Konrad Baumgartner, emeritierter Professor für Pastoraltheologie, erinnert angesichts der Herausforderungen durch Flüchtlinge an diesbezügliche Grundzüge des christlichen Ethos. Öffnet die Herzen und die Türen!
Aufruf des Papstes
Am Sonntag 6.September 2015, hat Papst Franziskus beim Angelusgebet die Gläubigen in aller Welt dazu aufgefordert, dass sie den Flüchtlingen aus dem Nahen und Fernen Osten und aus Afrika Schutz geben und ihnen Hilfe zuteil werden lassen, auch durch die Beherbergung in ihren Wohnungen und Häusern. Die Bistümer und Ordensgemeinschaften bat er zu prüfen, ob sie nicht Räume für die Menschen in Not zur Verfügung stellen könnten. Er selbst sei bereit in Räumen des Vatikans Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Appell verhallte nicht ungehört: Bischöfe und Pfarrer riefen die Gläubigen auf diese Aktion durch die helfende Tat zu unterstützen und durch Gebet und Opfer die himmelschreiende Not der Heimat Suchenden vor den lebendigen Gott zu bringen.
Gebet für die Flüchtlinge
In den „Messen für besondere Anliegen“ findet sich auch eine Votivmesse „FürFlüchtlinge und Heimatvertriebene“.
…uns aber gib ein Herz für die Notleidenden
Im Tagesgebet heißt es da: „Gott, unser Vater, dir ist kein Mensch fremd, keiner ist dir so fern, dass deine Hilfe ihn nicht erreichen könnte. Schau gnädig auf die Flüchtlinge, die Heimatvertriebenen, die Ausgestoßenen und die auseinander gerissenen Familien. Schenke ihnen Heimat und Geborgenheit wieder, uns aber gib ein Herz für die Notleidenden. Darum bitten wir im Heiligen Geist, durch Christus, unseren Herrn. Amen.“
Flucht, Aufnahme und Ablehnung
Unvorstellbar sind die Fluchtbewegungen auf unserer Erde wegen Krieg und Verfolgung, Gewalt und Vertreibung, wegen Hunger und Arbeitslosigkeit geworden. Unvorstellbar ist das Leid der Menschen auf der Flucht, die oft alles verloren haben: Heimat und Geld, Angehörige und Freunde. Die Strapazen unterwegs: Hunger und Durst, Ausraubung und Verhaftung, Krankheiten und Verzweiflung übersteigen die Vorstellungskraft. In den Heimatländern mussten die alten und kranken, die behinderten und armen Menschen zurückbleiben, sie sind einem ungewissen Schicksal ausgeliefert. Doch bereits unterwegs haben die Flüchtlinge auch viel an Hilfe erlebt: ihre Rettung aus Seenot, den Schutz vor Schleppern und Räubern, die Zuwendung durch die Bewohner in den Ländern unterwegs.
Die europäischen Länder reagierten sehr unterschiedlich auf diese Herausforderung: mit Öffnung und Solidarität, mit Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur die einen, mit Ablehnung und Abschottung die anderen. Dazu kam die Bedrohung der Flüchtlinge im Aufnahmeland: Hass und Ablehnung, begleitet von brennenden Unterkünften der Asylsuchenden und Morddrohungen gegen Helfer und Sympathisanten. Wirtschaftliche Interessen überlagerten die Hilfsabsichten.
Gelingt es eine „Kultur der guten Nachbarschaft“ aufzubauen?
Die Aufnahmebereitschaft droht inzwischen bei vielen umzukippen in Abwehr und Sorge um den eigenen Lebensstandard. Die Probleme werden uns über Jahrzehnte erhalten bleiben: können wir die Flüchtlinge bei uns integrieren, wird unsere Kultur nicht überfremdet, ist all das auch finanziell zu schaffen? Gelingt es eine „Kultur der guten Nachbarschaft“ aufzubauen? Fragen über Fragen, auf die nicht nur die Politik und die Wirtschaft Antworten suchen und finden müssen, sondern auch wir alle. Nur mit großer politischer Unterstützung, aber auch unter Abwägung der Konsequenzen für Länder und Bewohner können realistische Aktionen zum Ziel führen. Der Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Fuad Twal, sagt: „Die Lösung der Flüchtlingskrise lautet: Setzt euch für Frieden in den Heimatländern dieser Menschen ein.“
Besinnung auf das christliche Ethos
Wichtig dabei ist und bleibt, dass wir uns auf die Werte besinnen, die Grundlagen unserer Kultur und unserer Lebenseinstellung sind: das christliche Ethos. Bereits das Judentum spricht davon, dass es zur Gottes- und Nächstenliebe hinzu die Liebe zu den Fremden geben muss: „Gott liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung – auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen.“ (Dtn 18f) Und Jesus verbindet mit dem Beispiel der Sorge des Fremden aus Samaria um den Halbtoten am Straßenrand die Weisung: der sich an ihm als barmherzig Handelnder erwiesen hat, ist sein Nächster geworden. „Geh und handle genauso!“(Lk 10,36f)
Nächstenliebe muss globalisiert werden
Über die Einzelhilfe hinaus sind freilich die Institutionen der internationalen Gemeinschaft zur Aufnahme der Flüchtlinge und zur Hilfe aufgerufen. So sieht es schon das 2.Vatikanische Konzil: diese Organisationen sind aufgerufen, „die Leiden der Flüchtlinge in der ganzen Welt zu lindern oder auch Auswanderer und ihre Familien zu unterstützen.“ (GS 84) Am 15. Mai 2015 erinnerte die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken daran, dass das „das christliche Gebot der Nächstenliebe und die europäischen Grundwerte …“ uns dazu verpflichten, „Flüchtlinge zu retten und sie bei der Suche nach einer neuen Lebensperspektive zu unterstützen.“ Denn: „Jeder Mensch auf dieser Erde ist mein Nächster, ist mein Bruder und meine Schwester und ich muss mich – einfach weil er ein Mensch ist wie ich – für ihn einsetzen“ (St. Keßler): ich muss ihm zum Nächsten werden.
(Prof. em. Dr. Konrad Baumgartner, Regensburg)