Warum und wie kann man sich aus theologischem Interesse mit Rap beschäftigen? Jan-Hendrik Herbst reagiert auf einen Beitrag von Johannes Wiedecke und spürt den Ambivalenzen des Themas nach. Rap gelingt es, gesellschaftliche Missstände und Widersprüche sichtbar zu machen und für diese ein Ausdrucksmittel zu finden.
Jüngst bemühte sich Johannes Wiedecke auf feinschwarz.net um eine Ehrenrettung von HipHop. Er verteidigt Rap, weil dieser seines Erachtens in der Gemeindearbeit oder im Gottesdienst eine sinnvolle Anwendung finden kann. Einer solchen stehe jedoch das „Klischee“ im Weg, dass die Texte gewaltverherrlichend und menschenverachtend sind. Gerade die Debatte um Farid Bang und Kollegah perpetuiere diese Vorstellung, deshalb setzt er ihr eine alternative Darstellung entgegen.
Wer mit Rap arbeitet, sollte sich der Ambivalenz und Tiefe der HipHop-Kultur bewusst sein.
Sein Anliegen finde ich wichtig und nachvollziehbar. Religionspädagogisch reflektiert werden Rapsongs in Bildungsprozessen verwendet, sozialethisch wird auf sie mit zeitdiagnostischem Anliegen verwiesen[1] und auch in der Gemeindepastoral findet Rap seine Anwendung. Es gibt also gute Gründe, sich aus einem theologischen Interesse mit Rap zu beschäftigen. Wer mit Rap arbeitet, sollte sich der Ambivalenz und Tiefe der HipHop-Kultur bewusst sein. Die Verteidigungsstrategie von Wiedecke funktioniert meines Erachtens so, dass er erstens implizit guten von schlechtem Rap unterscheidet und zweitens explizit eine Konvergenz von „jüdisch-christliche Wertevorstellungen“ und „afro-amerikanische Kultur“ feststellt. Dieses Vorgehen ist nicht ganz unproblematisch, weil es der Komplexität von Rapmusik nicht gänzlich gerecht wird. Erstens ist Gangsta-Rap die erfolgreichste Rapform, und sie steht für all das, was als problematisch wahrgenommen wird. Wenn man also mit Rap in der Praxis oder Forschung arbeitet, wird dieser Frame automatisch mitbedient – aus diesem Grund muss man sich auch mit Gangsta-Rap auseinandersetzen. Zweitens mag es jüdisch-christliche Wertvorstellungen in der Rapkultur geben, diese sind meines Erachtens jedoch eher marginal. Wiedeckes Darstellung halte ich daher für ergänzungsbedürftig.[2]
- Gangsta-Rap in Deutschland am Beispiel der Debatte um Kollegah und Farid Bang
Die Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang löste eine lautstarke Debatte um Antisemitismus im Rap aus. Nun ist etwas Zeit vergangen und die Wogen haben sich geglättet – Zeit also mit etwas Distanz auf das Ganze zu schauen. Im Zentrum der medialen Auseinandersetzung stand Farid Bangs Line „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“. Nach der Verleihung ging es hoch her, der Echo wurde abgeschafft, BMG stoppte die Zusammenarbeit mit den beiden Rappern und sponserte eine Kampagne gegen Antisemitismus – mit einem minimalen Anteil der durch das Album erzielten Gewinne. Und die ARD zeigte in der Dokumentation „Die dunkle Seite des deutschen Rap“ einen Blick hinter die Kulissen, wobei deutlich ist: Die mediale Debatte verbleibt an der Oberfläche.
Eine Theologie nach Auschwitz … sollte analysieren, warum Millionen Menschen diese Musik kaufen, streamen, hören.
Denn das eigentliche Problem ist: Kollegah verfolgt eine Art antisemitischer Agenda, ein Programm der Melange aus Israelkritik, Verschwörungstheorien und offenem Antisemitismus. Eine Theologie nach Auschwitz muss dies natürlich problematisieren, kritisieren und beim Namen nennen. Sie sollte analysieren, warum Millionen Menschen diese Musik kaufen, streamen, hören. Und sie darf natürlich nicht vergessen, dass Sexismus und Homophobie im Rap ebenso eine Rolle spielen und nicht tabuisiert sind: Während Kollegah den Vorwurf gegenüber letzteren offen zugibt, weigert er sich, den Antisemitismus in seinen Texten und Videos zu erkennen. Bei dieser klaren Kritik kann eine soziologisch informierte Theologie jedoch nicht stehen bleiben, denn die Problematik ist komplizierter.
- Ein Blick zurück zu den Wurzeln: HipHop war schon immer ambivalent
Traditionen waren im HipHop schon immer wichtig. Größen wie Afrika Bambaataa, den Wiedecke zitiert, stehen tatsächlich für eine universale Weltkultur globaler Anerkennung. Diese Seite der Geschichte gibt es – zum Glück! Aber HipHop war auch immer mehr, ambivalenter. Von eher oberflächlichen Party-Tracks hin zu radikaler Sozialkritik, die die Grenzen bürgerlichen Geschmacks deutlich überschreitet, gab es bereits zu Beginn eine explosive Mischung. Dies wird besonders mit NWA deutlich, der ersten erfolgreichen und stilbildenden Gangsta-Rap-Crew, die mit Sicherheit nicht dem entsprach, was gängig unter „jüdisch-christlichen Wertvorstellungen“ verstanden wird. Doch auch am Beispiel der häufig für ihr politisches Bewusstsein gelobten Rap-Gruppe Public Enemy zeigen sich die Ambivalenzen von HipHop. Im Zuge des vor 28 Jahren erschienenen dritten Albums der Gruppe „Fear of a Black Planet“ gab es eine größere Kontroverse um das damalige Bandmitglied Professor Griff. Dieser wurde in der Öffentlichkeit als Antisemit kritisiert und musste bald darauf die Gruppe verlassen.
Rap fungiert hier als Empowerment von Unterdrückung.
Zugleich steht Public Enemy stellvertretend für die emanzipatorische Seite von Rap, auch und gerade als nicht-bürgerlicher Musik. Chuck D, Rapper der Gruppe, bezeichnete Rap einst als „CNN der Schwarzen“, ein Diktum, das Weltruhm erlangte und die politische Ausrichtung von Public Enemy andeutet. Im Lied „Fear of a Black Planet“ auf dem gleichnamigen Album findet sich ein Refrain mit antirassistischer Verve: „Excuse us for the news/I question those accused/Why is this fear of Black from White/Influence who you choose?“ Diese Liedzeilen erinnern daran, dass Rap mit schwarzer Kultur abgewertet, als problematisch exkludiert, als „anders“ tabuisiert wurde. Rap fungiert hier als Empowerment von Unterdrückung.[3] Dies gilt eben auch für Gangsta-Rap, wie ihn NWA verkörpert und wie es in Songs wie „Express Yourself“ durchscheint.
Diese Überlegungen lassen sich zwar nicht exakt auf Deutschland übertragen, doch kann hier von einer analogen Entwicklung für migrantisches Empowerment ausgegangen werden.[4] Die beiden Rapperinnen von SXTN, die kontrovers diskutiert werden, beschreiben beispielsweise die widersprüchliche Clubwelt der Großstadt so: „Kanaken und Schwarze haben Hip-Hop erfunden, doch der Türsteher lässt sie nicht rein.“ Von dieser Perspektive aus schauen die HipHop-Fans und -Aktivisten Murat Güngör und Hannes Loh in ihrem bedeutenden Werk „Fear of a Kanak Planet“ auf die HipHop-Kultur, wobei sie nicht zufällig den Album-Titel von Public Enemy aufnehmen. Sie beschreiben die Entwicklung von deutschem HipHop, der sein Gesicht verändert hat und sein Flair als antirassistischer Weltkultur bereits in den 2000er-Jahren einbüßt. Rap war also von Beginn an ambivalent. Um ihn ranken sich seit jeher einige der komplexen Irrungen und Verwirrungen, die derzeit ihr Unwesen treiben.
- Gangsta-Rap zwischen Reproduktion und Empowerment
Die Komplexität der Situation lässt sich beispielhaft darstellen: Kollegah, ein zum Islam konvertierter Rapper, kontert die Kritik des amtierenden Außenministers Heiko Maas mit dem rechtspopulistischen Vorwurf, dass Maas sich doch durch die liberalen Zuwanderungsgesetze den Antisemitismus erst selbst importiere. Alice Weidel wiederum, wohl gemerkt Mitglied in einer Partei mit Wolfgang Gideon, bezeichnet Kollegahs Feature-Kollegen Farid Bang wegen seiner Raps als „asozialen Marokkaner“ und fordert dessen Abschiebung. Dieses Beispiel zeigt einerseits, dass auch Gangsta-Rapper bewusst auf gesellschaftliche Diskurse rekurrieren und diese dadurch – wie bewusst auch immer – reproduzieren können. Zugleich fungiert die Sozialfigur Gangsta-Rapper hier als Projektionsfläche für rechte Islamophobie und die Konstruktion migrantischer „Asozialität“.[5]
Gangsta-Rap selbst und auch die Kritik an ihm stehen in der Gefahr, einen eigentlich zu problematisierenden „Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten“ zu wiederholen.
Das Beispiel deutet darauf hin, dass nicht nur Gangsta-Rap selbst, sondern auch die Kritik an ihm, in der Gefahr steht, einen eigentlich zu problematisierenden „Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten“ zu wiederholen.[6] Die Rap-Images inszenieren sich in Bezug auf diesen und befeuern ihn so zugleich. Eine einfache Kritik greift also zu kurz, weil Gangsta-Rap eben auch als Umdeutung und Wiederaneignung, gar als „Klassenkampf“ gedeutet werden kann: Rap ist auch ein Medium, um soziale Ungleichheit auszudrücken und „symbolische[n] Widerstand gegen unzugängliche hegemoniale Erfolgskonzepte (Bildung, geregelter Lohnarbeit)“[7] zu leisten. Es braucht also eine Analyse, die die Ambivalenzen einfangen kann, die auf der komplexen Verbindung von class, race und gender beruhen.
- Ist HipHop antisemitisch? Differenzierung statt Dichotomie
Neben diesen Überlegungen, die vor allem auf Gangsta-Rap zutreffen, ist Wiedeckes Strategie natürlich wichtig, eine andere Seite von HipHop aufzuzeigen. Es gibt Antisemitismus, Sexismus und Homophobie im Rap. Das ist klar und offensichtlich. Es ist jedoch auch klar und offensichtlich, dass dies keine Wesensmerkmale von Rap sind, dass es auch anderen Rap gibt, zum Beispiel Sookee, die Antilopen Gang oder Amewu. So thematisiert Danger Dan in seinem neuen Song Sand in die Augen Sexismus und Genderstereotype: „Jungs spielen Batman, Mädchen spielen Eisprinzessin, eigentlich ist die Welt nicht gemacht, um Kinder reinzusetzen.“ Und in der deutschen Rapgeschichte finden sich natürlich viele hervorragende Beispiele für antirassistische Raptexte.
Seismograph gesellschaftlicher Stimmungen und Veränderungen
Rap gelingt es, gesellschaftliche Missstände und Widersprüche sichtbar zu machen und für diese ein Ausdrucksmittel zu finden. Aber nicht nur dieser Conscious Rap, sondern auch Gangsta-Rap lässt sich als Seismograph gesellschaftlicher Stimmungen und Veränderungen lesen. Marcus Staiger, ein politisch aktiver Rapfan und Gründer des bekannten Labels „Royal Bunker“, sieht im Rap das kollektive Unbewusste der Gesellschaft. Damit aber muss die Äquivalenz von Rap und Antisemitismus (oder eben Sexismus, Homophobie etc.) eben auch darüber aufgelöst werden, dass sich dieser Rap in unserer Gesellschaft gut verkauft, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist und man nur über Kollegah reden kann, wenn man über Seehofer nicht schweigt.[8] Rap ist nicht einfach böse und unsere Gesellschaft nicht gut.
- Fazit: Rap oder nicht?
Was bedeuten diese Überlegungen also für Theolog*innen? Konkret sollte man die Komplexität der Debatte um Gangsta-Rap betrachten und es vermeiden, gewaltverherrlichende und menschenfeindliche Inhalte durch Kunstfreiheit zu legitimieren und rassistische Stereotype zu reproduzieren. Dies kann nur gelingen, wenn man die Ambivalenz von Gangsta-Rap, die Vielfalt von HipHop insgesamt und die gesellschaftlichen Wurzeln dieser Probleme wahrnimmt. Bestenfalls bezieht man sich bei einer Kritik auf die HipHop-Community selbst, die Kritik von innen äußert.
Rap besitzt ein mittelbares kairologisches Potenzial: Er sensibilisiert für neue oder vergessene Themen
Darüber hinaus lässt sich der Mehrwert von HipHop für die Theologie meines Erachtens adäquat mit dem bekannten CAJ-Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln bestimmen: Für den ersten Schritt, das Sehen der Realität, ist Rap deshalb gut geeignet, weil gängige Wahrnehmungen hinterfragt, ausgeschlossene Perspektiven sichtbar und ungehörte Stimmen hörbar werden – im Black CNN. Analytisch scharfe Urteile und weiterführende Handlungsperspektiven findet man im Rap dagegen selten. Marginalisierungsmechanismen können so zwar offengelegt, aber (noch) nicht unmittelbar verstanden werden. Denn in der gerappten Realitätsbeschreibung ist bereits unterreflektierte Normativität enthalten, wobei es natürlich positive Ausnahmen gibt. Rap besitzt also ein mittelbares kairologisches Potenzial: Er sensibilisiert für neue oder vergessene Themen, für Zeichen der Zeit. Daraus folgt, dass man als Theolog*in – wie auch immer man Rap verwendet – diesen nicht unvermittelt stehen lassen sollte. Was also Urteilen und Handeln betrifft, hilft Rap nicht wirklich weiter – außer man greift selbst zum Mikrophon und produziert eigenständig einen analytisch starken, normativ fundierten und praktisch fantasievollen HipHop-Track.
[1] Vgl. Manemann, Jürgen (2016): Der Dschihad und der Nihilismus des Westens. Warum ziehen junge Europäer in den Krieg? Bonn, 9-11.
[2] Johannes Wiedecke und ich haben uns über meinen Artikel ausgetauscht: Er unterstützt die hier dargelegten Überlegungen dezidiert als genauere Perspektive zu seinem einführenden Text.
[3] Vgl. Seeliger, Martin (2013): Deutscher Gangstarap. Zwischen Affirmation und Empowerment. Berlin.
[4] Zur Vertiefung dieser und einige der folgenden Überlegungen empfehle ich die Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (9/2018), 68. Jahrgang, „Rap“.
[5] Das Motiv des Asozialen muss dabei auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gesehen werden, weil es im Nationalsozialismus verwendet wurde, um Menschen zu stigmatisieren, auszugrenzen und umzubringen. Vgl. Allex, Anne (Hg.) (2017): Sozialrassistische Verfolgung im deutschen Faschismus: Kinder, Jugendliche, Frauen als sogenannte „Asoziale“ – Schwierigkeiten beim Gedenken, Neu-Ulm.
[6] Seeliger, Martin (2018): Rap und Gegenidenitäten in der Migrationsgesellschaft. In: APuZ 9, 24.
[7] Dietrich, Marc und Seeliger, Martin (2013): Gangsta-Rap als ambivalente Subjektkultur. In: Psychologie und Gesellschaftskritik 3/4, 20.
[8] Vgl. Werthschulte, Christian: Ihr seid langweilig. Debatte Antisemitismus im Deutschrap, online unter: http://www.taz.de/Christian-Werthschulte/!a24974/ (29. Mai 2018).
Autor: Jan-Hendrik Herbst, M.A. und M.Ed. (Mathematik und katholische Theologie); ausgebildeter Lehrer; promoviert an der TU Dortmund im Fach „Religionspädagogik“.
Beitragsbild: Pixabay
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