„Wir sind ganz Ohr“ – so erscheint Papst Franziskus auf den Plakaten zum Synodalen Prozess in den deutschschweizer Bistümern. Stephanie Klein geht der Frage nach: Gilt dies auch für die Frauen?
Vor sechzig Jahren machte die Juristin Gertrud Heinzelmann eine Eingabe an das II. Vatikanische Konzil, in der sie die vollumfängliche Gleichstellung der Frauen in der Kirche forderte, einschließlich der Priesterweihe. Durch den Sammelband „Wir schweigen nicht länger“ gaben die Frauen der Eingabe Nachdruck. Doch die Anliegen der Frauen waren kein Thema auf dem Konzil. Mehr als 3000 Bischöfe entschieden über die Themen und stimmten über sie ab – keine einzige Frau.
Die Frauen schweigen nicht länger, und ihr Reden irritiert. 1994 versucht Papst Johannes Paul II. autoritativ, die Frauen endgültig zum Schweigen zu bringen, indem er feierlich erklärt, „kraft meines Amtes, die Brüder zu stärken, dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“[1] Es ist erstaunlich, dass ein Papst mit amtlicher Autorität so deutlich der Kirche eine Vollmacht abspricht. Woher aber nimmt die Kirche die Vollmacht, Frauen von der Priesterweihe auszuschließen? In dem Amtsverständnis des Papstes geht es darum, die priesterlichen Brüder und ihre Vorrangstellung zu stärken – indem er sie vor den Anliegen der Frauen schützt. Ist es wirklich die Aufgabe des päpstlichen Amtes, die klerikale Machtzentrale zu bewahren? Ist es nicht eher dessen Aufgabe, das ganze Volk Gottes zu stärken, gerade aber die Machtlosen und Schwachen in der Kirche und Gesellschaft?
Werden die Frauen nun gehört?
Nun hat Papst Franziskus einen zweijährigen weltweiten synodalen Prozess „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Sendung“ begonnen, dessen Grundanliegen es ist, auf die Menschen zu hören und ihre Teilhabe in der Kirche zu stärken. Werden die Frauen nun gehört, und wird ihre volle Teilhabe an der Kirche auch strukturell verankert?
Der synodale Prozess zur Familie (2014-2015) macht wenig Hoffnung. Unter den 270 stimmberechtigen Synodenteilnehmern der abschließenden Bischofssynode in Rom war wieder keine Frau. Unter den 61 geladenen Gästen ohne Stimmrecht waren 32 Frauen. Eine von ihnen, die italienische Auditorin Lucetta Scaraffía, zieht verärgert Bilanz: Sie habe sich nur geduldet, fast unsichtbar und inexistent gefühlt, nicht nur in der Aula, sondern auch in ihrer Sprachgruppe. „Jede meiner Wortmeldungen ging ins Leere“, erzählt sie. „Was mich bei diesen Kardinälen, Bischöfen und Priestern am meisten erstaunt hat, das war ihre vollkommene Unkenntnis des Weiblichen, ihr unsensibler Umgang mit Frauen, die sie offenbar für minderwertig halten.“[2]
Der Synodale Prozess „Für eine synodale Kirche“ 2021-2023
Wird nun der synodale Prozess „Für eine synodale Kirche“ eine synodale Kirche herbeiführen, bei der die strukturellen Ausschlüsse der Frauen überwunden werden? Die erste Phase des Prozesses dient der Konsultation des gesamten Gottesvolkes. Dazu hat der Vatikan zwei Dokumente vorgelegt: Das Vorbereitungsdokument (VD), das am Ende zehn Themenfelder mit Fragen enthält, und das Vademecum (VM). Beide Dokumente tragen die Handschrift des Papstes; sie sind theologisch fundiert und spirituell durchdrungen – es ist lohnend, sie zu lesen![3] Der Papst lädt darin alle Getauften zur Teilnahme ein, denn alle haben Anteil am sensus fidelium (VM 2.1), und ruft sie auf, „als Einzelpersonen oder als Gruppe Feedback, Ideen, Reaktionen und Vorschläge zu übermitteln“ (VM 3.1). Immer wieder betont der Papst, dass niemand ausgeschlossen werden soll: „Besondere Aufmerksamkeit sollte der Einbeziehung von Menschen gewidmet werden, die Gefahr laufen, ausgeschlossen zu werden: Frauen, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete, Migranten, Senioren, Menschen, die in Armut leben, Katholiken, die ihren Glauben selten oder nie ausüben…“ (VM 2.1) Auch auf Menschen, die nicht der katholischen Kirche angehören, soll gehört werden, denn immer hat die Kirche wesentliche Impulse des Heiligen Geistes auch von außen bekommen (VD 22-24).
Die Anliegen der Frauen zeigen die Widersprüche zwischen den Strukturen und der Sendung der Kirche auf.
Der Papst beabsichtigt, durch die synodalen Prozesse neue Strukturen der Kirche zu entwickeln, die der Teilhabe aller dienen. Auch der Frauen? „Alle sind eingeladen, mit Mut und Freimut zu sprechen“ heißt es im dritten Themenfeld „Das Wort ergreifen“. Mit „alle“ meint der Papst gerade auch die Frauen. Doch werden sie auch gehört, und vor allem: Wird ihr Anliegen einer strukturell verankerten egalitären Teilhabe auf allen Ebenen der Kirche auch aufgegriffen und implementiert? Solange letztlich der Klerus über die Prozesse und Inhalte der Synode entscheidet, ist nicht damit zu rechnen. Widerstände zeigen sich bereits jetzt in der diözesansynodalen Phase. Und dennoch: Die Anliegen der Frauen könnten doch irgendwann an den Strukturen rühren, denn sie zeigen die Widersprüche zwischen den Strukturen und der Sendung der Kirche auf.
Der synodale Prozess in der Schweiz
In der Schweiz beteiligen sich die drei deutschschweizer Bistümer Basel, St. Gallen und Chur gemeinsam an dem synodalen Prozess. Sie haben die Plattform „wir-sind-ohr.ch“ mit viel Informations- und Animationsmaterial im Internet aufgeschaltet – aber nicht die beiden Dokumente des Vatikans, die die Befragung theologisch, spirituell und weltkirchlich verorten. Die Kirchenmitglieder können sich an einer Onlinebefragung beteiligen, mit der ein Meinungsforschungsinstitut beauftragt wurde. Die zehn Themenfelder der weltkirchlichen Befragung werden durch Fragen erschlossen, die allerdings eine deutlich andere Ausrichtung haben als jene des vatikanischen Originals. Die Fragen der Bistümer zielen auf die persönliche Besinnung und das diözesane Gespräch. Dadurch mutieren die strukturellen Fragen der Kirche, um die es in dem synodalen Prozess geht, zu persönlichen Fragen der Kirchenmitglieder. Ein Beispiel: Das vatikanische Dokument fragt im neunten Themenfeld, in dem es um die Entscheidungsstrukturen geht, nach ganz konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Partizipation: „Durch welche Prozeduren und mit welchen Methoden wird unterschieden und wo werden Entscheidungen getroffen? Wie kann das verbessert werden? Wie wird die Teilnahme an Entscheidungen innerhalb hierarchisch strukturierter Gemeinschaften gefördert? (…) Auf welche Art und Weise und durch welche Mittel werden Transparenz und Rechenschaft gefördert?“
Die strukturellen Fragen der Kirche mutieren zu persönlichen Fragen der Kirchenmitglieder.
Die deutschschweizer Befragung individualisiert und spiritualisiert die Fragen. Sie lenkt dadurch von gesamtkirchlichen Entscheidungsstrukturen ab und schreibt kontrafaktisch zugleich den Gläubigen die Verantwortung für Entscheidungsstrukturen zu. „In welchen Augenblicken erleben Sie Entscheidungsprozesse auch als geistliche Prozesse, getragen vom gemeinsamen Gebet und im Hören auf Gottes Wort? Wie tragen Sie dazu bei, dass in Gesprächen eine Atmosphäre des Vertrauens wächst, in der jede Stimme gehört wird und jede Stimme auch als Stimme des Heiligen Geistes gehört wird? Wie tragen Sie dazu bei, dass Transparenz und Rechenschaft bei Entscheidungen gefördert werden?“
Es wird auch gleich ein Katalog von Antworten auf die Fragen präsentiert, über die die Kirchenmitglieder in Gruppen von mindestens fünf Personen sprechen sollen. Die Auswahl der Antworten können sie dann online eingeben. Die einzige Möglichkeit, eigene Vorschläge einzubringen, sind freie Felder, die aber nur einen eng begrenzten Text zulassen. Eine weitere Hemmnis besteht in der Unübersichtlichkeit der Befragung. Es gibt keinen Überblick über Fragen und Antwortkataloge, man weiß nicht, was auf der nächsten Seite der Befragung kommt, und ein Zurückklicken ist technisch nicht möglich. Und schließlich endet die Möglichkeit der Eingabe bereits am 30. November, obwohl der Papst die diözesane Phase bis August 2022 verlängert hat. Es wird also auch den Frauen nicht leicht gemacht, ihre Anliegen zu deponieren und „mit Mut und Freiheit“ (VD 30) zu sprechen.
Die Partizipation der Frauen und die Glaubwürdigkeit der Kirche
Ist die Rede von der vollständigen Partizipation der in den kirchlichen Strukturen nicht ein selbstbezogenes Genörgel von Frauen, die nicht das Ganze zu sehen vermögen? Hat die Weltkirche nicht ganz andere Aufgaben und Probleme, um die sie sich kümmern muss? Bischof Felix Gmür schreibt in einem Offenen Brief: „So notwendig die Struktur-, Ämter- und Machtdiskussionen in unserer Kirche sind, so sehr binden sie auch Energie, die wir eigentlich für den Weg unserer Kirche in der Welt brauchen: für unser Mitgehen mit Menschen am Rand, in Not und auf der Flucht, für die Pflege von Orten der Begegnung untereinander und mit Gott…“[4] Dem ist voll zuzustimmen. Gerade deshalb müssen die Strukturfragen endlich so gelöst werden, dass die Kirche ihren Aufgaben glaubwürdig nachkommen kann. Wie kann sie Frauen in Not begleiten, wenn sie in ihren eigenen Strukturen die Ausschlüsse von Frauen zementiert? Wie kann sie sich für die Überwindung „jede(r) Form einer Diskriminierung in den gesellschaftlichen und kulturellen Grundrechten der Person“ (GS 29) einsetzen, wenn sie Diskriminierung in den eigenen Strukturen nicht beseitigt? Wenn die Kirche ihre Energien nicht mehr in das Aufrechterhalten und Legitimieren ihrer klerikalen Ämterstrukturen steckt, sondern Strukturen entwickelt, die die gleiche Würde aller in der Kirche zur Geltung bringen, kann sie auch glaubwürdig „Zeichen und Werkzeug“ für Gottes Heil für alle Menschen und für die Einheit der ganzen Menschheit sein. (vgl. LG 1)
Und dennoch: Machen wir noch einen Versuch!
Die Aussichten, dass die Anliegen der Frauen im synodalen Prozess gehört werden und zu strukturellen Änderungen führen, scheinen aufgrund der gegenwärtigen klerikalen Entscheidungsstrukturen gering zu sein. Und dennoch: Machen wir noch einen Versuch: Bringen wir uns zu Gehör, machen wir Vorschläge. Reden wir zu den Fragen des vatikanischen Dokuments (VD)! Sagen wir, was die Rede von Partizipation und Sendung für die Frauen in der Kirche meint, und was kirchliche Gemeinschaft von Frauen und Männern strukturell bedeutet. Geben wir unsere Antworten ganz konkret in die freien Felder der deutschschweizer Befragung ein. Wir wollen dann sehen und nachfragen, ob wir gehört wurden und was dies in den Strukturen einer synodalen Kirche ändert.
___
Dr. Stephanie Klein ist Professorin für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.
Beitragsbild: Zur Verfügung gestellte Downloads auf wir-sind-ohr.ch/
[1] Papst Johannes Paul II.: Apostolisches Schreiben Ordinatio Sacerdotalis an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe vom 22. Mai 1994 Nr. 4.
[2] Radio Vatican: Synode einmal anders. „Eine Art Maskottchen“ (29.10.2015). URL http://www.archivioradiovaticana.va/storico/2015/10/29/synode_einmal_anders_%E2%80%9Eeine_art_maskottchen%E2%80%9C/de-1182850 (eingesehen 20.11.2021).
[3] Beide Dokumente sind in deutscher Sprache unter www.vaticannews.va zu finden.
[4] https://www.bistum-basel.ch/Organisationsentwicklung-Pastoralraume/Der-synodale-Weg-fuhrt-uns-in-die-Zukunft-der-Kirche.html.