Verantwortlichen. Zusätzlich ist eine tiefe Animosität gegen den Dompfarrer zu spüren. Sie geht auf eine Empörung Tücks gegen ein flapsiges Statement von Faber gegen Mitleid mit Impfskeptikern in der Coronazeit zurück. Eine Polemik gegen die Impfstraße im Stephansdom folgte, in der Tück eine „Profanisierung des Sakralen“ zu erkennen glaubte und die Gefahr sah, dass die Kirche „als verlängerten Arm staatlicher Gesundheitspolitik missbraucht werde“. Dass die Kirche schon im 19. Jahrhundert maßgeblich bei der Organisation staatlicher Pockenimpfungen eingebunden gewesen ist, sei nur nebenbei bemerkt.
Der Stephansdom wurde als ideologischer Kampfplatz missbraucht.
Wie auch immer, der Communio Artikel hat die Agenda der CitizenGO Petition freiwillig oder unfreiwillig verstärkt, der Druck auf das Domkapitel wurde zu groß, und ähnlich wie bei Bischof Glettler 2023 hat es durch die Beendigung des Helnwein-Zyklus ein Zugeständnis gegeben. Eine pressure group mit reaktionärer Agenda hat mithilfe eines Mediums mit klar konservativer Agenda einen symbolischen Sieg errungen. Der Stephansdom wurde somit als ideologischer Kampfplatz missbraucht. Ob das seiner Sakralität zuträglich war?
Das Domkapitel wiederum war in der misslichen Lage, entweder dem wachsenden Druck konservativer Kreise ausgesetzt zu sein oder sich gegen die weiteren Kunstinstallationen zu entscheiden und einen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit inkl. Düpierung des Dompfarrers in Kauf zu nehmen. Man hat sich für Letzteres entschieden. Ein Fehler.
Meinen Kolleg:innen von der Universität Wien am dies academicus hat die Fastentuch-Installation übrigens gut gefallen, bis Karsamstag ist sie noch im Stephansdom zu sehen.
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Dr. Rudolf Kaisler (*1983) arbeitet als Fakultätsmanager an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Beitragsbild: privat