Grenzzäune, Passkontrollen und die Forderung nach einer Festung Europa: Matthias Scharer (Innsbruck) kommentiert die gegenwärtige österreichische Flüchtlingspolitik.
Die erste Festung, die ich als Kind gesehen und besucht habe, war die Festung Hohensalzburg. Sie wurde im Jahr 1077 von Erzbischof Gebhard erbaut und ist die größte vollständig erhaltene Burg Mitteleuropas. Ursprünglich wurde sie zum Schutz der Erzbischöfe errichtet. Später war sie auch Kaserne und Gefängnis. Heute ist sie eine Tourismusattraktion.
Wenn ich die Rede von der „Festung Europa“ höre, die sich speziell die österreichische Innenministerin angeeignet hat, steht mir jedes Mal Hohensalzburg vor Augen. Wer hätte sich vor einigen Jahren auch nur im Traum ausmalen können, dass irgendwann einmal das moderne Europa mit dieser Touristenattraktion aus fernen Zeiten verglichen wird. Die österreichischen Politikerinnen und Politiker schaffen es! Sie bringen sogar zustande, Rechtsgutachten zum Verbot der Festlegung von Flüchtlingsobergrenzen so zu interpretieren als wären die Österreicherinnen und Österreicher bereits in die Festung geflohen, weil draußen Chaos und Unsicherheit herrschten. Niemand mehr sei vor fremden Asylanten sicher, welche die Festung wie im Sturm erobern wollen. Angesichts der umfassenden Bedrohung durch Fremde muss man jedenfalls deren minimale finanzielle Absicherung soweit kürzen, dass sie zur Obdachlosigkeit verdammt werden. Wie kann man übrigens eine Zuwendung, die sich „Mindestsicherung“ nennt, noch unterschreiten?
Politikerinnen und Politiker, für die man sich schämen muss
Das Freund-Feind Schema, die Wir-Ihr-Ideologie, die bisher das traurige „Privileg“ extrem rechter Parteien waren, sind nun in die Mitte der Parteien gerückt. Metaphern wie „Ende des Durchwinkens“, Mauerbau usw., die vor einem Jahr von (fast) allen SPÖ- PolitikerInnen strikt abgelehnt und bei ÖVP-PolitikerInnen zumindest umstritten waren, werden von den bisherigen Parteien der Mitte ohne Umschweife litaneimäßig wiederholt und den Menschen eingetrichtert. Was das bedeutet kann sich jede und jeder ausmalen, die/der sich nur ein wenig das geistige Klima im aufkommenden Nationalsozialismus vor Augen führt. Damals wurden antisemitische Reden Schritt für Schritt hoffähig. Man musste sich auf einmal vor der Überfremdung durch Juden und andere Nicht-Arier, die bis dahin als staatstragende MitbürgerInnen galten, schützen. Der Schritt zu deren Vernichtung war nicht weit.
Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Doch die Siegesposen, mit denen die problematischen – und vor internationalen Gerichten sicherlich nicht haltbaren – Interpretationen von Gutachten zur Flüchtlingsobergrenze und zur Reduzierung von Sozialleistungen für Flüchtlinge medial vermittelt werden, ist abstoßend. Einen Ausnahme- oder Notzustand für Österreich zu konstruieren wäre geradezu lächerlich, wenn es nicht auf dem Rücken von betroffenen Menschen ausgetragen würde. Tatsächlich ist es zunehmend gefährlich, in Österreich zu leben: Nicht wegen der Bedrohung durch schutzsuchende Flüchtlinge, sondern durch österreichische Politikerinnen und Politiker, für die man sich schämen muss.
Bildquelle: http://1000weltwunder.blogspot.co.at/2010/09/festung-hohensalzburg-in-salzburg.html