Beim Begräbnis des französischen Rockidols Johnny Hallyday verwischen die Grenzen von katholischer Kirche und laizistischem Staat. Ausgerechnet am Tag der Laizität ist Präsident Macron versucht, mit einem Weihwedel zu segnen. Das wurde akzeptiert, weil es eigentlich um etwas Größeres ging: die säkulare Religion der Populärkultur. Von Isabelle Jonveaux.
Johnny Hallyday war der französische Elvis Presley. Er war in den 60er Jahren „l’idole des jeunes“, „das Idol der Jugend“. Beinahe 60 Jahre war er auf der Bühne – natürlich in vorderster Front – zuhause. Seit Ende der 50er Jahre brachte er den Rock’n’Roll nach Frankreich und hat über hundert Millionen Platten verkauft. Alle Französinnen und Franzosen kennen seine berühmtesten Lieder wie „Ma gueule“, „Que je t’aime“ oder „Allumer le feu“. Am 5. Dezember 2017 starb die französische Rockikone mit 74 Jahren an Lungenkrebs.
Am 9. Dezember bekam Johnny Hallyday eine „Volkswürdigung“, bei der eine Million Fans ihm die letzte Ehre erwiesen haben. Ein Trauerzug, begleitet von 700 Motorrädern, fuhr auf der Champs-Elysees vom Triumphbogen bis zur Kirche La Madeleine, in der eine religiöse Zeremonie stattfand.
Die außergewöhnliche Sichtbarkeit der Religion überrascht im französischen Kontext der Laizität.
Bisher gibt es nichts Besonderes zu berichten, außer einer riesigen Verabschiedung des Volks von einem seiner größten Popstars. Der Präsident bezeichnete Hallyday sogar als einen„französischen Helden“. Was ich als Religionssoziologin aber nicht übersehen konnte, war die außergewöhnliche Sichtbarkeit der Religion bei diesem öffentlichen Ereignis, die im französischen Kontext der Laizität überrascht.
Die Fassade der Kirche war mit einem riesigen Schwarz-Weiß-Porträt geschmückt, worauf der Sänger ein großes Kreuz – oder besser gesagt ein Kruzifix – trägt. Ebenso trug seine Frau ein solches Kreuz, das man gut sehen konnte. Als der weiße Sarg auf den Vorplatz der Kirche getragen wurde, hielt Präsident Macron dort eine Rede. In den Medien wurde erklärt, dass er diese Rede draußen gehalten habe, um die Laizität zu respektieren. Innerhalb einer Kirche dürfe ein Präsident nicht zu Wort kommen.
Vor dem Sarg von Johnny Hallyday sieht es aus, als ob Kirche und Staat Hand in Hand stehen würden.
Dennoch stand er neben dem Generalvikar von Paris, der die Liturgie leitete. Nach dem Applaus, mit dem das Publikum diese Rede begrüßte, begann der Priester übergangslos die religiöse Zeremonie. „Jean-Philippe Smet, Johnny, Sie wurden auf den Tod und die Auferstehung Christi getauft“. Vor dem Sarg von Johnny Hallyday sieht es aus, als ob Kirche und Staat Hand in Hand stehen würden.
Während der Zeremonie scheint es auch, als ob das Gefühl der Trauer um Johnny eine außergewöhnliche Communio schaffen würde. Zwischen den Fürbitten, von der Schauspielerin Carole Bouquet gelesen, spielt eine Band mit der Gitarre die berühmtesten Lieder von Johnny. Das Publikum klatscht. Auch Präsident Macron und seine Frau beginnen zu klatschen. Vor drei Präsidenten, zwei ehemaligen, Sarkozy und Holland, und dem aktuellen sagt ein Freund des Sängers in seiner Rede: „Johnny ist als Katholik geboren und als Katholik gestorben“. Die Situation wirkt auf französische Hörerinnen und Hörer ziemlich irreal.
Präsident Macron will schon den Weihwedel nehmen, um den Sarg zu segnen, als er im letzten Moment seine Meinung ändert.
Der Höhepunkt dieser Verwischung der Grenzen zwischen Staat und Kirche ereignet sich am Ende der Zeremonie. Präsident Macron will schon den Weihwedel nehmen, um den Sarg zu segnen, als er im letzten Moment seine Meinung ändert und seine Hände stattdessen für einen kurzen Moment auf dem Sarg ablegt. Am nächsten Tag wurde diese Geste in den Medien kommentiert. Waren die Emotion und die Verbindung so groß, dass der Präsident kurz vergessen hatte, dass er die Laizität vertritt?
Wieso wurde diese Vermischung der Kategorien bei der Würdigung von Johnny Hallyday akzeptiert? Haben wir vor dem Sarg von Johnny Hallyday eine Versöhnung zwischen dem Staat und der katholischen Kirche beobachten können? Die Ironie ist, dass der 9. Dezember seit 2011 der Tag der Laizität in Frankreich ist. 1905 wurde an diesem Tag das Gesetz der Trennung zwischen dem Staat und den Kirchen unterschrieben.
Der Katholizismus war an diesem Moment plausibel, weil er von einem säkularen Kult der Popkultur getragen wurde.
Warum wurden plötzlich solche Zeichen und Symbole akzeptiert, während man zeitgleich Weihnachtskrippen im öffentlichen Bereich verbietet und das Kreuz auf einer Statue von Johannes Paul II. weggenommen hat? Es wurde akzeptiert, weil es eigentlich um etwas Größeres ging: die säkulare Religion der Populärkultur.
Wir haben mehr beobachtet als eine Rückkehr der institutionellen Religion in die Öffentlichkeit oder die Nostalgie einer katholischen Identität Frankreichs. Es war die Mischung der institutionellen Religion und der säkularen Religion, die aus dem Kult eines Volkskulturstars erwachsen ist. Es war religiös, ohne Zweifel. Aber es war mehr als katholisch. Auch Guy Gilbert, der Rockerpriester, der im Presbyterium neben dem Hauptzelebranten anwesend war, trug nur eine Stola, ohne Talar, aber mit Rockergewand aus Leder. Der Katholizismus war in diesem Moment plausibel, weil er von einem säkularen Kult der Popkultur getragen wurde.
Johnny, der französische „bad boy“, hat also bei seinem Begräbnis zwei Grenzüberschreitungen geschafft.
Johnny war katholisch, hat fast immer bei seinen Konzerten ein Kreuz getragen und hat mehrere Lieder mit katholischem Bezug gesungen. 1970 hatte er aber wegen seines Liedes „Jésus Christ est un hippie“ (Jesus Christus ist ein Hippie) Probleme mit dem Vatikan bekommen. Man hätte denken können, dass diese religiösen Elemente, wie Hubert Knoblauch es für die Anleihen Madonnas an Marienbildern erklärt, „für sich genommen nicht religiöser als viele andere Aspekte der Kinder- und Jugendkultur [sind]“ (Knoblauch, 2009, 248). Bei dem Begräbnis war die Religion aber wirklich und explizit anwesend. Jedoch konnte ihre Sichtbarkeit im öffentlichen Bereich nur dadurch gerechtfertigt werden, weil es auch um populäre Religion ging.
Es hat so ausgeschaut, als ob Frankreich für einen kurzen Moment die Laizität fast vergessen hätte.
Johnny, der französische „bad boy“, hat also bei seinem Begräbnis zwei Grenzüberschreitungen geschafft: Die religiösen Elemente der Populärkultur wurden von der institutionellen Religion anerkannt und die institutionelle Religion durfte bei einer offiziellen Zeremonie mit den größten Autoritäten des Staats zugegen sein. Andererseits konnte auch der Staat diese Grenzüberschreitung annehmen und rechtfertigen, weil es hauptsächlich um die säkulare Religion der Popkultur ging.
Es schaute so aus, als ob Frankreich für einen kurzen Moment – ausgerechnet am Tag der Laizität – die Laizität fast vergessen hätte. Aber dieses Spiel mit den Grenzen war nur möglich, weil der Kult der Popkultur sowohl den Staat als auch die institutionelle Religion transzendiert. Ist also Johnny ein größerer Gott, der für einige Stunden die Versöhnung zwischen Staat und Kirche in Frankreich schafft?
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Dr. Isabelle Jonveaux ist Religionswissenschaftlerin am Centres d’Etudes de Sciences Sociales du Religieux (CéSor) in Paris.
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