Von Widerstand und Hoffnung ist der Kampf von Frauen um gleiche Rechte in der Betrachtung von Josefine Valentin geprägt. Sie geht dem Kampf der Frauen um eine Stimme und der Rolle der Kirche dabei in der DDR und heute nach.
Die Nachrichtenlandschaft im Jahr 2024 ist geprägt von Angst und Unsicherheit: Kriege, Aufrüstung, der Aufstieg der AfD mit über 30 Prozent bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, Angriffe auf CSD-Demonstrationen in Bautzen durch rechtsradikale Gruppierungen, zunehmende patriarchale Gewalt, sichtbar in der steigenden Zahl an Feminiziden, rassistische Hetze und Politik nach dem Anschlag in Solingen und die Anweisung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die bisherige staatliche und kirchliche Übereinkunft über das Kirchenasyl massiv einzuschränken sind nur einige der alarmierenden Entwicklungen. In Zeiten, in denen häufig ein Bild des „braunen“ Ostens propagiert wird, ohne den zunehmenden Rechtsruck in den alten Bundesländern zu berücksichtigen und in denen das Gefühl der Machtlosigkeit selbst etwas an den politischen und gesellschaftlichen Umständen verändern zu können sich tief in der Gesellschaft verwurzelt hat, lohnt es sich, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Ein Geschichtsverständnis für den Widerstand gegen Krieg und Patriarchat zu stärken, birgt das Potenzial Menschen dazu zu ermutigen, aktiv für eine gerechtere Welt einzutreten und damit die Hoffnung auf ein Leben in Solidarität und Frieden zu nähren.
Die Geschichte der DDR beinhaltet eine Geschichte der politischen Opposition, die sich gegen den repressiven Staat, Militarisierung und patriarchale Unterdrückungsstrukturen zur Wehr setzte. Die Kirche, gerade die evangelische Kirche, spielte dabei eine bedeutende Rolle und sollte sich daran anknüpfend auch heute die Frage stellen, welche Rolle sie in den aktuellen Krisen einnehmen möchte.
Frauenbewegung und Kirche in der DDR: Ein Symbol des Widerstands
Während sich die DDR selbst als „Friedensstaat“ erklärt und dabei 1982 eine Wehrdienstgesetzesreform verabschiedet, die auch Frauen zur Wehrpflicht heranzog, formiert sich in der DDR die nichtstaatliche Bewegung „Frauen für den Frieden“. Die Empörung gegen die verpflichtende Wehrpflicht bringt einzelne Frauen dazu, zunächst vereinzelt Briefe an Regierungsorgane zu formulieren, die ihrer Empörung und Verweigerung Ausdruck verleihen. Der Protest nimmt zu und im Oktober 1982 verfassen sie nun gemeinsam eine Eingabe an Erich Honecker, die 150 Unterschriften trägt. In der Eingabe erklären die Frauen, dass sie „Armeedienst für Frauen nicht als Ausdruck ihrer Gleichberechtigung, sondern als einen Widersinn zu ihrem Frau-Sein“ verstünden. Gleichzeitig fordern sie eine „gesetzlich verankerte Möglichkeit der Verweigerung“.[1] Die Reaktion des Staates darauf ist hart: Drohungen, Vorladungen, Hausarreste und sogar Inhaftierungen waren die Antwort auf diesen friedlichen Protest. Manche Frauen verlieren ihre Arbeitsplätze oder werden auf schlechtere Positionen versetzt.
Ein halböffentlicher Raum,
in dem Menschen offen sprechen können.
Dennoch lassen sich die Frauen nicht einschüchtern. Zwischen 1982 und 1985 sind die Aktivitäten der Bewegung am stärksten. Neben Unterschriftenaktionen organisieren sie Veranstaltungen im kirchlichen Rahmen, wie beispielsweise politische Nachtgebete, die als geschützte Räume dienen, in denen offen über tabuisierte Themen gesprochen werden kann. Das erste politische Nachtgebet wird Anfang 1984 von der Berliner Gruppe unter dem Motto „Kommt, lasst uns klagen, es ist an der Zeit, wir müssen schreien, sonst hört man uns nicht“ ins Leben gerufen. Es folgen weitere Aktionen, die eine noch größere Anzahl von Frauen mobilisieren. Diese Veranstaltungen schaffen innerhalb der evangelischen Kirche einen halböffentlichen Raum, in dem Menschen offen über ihre Anliegen sprechen und ihre Sorgen zum Ausdruck bringen können.
Die „Frauen für den Frieden“ nutzen die Plattform der Kirchen nicht nur für ihre friedenspolitischen Anliegen, sondern auch, um breitere gesellschaftliche Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit anzusprechen. Indem sie christliche Werte als Grundlage ihres Handelns betonen, gelingt es ihnen, ihre Anliegen in einem Kontext zu verankern, der vom Staat schwer anzugreifen ist.
Gedenken an die Verfolgung
homosexueller Menschen
Auch die lesbische Bewegung in der DDR findet bereits in dieser Zeit in den Kirchen Unterstützung. Die „Homosexuelle Interessensgemeinschaft Berlin“, gegründet 1973, stößt auf Hindernisse und Diskriminierung durch die strukturelle Heteronormativität innerhalb der DDR. In den späten 1970er Jahren entstanden auch in der evangelischen Kirche lesbische Arbeitskreise. Diese Gruppen, die ebenfalls staatlicher Repression ausgesetzt ist, nutzt diese Räume, um sich zu vernetzen, zu organisieren und eigene Ausrücke für ihre Lebensrealitäten zu finden. Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt und die Möglichkeit überhaupt in die Öffentlichkeit zu treten, stellte das Gedenken an die Verfolgung homosexueller Menschen im Nationalsozialismus dar. Innerhalb der DDR findet die Vernetzung der Gruppen untereinander auch überregional statt, beispielsweise durch die Lesbenzeitschrift „frau anders“ oder das Radio „Mensch Du“.[2]
Arbeitsgruppe für
Feministische Theologie
Eine dritte Strömung innerhalb des Widerstands bilden kirchliche Frauengruppen, die feministische Theologie mit traditionellen christlichen Werten verbinden. Die kirchlichen Frauengruppen, die auf eine lange Tradition von Frauenarbeit innerhalb der Kirche aufbauen, bilden die wohl am wenigsten erforschte Strömung. Sie setzen sich mit der Stellung der Frau in der Kirche auseinander und bringen Theologie mit feministischer Theorie zusammen. Es bilden sich zahlreiche Frauengruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, darunter auch explizit feministisch-theologische Arbeitskreise in Berlin und anderen Städten der DDR. 1981 wird in Berlin eine Arbeitsgruppe für Feministische Theologie gegründet.[3]
Die Bedeutung für die heutige Zeit
All diese Gruppen und Strömungen der politischen Opposition innerhalb der DDR bilden eine wichtige Grundlage für die erstarkenden Proteste im Jahr 1989. In dieser Phase der Mobilisierung und des Aufbruchs entstandene bedeutende feministische Organisationen wie die „Lila Offensive“, die am 4. November 1989 bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz in Berlin öffentlich aufritt und Flugblätter verteilt. Die „Lila Offensive“, die „Sozialistische Fraueninitiative“ und die Kulturwissenschaftlerin Ina Merkel laden für den 3. Dezember 1989 zu einer Veranstaltung ein, auf der ein autonomer Frauenverband gegründet werden soll. Es versammeln sich über 1200 Frauen, die den dort verlesenen Entwurf des Manifests „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ als Gründungspapier des „Unabhängigen Frauenverbandes“ (UFV) annehmen. Der UFV ist die erste nicht-staatliche Organisation dieser Art in der DDR, die sich zur Wahl stellt[4].
Kirche und feministischer Widerstand
eng verbunden
Klar wird, dass Kirche und feministischer Widerstand in ihrer ganzen Vielfalt eng miteinander verbunden waren und sich räumlich, moralisch und politisch gegenseitig stützen. Während die Kirchen heute erneut potenziell wichtige Verbündete im Kampf gegen erstarkenden Rechtsextremismus, patriarchale Gewalt und militaristische Tendenzen sein könnten, ist ihre Rolle nicht immer klar definiert. Es gibt Spannungen darüber, wie weit kirchliches Engagement in der Politik gehen sollte und wie man sich gegenüber rechten und patriarchalen Strömungen positioniert. Doch die Geschichte zeigt, dass mutiges Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden möglich und notwendig ist. Ein positives Beispiel dafür ist die klare Positionierung der katholischen Bischöfe vor den letzten Wahlen, die gezeigt hat, wie wichtig und wirkungsvoll eine entschiedene Haltung gegen rechtsextreme Tendenzen sein kann.
Klare Positionierung für die
Werte der Menschlichkeit
Mit der Rolle der evangelischen Kirche innerhalb der Frauenbewegung der DDR wird deutlich, dass politische Verantwortungsübernahme und klare Positionierung für die Werte der Menschlichkeit wesentliche Bestandteile der Kirche und des Glaubens sind und sein sollten. Mit dieser Geschichte im Kopf und im Herzen kann Hoffnung gesät werden. Es gilt Räume für Austausch, Erinnerung, Protest und politischen Widerstand zu schaffen.
Kirche für die Welt
Um es mit den Worten von Christa Sengespeick-Roos (2019) zu sagen, die über ein Gespräch mit Bärbel Bohley zur aktuellen Geltung der politischen Theologie, wie sie in der damaligen DDR praktiziert wurde, nachdenkt:
„Stimmt, denke ich, die Kirche hat die Opposition gebraucht, ist von ihr bereichert worden. Aber die Opposition hat auch die Kirche gebraucht. Es ist ureigenster Auftrag der Kirche, Menschen Raum zu geben, die Sinn suchen, um verdrängte Wirklichkeiten Sprache finden zu lassen: Schwäche, Ungewissheit, Sterben und Schuld; einen Raum, frei von Leistungsdruck und äußeren Ansprüchen. (…) Es ist die Aufgabe der Kirche, sich zu öffnen, „Kirche für die Welt“ zu sein. Mit Menschen nach Wegen zu suchen, den „aufrechten Gang“ zu gehen, Bürger zu werden, Verantwortung zu übernehmen. Gerade mit der deutschen Geschichte, die von Schuld gekennzeichnet ist, ist es wichtig zu erkennen, wie die Entmündigungsstrukturen in der Gesellschaft verlaufen.“ [5]
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Josefine Valentin, studiert Soziologie und Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena
Titelbild: Paul Morley / mobography / unsplash.com
[1] Miethe, Ingrid (2024): Die „Frauen für den Frieden“ – Ost, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv.
[2] Sänger, Eva (2009): Frauenbewegung in der DDR. Gegenöffentlichkeiten und Unrechtserfahrungen der informellen Frauengruppen in den 1980er Jahren, S. 127-137.
[3] Engelmann/ Taut: Feminismus und feministische Theologie in der DDR, S. 162–172.
[4] Lembke, Ulrike (2022): Visionen als feministisches Erbe? Zwischen universellem Repräsentationsanspruch, neoliberaler Alternativlosigkeit und den Un/Möglichkeiten feministischer politischer Praxis, in: K. Aleksander, U. Auga, E. Dvorak, K. Heft, G. Jähnert, und H. Schimkat (Hrsg.), Feministische Visionen vor und nach 1989: Geschlecht, Medien und Aktivismen in der DDR, BRD und im östlichen Europa, Opladen: Verlag Barbara Budrich, S. 39-66.
[5] Sengespeick-Roos, Christa (2019): Kirche und Opposition – ein doppeltes Spannungsverhältnis, in: A. Ilsen und R. Leiserowitz (Hrsg.), Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden Ostberlin, 1. Auflage, Berlin: Ch. Links Verlag, S. 122-129.