Welche Filme im Corona-Sommer – vor allem wenn Ferien nur zu Hause möglich sind? Die Favoriten der feinschwarz.net-Redaktion.
House of Cards (2013-2018) & Parasite (2019)
Sollten Sie sich in diesem Sommer filmisch auf das zentrale weltpolitische Ereignis des Jahres vorbereiten wollen: Sie können es. Wenn am 3. November Donald Trump hoffentlich abgewählt wird, und man sich vorher zumindest zwei bis drei Staffeln von „House of cards“ (Netflix, 6 Staffeln, 2013-2018) gegönnt hat, dann ist man nicht nur blendend unterhalten worden, sondern auch darauf vorbereitet, dass nicht alles schlagartig besser werden wird. Obama hat die Serie geliebt, ungefähr so würde es in Washington laufen, nur nicht so effizient. Der Serien-Präsident Frank Underwood (Kevin Spacey) ist mindestens so skrupellos wie Trump, nur viel intelligenter und seine Ehefrau Claire (Robin Wright) eine einzige Ikone intriganter Kälte. Allein schon die Beziehungsdynamik dieses power couple, herrlich weit weg von allen kleinbürgerlichen Ehevorstellungen, lohnt das Schauen. Shakespeare lässt grüßen.
Nun ist freilich Kevin Spacey auch im wirklichen Leben mit einigen Makeln belastet, Vorwürfe sexueller Belästigung verfolgen ihn und die letzte Staffel wurde ohne ihn gedreht. Wer sich also das Caravaggio-Wagner-Problem des Verhältnisses von hoher Kunst und zweifelhaftem Charakter ersparen will, dem sei der oscarprämierte Film Parasite (2019) empfohlen: In diesem „Genre-Hybrid aus Drama, Farce und Parabel, der über die südkoreanischen Verhältnisse hinaus auf eine fundamentale Kritik des westlichen Lebens-, Arbeits- und Konsummodells“ (Rüdiger Suchsland) zielt, schleicht sich eine Unterschichtfamilie listig und subversiv in Haus, Leben und Schicksal einer sehr reichen Oberschichtfamilie, und als dann auch noch aus den Tiefen der Villa ein dritte Partei auftaucht, eskaliert die Geschichte auf einer Sommergrillparty, bei der die Spieße nicht nur zum Grillen dienen. Aber auch danach geht es irgendwie weiter, wie meistens im wirklichen Leben.
Rainer Bucher, Graz
Zusammen ist man weniger allein (2007)
Dieser Filmtitel passte wunderbar in die Corona-Lockdown-Zeit und traf die Sehnsucht in diesen Wochen.
Regisseur Claude Berris Film nach dem Bestseller von Anna Gavalda «Ensemble c’est tout» (2007) erzählt die Geschichte von Camille. Sie lebt in Paris in einer kleinen Dachwohnung. Bevor sie im Winter beinahe erfriert, lernt sie einen Nachbarn desselben Wohnblocks, Philibert Marquet de la Durbellière, einen schüchternen Junggesellen aus adligem Haus kennen. Bald ergänzt sie seine lockere Wohngemeinschaft im grossen Appartement mit Franck, einem oft gestressten Koch (Muster: harte Schale – weicher Kern), dessen einzige feste Bezugsperson seine Grossmutter ist.
Die Lebenswege der vier Menschen könnten unterschiedlicher nicht sein, und so macht es die Spannung und auch den Reiz des Films aus, mitzuverfolgen, wie diese über Umwege und Hindernisse zusammenfinden. Alle vier sind auf ihre Weise in einer Art von Isolation. Und doch sehnen sie sich, am offensichtlichsten die Grossmutter Paulette, nach Gemeinschaft, auch wenn die Fetzen – oder ein Musikplayer – fliegen. Sogar Paulette findet schliesslich einen Platz in Philiberts Appartement. Koch Franck päppelt die abgemagerte Camille auf. Und Philibert? Schauen Sie selbst…
Zu viel der Harmonie? Vielleicht. Aber in Zeiten des Distanzhaltens und der Probleme aufgrund von Covid-19 und anderen Ungerechtigkeiten, tut ein solcher Film über Freundschaft, Liebe, Einsamkeit und Zusammensein der Seele gut. Audrey Tautou in der Rolle der Camille spielt zauberhaft. Rollenklischees kommen vor, ja. Unterhaltsam ist der Film trotzdem, gewiss auch in den Ferien zu Hause. Die unterschiedlichen Lebensschicksale rühren an das Zwischenmenschliche und ein bisschen Paris entschädigt für die geplante Städtereise.
Franziska Loretan-Saladin, Luzern
Die Ferien des Monsieur Hulot (1953)
Wenn in „Die Ferien des Monsieur Hulot“ von Jacques Tati jeder Morgen mit derselben Melodie begrüßt wird; Wenn die eifrigen Strandbesucher*innen jeden Abend von einer Glocke vom Badevergnügen zum Abendessen ins Hotel de la Plage gerufen werden; Wenn die Kamera immer wieder Wellen zeigt, die auf den Strand zurollen… Dann stellt sich bei mir unweigerlich Feriengefühl ein. Der Film erzählt so langsam wie meine Ferienzeit vergehen soll. Ich lehne mich zurück und habe für einen Augenblick das Gefühl, nicht mehr zu wissen, welcher Tag heute eigentlich ist – für mich ein Höhepunkt von Urlaub. Der Schwarz-Weiß-Film kommt fast ohne Worte aus und lenkt so den Blick auf das Wesentliche: Jacques Tati porträtiert Monsieur Hulot als einen Menschen, der bereit ist, andere Dinge zu sehen und Dinge anders zu tun als die Anderen. Er sorgt für zahlreiche Turbulenzen und Situationskomik. Dafür wird er zwar von den meisten der Hotelgäste und Angestellten im Hotel de la Plage belächelt, aber er steht zu sich. Und auch die schöne Martine ist ihm durchaus nicht abgeneigt.
Katharina Peetz, Landau
Rocky (1976)
Jesus Christus ist die erste Person, die im Film zu sehen ist – wenn auch nur als Gemälde. Die Kamera schwenkt herunter. Sie zeigt einen Amateur-Boxkampf. Der Messias scheint nicht so recht in diese heruntergekommene Sporthalle zu gehören. Das trifft auch auf den Protagonisten des Films zu. Vom Kampf lädiert nimmt er als Sieger ein miserables Preisgeld entgegen. Eigentlich reicht sein Talent für die ganz große Bühne. Bislang fanden allerdings das Schicksal und der langsam in die Jahre kommende Rechtsausleger nicht stimmig zueinander. Eine Marketingidee des amtierenden Boxchampions bereitet dem liebenswerten aber intellektuell limitierten Boxer eine unerwartete, letzte Chance auf den Titelkampf um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht.
Im Film geht es nicht darum, möglichst schnell und rüde draufzuhauen. Zur Verwirklichung der eigenen Ziele werden weder Ellenbogen noch Unsportlichkeit benötigt. Es braucht das Quäntchen Glück ebenso wie einen wohldurchdachten Matchplan. Vor allem aber braucht es Selbstdisziplin, akribische Vorbereitung und das Wegstecken zahlreicher (Rück-)Schläge. Der Film ist eine cineastische Durchhalteparole, angereichert mit einer Liebesgeschichte und einem legendären Soundtrack. Immer wieder gönne ich mir diesen Motivationskick – häufig wohldosiert in kurzen YouTube-Clips. Das konnte ich in letzter Zeit öfters gebrauchen.
Nicht alle mögen immer wieder denselben Film schauen. Kein Problem: Für persönliche Motivationsschübe existieren ausreichend Sequels. Story und Message sind im Grunde immer dieselben, ebenso wie der Protagonist: Rocky Balboa.
Gerrit Spallek, Hamburg
Julieta (2016) & Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen (2016)
Spanien im Sommer, eine tiefgründige Verfilmung eines Beziehungsdramas – dafür steht der Film „Julieta“ von Pedro Almodóvar, einer meiner beiden Lieblingsfilme. Julieta, Anfang Fünfzig, hat ihre Tochter Aníta seit zwölf Jahren nicht gesehen und doch „erfüllt die Abwesenheit ihr Tochter“ ihr Leben vollends. Tastend werden im Film Facetten des Beziehungsgeflechts der Protagonist:innen enthüllt, unaufdringlich, mit starken Worten und noch stärkeren Bildern. Es geht darum, wie abgebrochene Beziehungen in unseren Leben weiterwirken. Rollenverständnisse werden im Film durcheinandergewirbelt, gesellschaftliche Standards hinterfragt und die ewig wiederkehrende Frage nach der eigenen Schuld auf unkonventionelle, anspruchsvolle Weise neu gestellt.
Dieser Film verdient es, mit Ruhe und voller Aufmerksamkeit geschaut zu werden, an einem warmen oder verregneten Sommerabend – alleine oder im Kreis von Vertrauten.
Ganz anders mein zweiter Lieblingsfilm: „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ von Mélanie Laurant und Cyril Dion. Hier weckt schon die geniale und eigens für diesen Film komponierte Filmmusik die müden Geister und die trägen Pessimist:innen. Die endlos Meckernden macht „Tomorrow“ munter! Es handelt sich um einen äußert ansprechenden Dokumentarfilm, der uns im Angesicht von Klimakatastrophe und globaler Krise aufzeigt, was es bedeuten kann, wenn viele Menschen an vielen Orten kleine Schritte unternehmen. Wer „Tomorrow“ schaut, lernt Neues über den Zusammenhang von Landwirtschaft, Energie, Wirtschaft, Demokratie und Bildung. All dies allerdings nicht auf schockierend-lähmende Weise, sondern derart kreativ und ansprechend, dass man direkt Lust bekommt, die Ärmel hochzukrempeln und in Latzhose und Gummistiefeln das eigene Viertel aufzumischen. Ein perfekter Film für einen Abend mit Freund:innen. Warnung: Der Film hinterlässt Spuren!
Julia Enxing, Dresden
Unorthodox (2020)
Die verfilmte Autobiographie der jüdischen Autorin Deborah Feldman erzählt, wie sie der streng religiösen Sekte ihrer Kindheit entkommen konnte. Und gerade im verbotenen Deutschland fand sie ihre neue Heimat. Der Film stellt in Rückblicken auch die Geschichte ihrer beklemmenden Kindheit, vor allem der Zwangsehe und der Flucht dar. Verfilmt wurde das Buch von der israelischen Regisseurin Anna Winger, die wie Feldman in Berlin lebt.
Esty, die Hauptfigur im Film, gehört zu den chassidischen Satmarern – einer strenggläubigen jüdischen Gemeinschaft, die im damaligen Ungarn vor dem Zweiten Weltkrieg als Sekte galten, in den USA aber nach dem Holocaust als eigenständige, straff organisierte Gemeinschaft aufleben konnte. Geprägt ist sie von einer extremen Abschottung von der Außenwelt. Sie verzichten auf die meisten Annehmlichkeiten; sie sprechen Jiddisch statt Englisch. Und sie setzen jungen Frauen Perücken auf die kahlgeschorenen Köpfe. Die Ehen ihrer Kinder werden arrangiert.
Der Film macht sich nicht über die Gläubigkeit lustig – und zeigt zugleich die Schwierigkeit, den eigenen Weg zu finden. Und er lebt von der Kunst der SchauspielerInnen – wobei hier bewusst JüdInnen von JüdInnen gespielt werden.
Johann Pock, Wien
Zehn Prozent … (2015-2018)
Filme über den Film, in bisher drei Staffeln und 18 Folgen, das ist die Serie Call my agent, im französischen Original «Dix pour cent», weil Agenten zehn Prozent der Gage derer erhalten, die sie vermitteln … Ort und Thema ist die Pariser Schauspielagentur «ASK», Protagonisten sind die vier Inhaber, Agentinnen und Agenten also, zu deren Kundenstamm das Who is who des französischen Kinos gehört. Das Besondere: Die Zelebritäten spielen sich selbst, Folge auf Folge gibt es neue Highlights bei der Arbeit und hinter den Kulissen des Drehs zu erleben: Cécile de France, Nathalie Baye, Julie Gayet, Isabelle Adjani, Fabrice Luchini, Jean Dujardin, Guy Marchand, Isabelle Huppert, die großen Diven Line Renaud und Françoise Fabian, aber auch Monica Belluci, Michel Drucker, und natürlich die Binoche.
Geschichten gibt’s da genug, und sie drehen die große Bühne einmal um und erzählen aus Vermittlersicht. Das glanzvolle Geschäft wird dabei auf derart intelligent-amüsante, humorvoll-rasante Weise entzaubert, dass schon wieder neuer Zauber entsteht. Wie ginge das ohne die Geschichte des Kinos? Gar nicht. Und da sind wir beim Kern: Es ist eine Liebeserklärung ans Kino, und das heißt: ans französische Kino mit seiner großen Historie. Ist das eitel? Schon. Dürfen die das? Aber ja. Denn niemand kann mit so verführender Leichtigkeit eitel und auch ein bisschen elitär sein wie die Franzosen. Denn natürlich gilt: Je mehr man franko-cinephil ist, umso subtiler der Genuss. Dennoch: Chapeau, was für kluge und gute Unterhaltung!
Und dann das: Vor ein paar Wochen sah ich in einer Talkshow Thibault de Montalembert, in der Serie Darsteller des intriganten, aber auch hemmungslos menschelnden Chef-Agenten Mathias Barneville. Er stellte seine Autobiografie vor mit dem großartigen Titel: «Et le verbe se fait chair» (Und das Wort wird Fleisch). Klang schon so theologisch. Ich recherchierte und siehe da: Der Mann stammt aus altem katholischen Adel, liest Johannes vom Kreuz und Teresa von Avila, wäre beinahe mal Priester geworden, ist Gottsucher bis heute und redet auch drüber … Aussagen mit Delicatesse sind das, die im laikalen französischen Kontext viel mehr Obertöne haben als diesseits des Rheins. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte … [Amazon Video, iTunes, Google Play]
Daniel Bogner, Fribourg
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AutorInnen: Mitglieder der feinschwarz.net-Redaktion.
Bild: Alex Litvin auf Unsplash.