Auf die Feststellung, dass Frauen als Autorinnen bzw. Referentinnen unterrepräsentiert sind, gibt es unterschiedliche Antworten. Diese werden von Aurica Jax, Ute Leimgruber, Jessica Scheiper, Gunda Werner und Agnes Wuckelt analysiert und entkräftet.
Schon ein Blick in theologische Fachzeitschriften oder Veranstaltungsprogramme von Tagungen und Kongressen legt die Annahme nahe, dass Frauen als Autorinnen bzw. Referentinnen unterrepräsentiert sind.[1] Fragt man bei den (meist männlichen) Verantwortlichen nach den Gründen für diese wenigen beteiligten Frauen, sind die Antworten oftmals so formuliert wie die folgenden fünf Zitate, die wir mit Fakten und Argumenten entkräften möchten.[2]
Fakt ist: Frauen sind unterrepräsentiert – in der Realität und in der Wahrnehmung.
1. „Wir finden keine weibliche Referentin oder Autorin; es gibt ja keine bzw. so wenige.“
Fakt ist: Frauen sind unterrepräsentiert – in der Realität und in der Wahrnehmung.
a) Eine Kultur, die Männer bevorzugt, kann nicht anders, als Frauen zu benachteiligen – und diese Benachteiligung zu perpetuieren. Frauen werden verunsichtbart. Sie werden seltener zitiert und rezensiert als Männer, wie Studien belegen. Durch diese „Zitierlücke“ entsteht und verfestigt sich bei Männern der Eindruck, es „gäbe keine Frauen“.
b) Wenn Veranstalter:innen oder Verlage wirklich Gleichberechtigung wollen, können sie sie herstellen. Vielleicht müssen sie einmal über das eigene Adressbuch hinaus suchen oder eine bis dato eher unbekannte Frau einladen – es kann sich lohnen. Es gibt Frauennetzwerke, die bei der Suche nach geeigneten Expert:innen weiterhelfen können. Im theologischen Bereich haben z.B. AGENDA, ESWTR, kfd und KDFB starke Netzwerke.
Frauen sagen ab, weil sie nicht als einzige Alibi-Frau eingeladen sein wollen.
2. „Frauen sagen alle ab.“
Wenn Frauen absagen, bedeutet das nicht mangelndes Interesse, sondern kann andere Gründe haben.
a) Die wenigen bekannten Frauen (häufig Professorinnen) bekommen zahlreiche Anfragen, von denen sie aus Zeitgründen etliche absagen müssen. Sie werden oft als letztes angefragt, weshalb ihnen zu wenig Zeit für die Bearbeitung/Vorbereitung bleibt.
b) Manchmal sagen Frauen ab, weil ihre Lebenswirklichkeiten stärker von korrespondierenden Care-Tätigkeiten und dem entsprechenden Zeitmanagement abhängen. Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung beziffert diesen sog. Gender Care Gap auf 52,4 %, d.h. Frauen arbeiten durchschnittlich jeden Tag eineinhalb Stunden mehr im Haushalt und bei Sorgetätigkeiten. Wer diese Situation ernst nimmt und trotzdem die Repräsentanz von Frauen steigern möchte, kann z.B. zwecks besserer Planbarkeit mit deutlichem Vorlauf anfragen, zeitliche Flexibilität ermöglichen oder bei Veranstaltungen Gelder für Kinderbetreuung o.ä. zur Verfügung stellen.
c) Frauen sagen ab, weil sie nicht als einzige Alibi-Frau eingeladen sein wollen.
Dabei sollte Geschlechtersensibilität ein Querschnittsthema sein, das alle Bereiche betrifft.
- „Frauen sind schließlich Expertinnen für Genderthemen. Und dann sagen sie ab?“
Eine typische Anfrage an eine Wissenschaftlerin für eine Tagung beinhaltet oft die Aufgabe, sich zu Gender-Aspekten zu äußern.
a) Frauen werden für Frauen-Themen angefragt. Damit wird das Klischee bedient, dass Frauen „naturgemäß“ für die Gender-Thematik stehen und sich damit auskennen.
b) Frauen werden seltener als Männer als Expertinnen zu ihren Schwerpunkt-Themen eingeladen, zu denen sie forschen oder geforscht haben. Stattdessen wird von ihnen die Einarbeitung in ein fremdes Thema erwartet, aber nur um es aus „der“ Geschlechterperspektive zu analysieren.
c) Viele Veranstaltungen suggerieren, es gebe eine „allgemeine“ und eine „geschlechtersensible“ Sichtweise auf Themen. Dabei sollte Geschlechtersensibilität ein Querschnittsthema sein, das alle Bereiche betrifft und von allen Wissenschaftler:innen wahrgenommen wird.
Verhalten sich Frauen, wie es von Führungskräften gemeinhin erwartet wird, haben sie mit misogynen Reaktionen zu rechnen.
4. „Frauen wollen ja gar nicht in diese Positionen, sonst würden sie sich mehr darum bemühen.“
Dieser Einwand suggeriert zwei Dinge: Es wird behauptet, die Verantwortung läge bei den Frauen selbst, die Männer hätten mit der Unterrepräsentanz von Frauen und ihrer Diskriminierung nichts zu tun. Damit wird unterstellt, es gäbe keine Hindernisse für Frauen. Dieses Argument ist insbesondere im katholischen Kontext, in welchem aktiv bestehende Geschlechterungerechtigkeiten hervorgebracht wurden, weil die Geschlechteranthropologie stereotyp komplementär gesetzt wurde, kritisch zu hinterfragen.
a) Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sie ist zynisch. Sie verharmlost die Macht von Männerbünden und negiert Barrieren und gläserne Wände.
b) Diese Haltung zeugt von einem Erlaubnispaternalismus, der die Ansprüche der Männer, den Frauen eine Beteiligung an der Macht zuzubilligen, erst recht entlarvt.
c) Nicht zuletzt stehen Frauen vor dem Dilemma, dass das Verhalten, das von Führungspersonen erwartet wird (Durchsetzungsfähigkeit, Autoritätsbewusstsein usw.), traditionell männlich codiert ist und dem widerspricht, was traditionellerweise von Frauen erwartet wird (Fürsorge, Bescheidenheit, Mitgefühl usw.). Verhalten sich Frauen, wie es von Führungskräften gemeinhin erwartet wird, haben sie mit misogynen Reaktionen zu rechnen.[3]
Es ist ein Mythos, dass in einer mehrheitlich weißen und männlich dominierten Gesellschaft Menschen ausschließlich aufgrund ihrer persönlichen Leistung vorankommen.
5. „Uns kommt es auf die Leistung und Qualität, nicht auf das Geschlecht an.“
Caroline Criado-Perez bezeichnet diesen Ausspruch als den „Mythos von der Meritokratie“[4]. Es ist ein Mythos, dass in einer mehrheitlich weißen und männlich dominierten Gesellschaft Menschen ausschließlich aufgrund ihrer persönlichen Leistung vorankommen. Ebenso ist es ein Mythos, Universitäten, d.h. Forschung und Lehre, für Systeme mit gleichen Bedingungen für Männer wie für Frauen zu halten.[5]
a) Über Jahrhunderte hatten Männer das alleinige Vorrecht, sich öffentlich schriftlich oder mündlich zu äußern. Überliefert sind vornehmlich – nicht nur in Kirche und Theologie – Werke und Schriften von Männern; ihnen wurde und wird, selbstreferentiell von Männern festgelegt, Wert und Qualität zugesprochen. Frauen kommen bis heute in dem „objektiven“ Kanon der Leistung kaum vor, weil sie das, was als Leistung galt und gilt, nicht erreichen durften und damit eine „Datenlücke“ repräsentieren.
b) Die konkrete Anwesenheit von Frauen ist für die Wissenschaft, so Anna-Lena Scholz in „Die Zeit“, nicht deswegen von Belang, „weil Frauen toller forschen als Männer, sondern weil Homogenität Unwuchten des Erkenntnisgewinns erzeugt.“[6]
c) Solange an den wichtigen Schaltstellen immer noch mehrheitlich Männer sitzen – in Verlagen, Redaktionen, Preisgremien oder Agenturen –, wird Qualität aus männlicher Perspektive definiert: Als das Maß, in dem männliche Erwartungen erfüllt oder gar übertroffen werden.
Kleiner Knigge der Gleichberechtigung … wenn sie dann eingeladen ist
Kleiner Knigge der Gleichberechtigung im wissenschaftlichen Kontext: „Und wenn sie dann eingeladen ist…“
… sollte es selbstverständlich sein, dass
- sie in derselben Ausführlichkeit und mit derselben Würdigung wie ihre männlichen Kollegen vorgestellt wird,
- sie wie ihre männlichen Kollegen angesprochen wird: entweder alle mit Titel oder niemand,
- sie als „Kollegin“ bezeichnet wird wie die männlichen Kollegen,
- sie dieselbe Redezeit bekommt, dasselbe Recht, im Gespräch etwas ausführlich zu beschreiben, wie ihre männlichen Kollegen,
- sie dieselbe Werbung und dieselbe Nennung in den Medien bekommt wie die männlichen Kollegen.
[1] Eine Untersuchung von AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V. kann das nun aber auch belegen: Nur etwa 15 % der Autor:innen in theologischen Fachzeitschriften sind weiblich. Vgl. auch die Ergebnisse des Forschungsprojekts #Frauenzählen, „Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“, Berlin, Oktober 2018, www.frauenzählen.de.
[2] Teile dieses Textes gehen zurück auf: Leimgruber, Ute, Wenn Frauen verweigern, nett zu sein – Intervention gegen einige misogyne Stammtischweisheiten, 09.03.2020, online: www.feinschwarz.net/wenn-frauen-verweigern-nett-zu-sein-intervention-gegen-misogyne-stammtischweisheiten/
[3] Vgl. Manne, Kate, Down Girl. Die Logik der Misogynie, Berlin 2019.
[4] Criado-Perez, Caroline, Unsichtbare Frauen, Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert, München 2020, 133ff.
[5] Vgl. Gender 2020. Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Hochschul- und Wissenschaftskultur. Hg. v. Uschi Baaken, Sybille Jung, Mechthild Koreuber, Anneliese Niehoff, Kathrin van Riesen (Vorstand der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen bukof), 2018. online: bukof.de/wp-content/uploads/gender2020_broschuere.pdf.
[6] Scholz, Anna-Lena, Das schüchterne Geschlecht, in: DIE ZEIT Nr. 14/2017, 30. März 2017, online:
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AutorInnen:
Dr. Aurica Jax leitet seit 2019 die Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz. Sie ist Mitglied bei AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V.
Dr. Ute Leimgruber ist Professorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Regensburg und für den Katholischen Deutschen Frauenbund KDFB im Vorstand von AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V.
Dr. Jessica Scheiper ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Kirchenrechtlichen Seminar der Universität Bonn und Mitglied im Vorstand von AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V.
Dr. Gunda Werner ist seit 2018 Professorin für Dogmatik an der Karl-Franzens-Universität Graz und Vorsitzende von AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V.
Dr. Agnes Wuckelt war Professorin für Praktische Theologie/ Religionspädagogik an der Katholischen Hochschule NRW, Fachbereich Theologie. Als stv. Bundesvorsitzende der kfd ist sie Beisitzerin im Vorstand AGENDA Forum katholischer Theologinnen e.V.
Beitragsbild: Paul Simpson, https://www.flickr.com/photos/monkeygrimace/12541769263