Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz hat letzte Woche 75 Jahre Frauenordination und 45 Jahre volle Gleichstellung von Pfarrerinnen im geistlichen Amt gewürdigt. Kerstin Menzel blickt auf den Festgottesdienst zurück und zeigt die wechselvollen Zuschreibungen von Gleichheit und Differenz im Lauf der letzten hundert Jahre.
„Ich möchte Ihnen, den Frauen der ersten Stunde, die erkämpft haben, was für mich heute selbstverständlich ist, danken. Die Entbehrungen, das, was Ihnen versagt geblieben ist, ist kaum nachzuempfinden. Ich kann mich nur verneigen vor Ihrem Mut und Ihrer Unbeugsamkeit.“ So sagt es eine Theologiestudentin am Ende des Festgottesdienstes. In den ersten Bankreihen sitzen viele Frauen, die vor der vollen Gleichstellung im Amt ordiniert wurden oder erfolglos um ihre Ordination gekämpft haben. Die gleiche Arbeit ohne gleiche Rechte getan haben. Die aus dem Dienst entlassen wurden, als sie heirateten: „Wir danken Ihnen für Ihre Tätigkeit und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg den Segen des Herrn.“ Die von der Gemeindeleitung ausgeschlossen wurden oder für jede Abendmahlsfeier auf einer Rüstzeit beim Superintendenten eine Genehmigung einholen mussten.
Krisenzeiten und einzelne mutige Frauen und Männer
Dass sich dies geändert hat, verdankt sich nicht allein der Überzeugungskraft theologischer Argumente, sondern akuten Krisenzeiten – Krieg und Pfarrermangel – und einzelner mutiger Frauen und Männer, die sich mit dem halben Amt für Frauen nicht zufrieden gaben. Die Praxis vor Ort war den kirchenamtlichen Regelungen nicht selten ein, zwei Schritte voraus.
Im Festgottesdienst wurde die Schuld der verweigerten Anerkennung offen angesprochen. Ebenso wie der damit verbundene Verlust für die Amtsträgerinnen, die Gemeinden und die Kirche insgesamt. Wie viele Fähigkeiten, Ideen, Leidenschaft gingen mit der Verweigerung verloren?
Die Rückkehr der Bedenkenträger
Doch sind Frauen im geistlichen Amt wirklich eine Bereicherung für die Kirche? Als die Gleichstellung längst erreicht war und der Anteil der Pfarrerinnen die 30% überschritten hatte, meldeten sich die Bedenkenträger*innen wieder. Die Feminisierung schade dem Ansehen des Berufes, die Qualität der Amtsführung sei in Gefahr, weil der Beruf eher für „Mutti-Typen“ als für Intellektuelle attraktiv werde. Die weibliche Teilzeit-Neigung führe zum Niedergang der Profession.
Soziolog*innen wunderte diese Unruhe in der evangelischen Theologie nicht – hört ein vormals geschlechtshomogener Beruf doch erst mit einem Anteil von über 30% auf, Männer- oder Frauenberuf zu sein. Und mit diesem Wandel erst verliert die Minderheit die Konnotation des Besonderen, steht der Wandel der Berufskultur an. Die Kritik an der Zunahme von Frauen im Amt lässt sich als Reaktion auf diese erhöhte Sichtbarkeit der Minderheit verstehen, sie reaktiviert klassische Geschlechterzuschreibungen und verbindet den wachsenden Anteil von Frauen mit einem konstatierten Bedeutungsverlust von Pfarrberuf und Kirche in der Gesellschaft – mit dem Frauen jedoch ursächlich nichts zu tun haben. Immerhin repräsentiert diese Position nur eine Minderheit in evangelischer Kirche und Theologie, zumeist wird die Präsenz von Frauen im Pfarramt als positives „Markenzeichen“ wahrgenommen.
Spezifisch weibliches Amt?
Die Diskussion holte auch ein Thema hervor, das den Kampf um das gleiche Amt immer wieder begleitet hat. Von Beginn an stellte sich die Frage, ob sich das Amt ändert, wenn Frauen es ausüben – ein spezifisch weibliches Amt oder eine spezifisch weibliche Amtsführung?
Nach dem ersten Weltkrieg, als die Forderung nach einem Amt für Frauen in der evangelischen Kirche angesichts der ersten Absolventinnen des Theologiestudiums laut wurde, ging es zunächst um ein Amt „sui generis“, der weibliche „Dienst“ wurde neben das männliche „Amt“ gestellt, Differenzen betont.
Zunächst durften Theologinnen nur als „Vikarinnen“ im Dienst an Frauen, Kindern und Jugendlichen stehen. In den Notzeiten des Krieges gab es dann doch erste Ordinationen – erkämpft von der Hartnäckigkeit von Frauen wie Ilse Härter, die auf die Ankündigung ihrer Einsegnung und damit die Verweigerung der Ordination so reagierte: „Sagen Sie dem Presbyterium, bei meiner Einsegnung werde ich nicht anwesend sein.“ 1943 wurde sie gemeinsam mit Hannelore Reiffen als erste Frau ordiniert, von Präses Kurz Scharf und im Talar – sonst habe man nur ein buntes Sommerkleid und das war den Kritikern, in diesem Fall Otto Dibelius, dann doch nicht recht. Die Bekennende Kirche entschloss sich in diesem Jahr dann doch zur Ordination von Frauen, in Zeiten des Mangels durften Vikarinnen vakante Pfarrstellen unter schwierigen Bedingungen voll vertreten. Doch die Ausnahmesituation des Krieges war bald zu Ende und als die Männer von der Front zurückkehrten, verloren viele Frauen ihre Position.
Zölibat im evangelischen Pfarrdienst – aber nur für Frauen
Das Pfarrvikarinnengesetz der Evangelischen Kirche der Union von 1952 bestätigte zwar die Zulassung zur Ordination von Frauen, Pfarrstellen mussten jedoch umgewandelt werden, Frauen blieben Kasualien, Sakramentsverwaltung und Hauptgottesdienste zumeist verwehrt, sie blieben auch nach der Ordination „Pfarrvikarin“. Mit der Heirat wurden sie aus dem Dienst entlassen (Zölibatsklausel). Entsprechend stand in den 1950er und 60er Jahren der Kampf um das gleiche Amt, um rechtliche Gleichstellung im Zentrum. Jetzt wurde die Gleichheit beider Geschlechter in Bezug auf den ordinierten Dienst betont. Frauen hätten sich längst bewährt und es sei keine Differenz in der Amtsführung zu erkennen. 1962 gab die Evangelische Kirche der Union mit der Pastorinnenverordnung dann Verkündigung und Sakramentsverwaltung für Frauen in gleicher Weise frei. Im östlichen Teil der Berlin-Brandenburgischen Kirche wurde diese Verordnung voll übernommen. Die Synode in West-Berlin bestand jedoch noch auf der Umwandlung von Stellen, Frauen durften nicht ohne männliche Kollegen in einer Gemeinde sein, von der Gemeindeleitung wurden sie weiterhin ausgeschlossen, nach der Heirat wurden sie nur in Ausnahmefällen in Sonderdiensten weiterbeschäftigt. Erst 1974 kam mit dem Pfarrdienstgesetz die volle Gleichstellung in allen unierten Kirchen.
Weibliche Amtsführung als Gewinn
Trotz der Abschaffung der rechtlichen Hürden mussten sich Frauen auch in den 1970er und 80er Jahren in einem von Männern dominierten Beruf etablieren. Die Differenzerfahrungen, die viele damals machten, führten zu einer erneuten Betonung der Unterschiede. Feministische Theologie, Liturgie und Sprache wurden wichtig, von den ordinierten Frauen erhoffte man sich eine sensiblere, sinnlichere, partizipativere Amtsführung. Mit dieser erneuerten Geschlechterzuschreibung wird die tatsächlich vorhandene Vielfalt unter Männern und Frauen vereindeutigt. Die binäre Aufteilung verschleiert Unterschiede unter Frauen und Männern und ignoriert die Vielfalt geschlechtlicher Identität.
Frauen haben den Verweis auf spezifisch weibliche Stärken strategisch genutzt, um den Gewinn des eigenen Geschlechts für Kirche und Gemeinde herauszustellen und eine größere Vielfalt der Berufsführung zu ermöglichen. Andererseits haben diese geschlechterbezogenen Zuschreibungen aber auch häufig zu einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Pfarramt geführt. Pfarrerinnen wurden in Teams die Bereiche angetragen, die weiblichen Kompetenzen mehr entsprechen würden und ihnen bereits in der Zeit als Pfarrvikarin zugestanden wurden: Seelsorge und Diakonie, Arbeit mit Kindern und Frauen. Öffentliche und prestigeträchtigere Aufgaben wurden dagegen eher von Männern wahrgenommen. Nicht selten hat die Idee eines weiblichen „Dienstes“ auch dazu geführt, dass Pfarrerinnen sich klaglos für die Gemeinde aufgeopfert haben und über ihre Grenzen gegangen sind.
Gleichstellung – noch nicht erreicht
Gegenwärtig werden solche Schwierigkeiten sensibler wahrgenommen. Dennoch sind Frauen weiterhin in Funktionspfarrstellen und in Teilzeit überrepräsentiert, in Führungspositionen entspricht ihr Anteil dagegen nicht den inzwischen knapp 35% Frauenanteil im Pfarrdienst. Darin zeigt sich auch: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Begrenzung von beruflichen Aufgaben in einer Zeit des Strukturrückbaus sind Herausforderungen, die Frauen existenzieller betreffen. Nicht nur junge Pfarrerinnen, sondern auch junge Pfarrer rechnen aber heute selbstverständlich damit, dass ihre Partner*innen arbeiten, dass sie Partnerschaft / Familie und Dienst vereinbaren können, dass ihnen eine leidenschaftliche Berufsausübung auch Raum für Freizeit und Distanz zur Berufsrolle erlaubt – und dass sie dennoch professionell und erreichbar Pfarrer*in sein können.
Frauen im Amt: Normalität – nicht für alle
In der Evangelischen Kirche in Deutschland sind Frauen im Pfarramt inzwischen – selbst in Film und Fernsehen – Normalität. In einigen anderen evangelischen Kirchen werden Frauen jedoch weiterhin (z.B. Selbständig Evangelisch-Lutherische Kirche, Ev. Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen) oder nicht mehr (Lettische Ev.-Luth. Kirche) ordiniert.
Die Gegner*innen der Frauenordination berufen sich in literalistischer Weise und unter Absehung des soziokulturellen Kontexts biblischer Schriften (sowie der gewaltvollen Folgen der kulturellen Unterordnung von Frauen) auf bestimmte biblische Passagen. Sie leugnen die wichtige Rolle von Frauen in der Jesusbewegung und der frühen Kirche. Daneben spielen klassische Geschlechterzuschreibungen eine Rolle, die Frauen auf den privaten und sorgenden Raum beschränken wollen. Diese „natürliche“ oder „schöpfungsgemäße Geschlechterordnung“ wird dann in die biblischen Texte hineingelesen. Beim Empfang auf dem Festakt waren die Kolleginnen ganz fassungslos, dass solche Interpretationen heute noch ganz ernsthaft vertreten werden, im Raum der deutschen evangelischen Landeskirchen sind sie so gut wie verschwunden.
Diversitätsgewinn
Frauen haben dem ordinierten Amt in der evangelischen Kirche ein vielfältigeres Gesicht gegeben, sie haben den Bezug des Glaubens zur Lebenswelt gestärkt. Nicht mit einer besonders weiblichen Amtsführung, die alle Pfarrerinnen gleichermaßen auszeichnet, sondern durch die Diversität ihrer Lebens- und Sozialisationserfahrungen, theologischen Ideen, Fähigkeiten und Interessen, Lebensentwürfe und Berufsbilder.
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Dr. Kerstin Menzel ist Pfarrerin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Praktischen Theologie an der Humboldt Universität zu Berlin. Sie hat an der Ausstellung und der Festschrift zum Jubiläum der Frauenordination in ihrer Kirche mitgearbeit.
Bild: EKBO / Rüdiger Kern
Literatur
Uta Pohl-Patalong, Wie anders ist die Pfarrerin?, in: DtPfrBl 6/2000.
Kornelia Sammet, Frauen im Pfarramt. Berufliche Praxis und Geschlechterkonstruktion, Würzburg 2005.
Simone Mantei / Regina Sommer / Ulrike Wagner-Rau (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Pfarrberuf im Wandel. Irritationen, Analysen, Forschungsperspektiven, Stuttgart 2013.
Vorgängerinnen. Der Weg von Frauen in das geistliche Amt. Festschrift zum Jubiläum 45 Jahre Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz, hg. von Rajah Scheepers, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz 2019.