Vom 11. – 18. Mai 2019 findet in den deutschsprachigen Diözesen die Streik-Aktion „Maria 2.0“ statt. Aus diesem Anlass veröffentlicht Feinschwarz.net erneut ein beeindruckendes Statement:
Eine Katholikin erzählt offen von ihrem Leben und der in dieses Leben verwobenen Religion. In ihrem männerdominierten beruflichen Umfeld befürchtet sie Schwierigkeiten, wenn sie Privates preisgibt. Ihren Namen möchte sie deshalb nicht veröffentlicht sehen.
Meine Mutter sagte eines Tages zu mir, als ich ungefähr zehn Jahre alt war: „Es wäre schon gut, wenn Du einen Mann findest, der auch katholisch ist. … Wobei Papa bestimmt auch damit leben kann, wenn Du einen evangelischen Mann heiratest. Mit einem Moslem ist es schwierig.“ Und ich dachte, es geht um Liebe, wenn eine Frau einen Mann heiratet.
… und ich dachte, es geht um Liebe –
„Wenn Du böse bist, kommst Du nicht in den Himmel“, hörte ich als Kind immer wieder. Ich war nicht einfach als Kind, aber böse? Ich war frech, aufsässig und habe bis heute meinen eigenen Kopf. Trotzdem oder erst recht war Jesus als Kind mein Vorbild. Ich wollte schließlich in den Himmel kommen. Und die Geschichten um sein Leben versprachen mir damals, dass ich in den Himmel komme, wenn ich so lebe wie er.
Ist Religion schlecht für Frauen? Was heißt eigentlich Religion? Für mich ist Religion mein persönlicher Glaube, den ich durch meine Familie, die Schule, die Kirche und den Jugendverband „katholisch“ kennengelernt habe. Nicht, dass ich andere Religionen nicht respektieren würde. Hin und wieder habe ich mir die Frage gestellt, ob ich konvertieren sollte. Eigentlich kam dabei nur ein Konvertieren ins Evangelische oder Altkatholische in Frage. In besonders unruhigen Phasen wünschte ich mir die Gelassenheit von Buddha. Später die Gelassenheit einer Kuh. Näher beschäftigt habe ich mich aber nie mit einer anderen Religion oder einem anderen Bekenntnis. Die Fragen traten auf, als ich erstmals in meinem Leben in eine Gegend zog, wo der Protestantismus stärker verbreitet war und mein Glaube kritisch hinterfragt wurde. Damit kam ich plötzlich in Situationen, in denen ich meinen Glauben verteidigen wollte. Es war der gleiche Zeitpunkt, als mein damaliger bester Freund, ein evangelischer Pastorensohn, und ich uns gegenseitig neckten und uns immer ein blöder Witz über die jeweils andere Konfession einfiel.
In besonders unruhigen Phasen wünschte ich mir die Gelassenheit von Buddha.
Ich bin am Rande einer Stadt in ländlicher Gegend aufgewachsen, in einer großen Familie mit vielen Frauen, auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Wir beteten am Morgen vor Abfahrt zur Schule, vor und nach dem Mittagessen und abends vorm Schlafengehen. Manchmal auch zwischendurch ein Stoßgebet aus Sorge vor irgendetwas Wichtigem. Beten war Alltag und passierte für mich manchmal mechanisch und beiläufig und manchmal mit Hingabe. Meine Eltern legten darauf sehr großen Wert. Ich glaube. Manchmal mehr und manchmal weniger. Gott lässt mich selten zweifeln, es sind immer die Entscheider und Vertreter der Kirche, die mich zweifeln lassen.
Gott lässt mich selten zweifeln.
In dem katholischen Jugendverband, zu dem ich gehörte, beschäftigte sich ein Arbeitskreis mehrere Jahre mit dem Thema „Homosexualität“ und mit der Frage, ob man sich dazu positionieren sollte. Der Arbeitskreis startete eine Umfrage. Ich war so froh, als das Thema endlich in meinen Kreisen aufgenommen wurde und dass es damit eine Akzeptanz für das Vorhandensein von Homosexuellen in der Kirche gab. Interessant war allerdings, dass sich nun vor allem geistliche (Beg-)Leiter zu Wort meldeten, die in Diskussionen selten auftraten, um den ehrenamtlichen (echten) Jugendlichen ein Forum zu bieten. „Natürlich liebt Gott alle Menschen“ und „wir müssen da seelsorgerisch tätig werden“, hörte ich in der Diskussion. Bei mir im Herzen spürte ich den Geist der Geistlichen in der Diskussion: „Homosexualität ist krank. Homosexuelle brauchen Hilfe und sie sind nicht gleichzusetzen und damit nicht gleich zu behandeln wie andere Gläubige.“ Ihre Argumentation wirkte despektierlich auf mich. Sie diskutierten über etwas Diffuses, für sie nicht direkt Vorhandenes. Damals diskutierte ich mit ihnen mit heruntergeschluckten Tränen, viel Wut im Bauch, bemüht um ebensolche vorgegebene Sachlichkeit. Sie diskutierten über mich!
Natürlich liebt Gott alle Menschen.
Homosexualität ist nicht weiblich. Nur spiegelt der Umgang der Kirche mit Homosexualität ihr Weltbild und in Ansätzen ist dieser Umgang auch bei Themen wie z.B. „liebende Priester“, „Frauen als Priesterinnen“, „wiederverheiratete Geschiedene“ zu erkennen. Ich verstehe die Bibel als eine Niederschrift der Geschichte. Ich glaube sie. Ich glaube die Geschichte aber nicht wortwörtlich. Ob Petrus eigentlich Petra sein könnte oder ob es auch Jüngerinnen waren, ist in meinen Augen nur ein Ausdruck der Zeitgeschichte, dass es so da steht, wie es da steht. Vielleicht war Judas auch Judith und Maria von Magdala keine Frau? Wer weiß das schon? Die Zweiquellentheorie gibt Anlass, auch über andere Fakten in der Geschichte der Kirche nachzudenken als die überlieferten. Wir sprechen von Gott, dem Gott. Aber ist Gott ein Mann? Eine Frau? Eine Kraft? Wer weiß es schon? Und spielt das eine Rolle? Geht es nicht vielmehr darum, dass Menschen Gutes tun und Liebe in die Welt bringen?
Wer weiß es schon?
Vor einigen Wochen las ich in der Zeitung, dass ein Priester meinte, mit Gott sei es wie mit einem guten Freund. Er braucht ein Gespräch und Freundschaften müssten gepflegt werden. Unmittelbar stellte ich mir die Frage: „Gott braucht mich?“ Eigentlich dachte ich immer, dass ich Gott brauche. Aber ein Mitarbeiter der Kirche, die ja bekanntlich vom Stellvertreter Gottes geleitet wird, meint: „Gott braucht dich“. Das ist eine neue Erkenntnis für mich. Wofür könnte Gott mich brauchen? Zum Beten, Gutestun, Arbeiten, Weltverbessern, Kinderkriegen? In meiner Diözese wird noch aus den 90er Jahren erzählt, dass ein Priester am Sonntag predigte, Frauen gehörten nicht in die Kirche, wenn sie unrein sind, ihre Aufgabe sei es, Kinder zu kriegen. Daraufhin sollen einige Frauen die Kirche verlassen haben. Wenn die Geschichte stimmt, haben diese Frauen die Kirche sicherlich nicht nur räumlich verlassen, sondern auch mit ihren Herzen. Wir haben uns gegen Kinder entschieden. Aus Angst oder Egoismus, da bin ich mir nicht so sicher. Sicher ist nur, dass wir sicher keine Kinder kriegen und mit dieser Entscheidung fühlen wir uns wohl. Ich lebe in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Auf kirchlicher Ebene wird das Zusammenleben zwischen Frau und Frau (und auch weiteren Formen des Zusammenlebens von Menschen) nicht anerkannt, zumindest nicht so, dass es kirchenlegal ist, einen Segen Gottes zu erhalten.
Wofür braucht Gott mich? Mich, die Frau?
Ich komme aus der Region in Deutschland mit der wohl höchsten Mitgliederdichte der katholischen Kirche. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber für mich fühlt es sich so an. Katholische Religion ist Alltag. Obwohl diese Mitglieder wie die Besucherinnen und Besucher der katholischen Kirche in den letzten Jahren immer weniger wurden, lebe ich in einem Dorf, in dem es selbstverständlich ist, dass man sonntags zur Kirche geht. Auch unter der Woche finden Gottesdienste statt, die zwar nicht Kirchen füllen, aber viele Menschen besuchen sie. Bei uns wird gearbeitet, gebetet und gefeiert (ob kirchlich, säkular oder manchmal auch ohne speziellen Anlass das Leben an sich), die Dorfgemeinschaft ist auf Zusammenhalt angelegt.
Ob Religion gut oder schlecht für Frauen ist, kann ich nicht per se beurteilen. Ich kann nur auf den Katholizismus schauen, über andere Religionen zu urteilen, finde ich mit meinem Wissen darüber, vermessen. Was ich aber wahrnehme ist, dass Männer in der katholischen Kirche alle möglichen Aufgaben wahrnehmen dürfen, Frauen aber nicht. Schaue ich in die katholische Theologie als Beruf, sehe ich lauter Männer, die unter sich bleiben. Wenn Männer Gott versprechen, keine Partnerschaft einzugehen, dürfen sie die Botschaft Gottes offiziell als Priester verkünden und das Hochgebet sprechen. Als Frau geht das nicht, und eine logische Begründung dafür ist mir bisher noch nicht begegnet. Wenn ich Katholikinnen beruflich tätig sehe, sehe ich vor allem Pastoralreferentinnen, Sekretärinnen im Pfarrbüro, Küsterinnen, Reinigungskräfte, Krankenschwestern, Erzieherinnen. Theologieprofessorinnen oder Frauen in Leitungspositionen gibt es sicherlich. Aber ich kenne nur eine, die aber aufgrund ihres Geschlechts immer noch nicht dort ist, wo sie hin möchte. Die meisten bei der Kirche angestellten Frauen sind in Berufen tätig, die als „sozial“ gekennzeichnet werden und mit dieser Begründung legitimiert unterbezahlt sind. Nicht nur in der Kirche ist es so. Wenn die Kirche hier nicht mit gutem Beispiel voran geht, von wem darf ich es dann erwarten?
Wir haben als dorfbekanntes Frauenpaar Akzeptanz, Respekt und teilweise auch Anerkennung gefunden. Wir sind fest in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Darauf sind wir sehr stolz und immer wieder dankbar. Dankbar, weil wir es uns nie hätten träumen lassen, dass so ein akzeptierter Umgang in diesem Dorf möglich ist. Wir hatten Vorurteile, nicht die anderen. Sie haben akzeptiert, dass es sich um Liebe handelt.
Autorin: Anonyma; Bild: Michael Fischer-Hoyer
Ist Religion schlecht für Frauen, fragte Doris Strahm provokativ im November 2017 auf feinschwarz. Sie hat Frauen aus der Redaktion damit zu einem Frauenmonat Mai inspiriert, in dem Frauen die Frage aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, über Kultur und Religion nachdenken und Netze spinnen.