Die Geschwister Scholl hat neben der politischen auch ihre christliche Überzeugung zum kompromisslosen Handeln bewegt. Eine neue Biografie befasst sich vor allem mit Hans Scholl. Stefan Hartmann setzt sich damit auseinander.
Der SS-Mann und Kriminalobersekretär Robert Mohr, der die Scholl-Geschwister vor ihrer Hinrichtung im Münchener Gestapo-Gefängnis verhörte, meinte später: “Ich kann nur wiederholen, dass dieses Mädel, wie auch ihr Bruder, eine Haltung bewahrt hat, die sich nur erklären lässt mit Charakterstärke, ausgeprägter Geschwisterliebe und einer selten tiefen Gläubigkeit“ (217)1. Da beide mit dem Ruf „Es lebe die Freiheit!“ in den Tod gingen, stand lange die politische Dimension des Widerstandes der „Weißen Rose“ im Vordergrund. Die tiefe christliche Gläubigkeit der Widerstandsbewegung wurde oft übersehen.
Endlich hat auch Hans Scholl eine ausführliche Darstellung erhalten.
Erst der von Detlef Bald und Jakob Knab mit einem Geleitwort von Hans Maier herausgegebene Band „Die Stärkeren im Geiste“ (Essen 2012) hat hier die nötige Ergänzung präsentiert. Auch stand Hans Scholl immer ein wenig im Schatten (oder im Licht) seiner Schwester Sophie, deren Büste als eine Art Johanna von Orleans des Widerstandes in die Regensburger Walhalla einzog und über die es mehrere Biografien gibt – erwähnenswert ist besonders jene von Barbara Beuys (München 2010). Nach Barbara Ellermeiers mehr erzählerischer Biografie (Hamburg 2012) hat nun endlich auch Hans Scholl, der eigentliche Inspirator der Bewegung, eine ausführliche an Quellen- und Brieftexten orientierte Darstellung erhalten. Der evangelische Theologe Robert M. Zoske, der bereits über die religiöse Entwicklung von Hans Scholl schrieb („Sehnsucht nach Licht“, München 2014), veröffentlichte sie nun im 100. Geburtsjahr unter dem an Friedrich Nietzsche und Stefan George orientierten Lebensmotto „Flamme sein!“ mit der Schilderung aller relevanten Begegnungen, Einflüssen und Konstellationen des Widerstandes der von ihm begründeten „Weißen Rose“. Die Namenswahl begründete Scholl mit Clemens Brentanos „Romanzen vom Rosenkranz“, vermutlich hat aber auch die bekannte weiße „Lutherrose“ Pate gestanden (174ff).
ein mitreissender Feuerkopf, der nichts Halbes kannte
In allen Phasen seines von Zoske geschilderten kurzen und bewegten Lebens war Hans Scholl (1918-1943) ein mitreißender Feuerkopf, der nichts Halbes kannte. Er ließ sich gegen den Protest seiner Eltern 1933 in die Hitlerjugend (HJ) aufnehmen, war Fahnenträger am Nürnberger Reichsparteitag 1935. Mehr noch prägte ihn die bündische Jugend mit ihren Nordland-Reisen und ihrem Gründer Eberhard Koebel, der eine „Heldenfibel“ verfasste. Stefan Georges Satz „Wer je die flamme umschritt / Bleibe der flamme trabant!“ war ihm frühes Lebensmotto, in eigenen Worten: „Wir wollen doch Flamme sein. Unsere Kraft muß federnder Stahl sein, unsere Seele trockene Weißglut“ (44). Diese Begeisterung enthielt schon eine homoerotische Komponente, die dann auch zum Durchbruch kam. Wegen Beziehungen zu Ernst Reden und Rolf Futterknecht wurde Scholl 1937 siebzehn Tage inhaftiert, der Homosexualität (§ 175) und des sexuellen Missbrauchs Abhängiger (§174) angeklagt. Das kluge Verhalten seiner Eltern hat zu seiner baldigen Freilassung und einem milden Urteil beigetragen.
Beziehungen zu Frauen scheiterten oft schon nach kurzer Zeit
Hans stürzte sich erst einmal in die aussichtslos idealisierte Liebe zu minderjährigen Mädchen (Lisa Remppis und Ute Borchers), verfasste auch religiöse Gedichte zu Maria, mit denen er sich von seiner „Schuld“ reinwaschen wollte. Andere Beziehungen zu Frauen scheiterten oft schon nach kurzer Zeit: Rose Nägele, mit der er noch lange korrespondierte, Traute Lafranz, deren Nähe zur Anthroposophie Rudolf Steiners er wenig abgewinnen konnte, und zuletzt Gisela Schartling (191f). „Jede Liaison – ob männlich oder weiblich –, die Hans Scholl hatte, verlief konfliktreich und schmerzhaft“ (211). Die intellektuelle Wahrheitssuche stand mehr im Vordergrund und wurde intensiv von seinen Schwestern Inge und Sophie begleitet. Engster geistiger Freund war ihm Alexander Schmorell, der im Juli 1943 hingerichtet wurde und den die russisch-orthodoxe Kirche des Westens inzwischen heiliggesprochen hat.
die lange tabuisierte Homosexualität von Hans Scholl
Alle diese Beziehungen werden in Einzelheiten von Zoske mit Zitaten aus Briefen und Tagebüchern belegt. Die gerichtsnotorisch gewordene und lange von Schwester Inge und Biografen tabuisierte Homosexualität von Hans Scholl kann sicher zu seinem Widerstand gegen ein homophobes totalitäres Regime beigetragen haben. Aber er hat sich von den für ihn peinlichen Vorfällen distanziert und blieb ein einsamer Sucher seines Weges zur Wahrheit. Lesen war die Leidenschaft des auch selbst sich in Gedichten ausdrückenden Hans Scholl. Stefan George war ein Auftakt, zu Beginn des Medizinstudiums wurde Friedrich Nietzsche ein Leitstern. Dessen Wort „Flamme bin ich sicherlich“ war ihm vertraut. Die Lektüre des katholischen Metaphysikers Alois Dempf bildete dazu einen Gegenpol (109f).
Friedrich Nietzsches Wort „Flamme bin ich sicherlich“
Zoske beschreibt ausführlich die Hinwendung des nationalistisch-elitären George-Jüngers zum entschiedenen Christen und wagemutigen Widerständler. Dafür waren 1941 die Begegnungen mit den Katholiken Carl Muth, Herausgeber des „Hochland“, und Theodor Haecker, dem apologetischen Konvertiten und Übersetzer Kierkegaards und Newmans, wichtig. Muth widmete Hans Scholl im Juli 1942 sein George-kritisches Buch „Schöpfer und Magier“. Haecker wird von Zoske einseitig in eine antimodernistische Ecke gestellt und sogar des Antisemitismus verdächtigt. Dafür hätten auch Zitate Dietrich Bonhoeffers Material liefern können. Haeckers Ablehnung des Nationalsozialismus hat Scholl beeindruckt, die Diffamierung Georges und Thomas Manns jedoch abgestoßen. Seine späteren „Weiße Rose“-Flugblätter haben bewusst an Manns Radiosendungen „Deutsche Hörer!“ angeknüpft.
Hinwendung zum Christlichen
Unter allein, im Freundeskreis oder mit den Schwestern gelesenen Autoren, die Hans Scholls geistige Hinwendung zum Christlichen motiviert haben, nennt Zoske Nikolai Berdjajew (123-126) und Paul Claudel (137-141). Die Frühjahrslektüre 1941 von Georges Bernanos‘ „Tagebuch eines Landpfarrers“ bleibt unerwähnt (dazu Beuys, Sophie Scholl, 254-256). Die Lektüre Schleiermachers (bloß weil seine „Reden“ in der Bibliothek waren) wird vom Biografen sicher überbewertet (151-153). Von Claudel faszinierte Hans Scholl 1941 ein Text über das Turiner Grabtuch, der Briefwechsel mit Jacques Rivière und das im Freundeskreis gelesene große Drama „Der seidene Schuh“, das 1939 in einer Übersetzung von Hans Urs von Balthasar in Salzburg erschien. Parallel wurde der ebenfalls von Balthasar, dem späteren großen Theologen (1905-1988), übersetzte Psalmenkommentar des Aurelius Augustinus gelesen. In sein Exemplar schrieb er als Besitzeintrag „Hans Scholl 1941 – zur Zeit der Wende“. Am 21. Dezember 1941 schrieb er an einen Jugendgefährten dazu das Bekenntnis: „Sehnsucht nach dem Lichte und nach der Erleuchtung haben uns zu der einzig hellen Stelle geführt, die uns geblieben ist: Christus. Und die uns bleiben wird. Unser ganzer Hintergrund und unser Wegweiser und Ziel ist Er“ (139).
„die innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat“
Aus dieser Überzeugung ergibt sich der bekannte Rest der im Märtyrertod endenden Biografie Hans Scholls, seiner Schwester und seiner Freunde. Wie Alexander Schmorell war ihm dem Gewissen folgend „die innere Verpflichtung zum Handeln gegen den nationalsozialistischen Staat“ (203) höher als jede Loyalität gegenüber dem Unrechtsregime. Das ehemalige Parteimitglied Professor Kurt Huber (1893-1943) wurde ab 1942 ein engagierter Mitplaner des Widerstandes. Indem er in den Flugblatttexten „Freiheit und Ehre“ begrifflich zusammenband, setzte er Akzente gegen nationalistischen Missbrauch. Dabei trug den Inspirator Hans Scholl auch die Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem dreifachen Familienvater Christoph Probst, der mit den Geschwistern hingerichtet wurde und sich zuvor katholisch taufen ließ, dem am 12. Oktober 1943 hingerichteten gleichaltrigen Saarländer Willi Graf, dessen Seligsprechung vorbereitet wird, und dem katholischen Glasmaler Wilhelm Geyer (1900-1968), mit dem Hans den letzten Abend vor seiner Verhaftung in einer Gastwirtschaft verbrachte.
Die exakt recherchierte Scholl-Biografie von Robert M. Zoske setzt Maßstäbe und zeigt bisher unbeachtete Zusammenhänge auf. Ein ruheloser „homo viator“ (148) fand eine wohl abschließende Deutung und umfassende Darstellung, deren Zeitsprünge die Lektüre leider etwas erschweren. Sie enthält auch erstmalig die vielen Gedichte von Hans Scholl, die eine eigene Würdigung verdienten, und den Text der verschiedenen Flugblätter. Die christliche Motivation des jugendlichen Widerstandes der „Weißen Rose“, die schon sehr früh von Romano Guardini (1885-1968) gesehen wurde, dürfte unumstritten sein.
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Stefan Hartmann, Dr. theol.
Beitragsbild: By Amrei-Marie (Own work), via Wikimedia Commons.
- Die Zahlen im Text beziehen sich auf folgendes Buch: Robert M. Zoske, Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose. Eine Biografie, München 2018, 368 S. ↩