Max-Josef Schuster lädt ein, die innovative und brisante Ausstellung „Frauen.Taten.Werke. Contemporary – 12 Dialoge“ auf der Homepage des Bamberger Diözesanmuseums „zu besichtigen“ oder sie am besten ganz oder teilweise auszuleihen.
Ein quadratischer Leuchtkasten auf dem Boden zeigt blauen Wolkenhimmel. Darauf ein einfacher Stuhl, eine Kanne mit Schüssel und ein Tuch – alles chromverspiegelt. Gerahmt wird das Ganze von signalroten Stahlstäben in Würfelform (150x150x150 cm).
Der Stuhl ist leer.
Im kirchlichen Kontext erinnern Stuhl, Kanne, Schale und Tuch an die Fußwaschung: „Anderen dienen“ – eine traditionelle Rollenvorgabe für (Ordens-)Frauen wie Tecla Merlo, die Begründerin der „Paulusschwestern“, der die Installation gewidmet ist. Doch: der Stuhl ist leer. Wer sitzt darauf, und wer kniet davor?
Dieses ambivalente Werk der Bildhauerin Kerstin Himmler war Teil der Ausstellung „Frauen. Taten. Werke“ im Bamberger Diözesanmuseum. 12 zeitgenössische Künstlerinnen haben Werke zu 12 Frauen aus der Geschichte der (katholischen) Kirche geschaffen – vom Neuen Testament über die Kirchengeschichte bis hin zu „Frauen heute“.1 Das Museum hat alle Werke angekauft und freut sich, wenn die Ausstellung oder einzelne Werke auch an anderen Orten gezeigt werden.2 Die Präsentation der Werke, Einführung und Podcast zur Ausstellung sowie ein Online-Katalog zum Herunterladen sind auf der Museums-Homepage verfügbar.
Künstlerinnen und Mentorinnen.
Das Besondere an der Kooperation zwischen Frauenpastoral und Hauptabteilung „Kunst und Kultur“ im Erzbistum Bamberg: jede Künstlerin hatte eine Mentorin an ihrer Seite, als Fachfrau zur jeweiligen Person – selbstverständlich nicht, um Künstlerinnen „kirchlich auf Linie“ zu bringen, sondern als Chance zum Dialog auf Augenhöhe. So sparten sich die Künstlerinnen manch mühsame Recherche. Der das ganze Projekt prägende feministisch-dialogische Ansatz des „Affidamento“3 hat sich bewährt.
Entstanden sind frische, mutige und subjektive Werke jenseits aller Kirchenkunst. Nach vier Führungen für kirchlich Engagierte kann ich sagen: auch wenn manche Ausdrucksformen im kirchlichen Kontext zunächst irritieren, war es möglich, durch genaues Hinschauen und aufmerksames Spüren die künstlerischen Absichten herauszufinden – ein Qualitätsbeweis, der zeigt, dass gute zeitgenössische Kunst ohne Vorkenntnisse verstanden werden kann. Und mehr als das. Denn die Künstlerinnen schufen Werke, deren kritische Kraft zum Weiterdenken anregt – weit über den Museumsbesuch hinaus. Vier Beispiele:
Elke Zauners raumgreifende Malerei „Der Garten der Maria Magdalena“ prägt eine Ecke des Ausstellungsraumes. Die Künstlerin verzichtet glücklicherweise darauf, den Auferstandenen als halbnackten bzw. als Gärtner verkleideten Mann darzustellen. Auch Maria von Magdala erscheint nicht im Bild. Stattdessen können Betrachter*innen sich selbst in den Garten hineinstellen und spüren, wie sich das anfühlt. „Es tut gut, in diesem bunten Garten zu sein“ – „Ich stehe jetzt mitten im Licht“ – „Über mir ist ein Dach; ich fühle mich behütet“: solche Rückmeldungen zeigen, wie gekonnt die Installation die biblische Begegnung ins Hier und Heute holt.
Margarete Schrüfer baut einen würfelförmigen goldenen Gitterkorb (100x100x100 cm) und füllt ihn fast vollständig mit schwarzen Rosenblüten aus Samt. Die auf den ersten Blick elegant kühle Installation zu Elisabeth von Thüringen irritiert zunächst. Doch im Lauf der Führung entdecken die Betrachter*innen viele Ambivalenzen und „Widerhaken“ in diesem Werk, die sie mit dem Leben der Heiligen in Verbindung bringen: den buchstäblich „goldenen Käfig“; die gleichzeitig elegante und traurige schwarze Farbe der Rosen; die kostbare Blütenfülle, die auch wie ein Komposthaufen wirkt; drei Rosen außerhalb des Käfigs: in Freiheit – und gleichzeitig unendlich einsam … Eine Frau sagt, sie habe noch nie so intensiv auf das Leben der Heiligen geschaut wie durch die „Brille“ dieses Kunstwerks. Und jemand sieht zum ersten Mal Elisabeth als Opfer geistlichen Missbrauchs.
Mit der Witterung fürs Aktuelle evangelisieren.
Lisa Wölfel malt „Klara, die Große“ auf einen riesigen Leinenstoff (300×480 cm), der von der Decke bis zum Boden und dort weit in den Raum hineinreicht. In einer Führung schweigen die Teilnehmer*innen zunächst beharrlich, als ich sie nach ihren ersten Eindrücken frage. Erst als ich die Nacktheit der hockenden Frauenfigur selbst thematisiere, löst sich das Schweigen. Die Frage „Darf man eine Heilige so darstellen?“ steht im Raum. Ich zeige die Fotografie einer traditionellen Klara-Statue und frage, wo die Gruppe mehr Leben vermutet. Alle sind sich einig: das zeitgenössische Bild zeigt eine lebendige Frau aus Fleisch und Blut – und kein frommes Abziehbild. Nacktheit erscheint jetzt als vieldeutiges Zeichen – für radikale Armut, paradiesische Unschuld, elementare weibliche Stärke … Tatsächlich wird hier Klara als „die Große“ dargestellt; Besucher*innen fällt auf, dass es im Heiligenkalender zwar Päpste mit dem Beinamen „der Große“ gibt, aber keine einzige Frau.
Eine Kohlezeichnung von Corinna Smok auf einer großformatigen (320×220 cm) Leinwand zeigt die 1915 in Oberfranken geborene Jüdin Luise Löwenfels, die mit 20 Jahren katholisch wurde, später als Nonne vor den Nazis nach Holland floh und 1942 in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Betrachter*innen empfinden die Darstellung der jungen Frau als ambivalent: einerseits wirke sie mit weit ausgebreiteten Armen dominant wie eine Schutzmantel-Madonna; andererseits wird die Zeichnung als „flüchtig“ und zerbrechlich erlebt. Schritt für Schritt lassen sich Figuren im unteren Bild-Teil entziffern: Stationen des Lebens scheinen auf, aber auch – im Bild der Wölfe – tödliche Bedrohung. Der handschriftlich eingefügte Text von Luise Löwenfels löst große Nachdenklichkeit aus. Erst auf meine Nachfrage wird der Hintergrund beachtet: auf die Leinwand sind aktuelle Zeitungsseiten mit Artikeln und Fotos zum Thema Krieg und Gewalt aufgeklebt. Zu den Spuren blauer Farbe assoziieren die Teilnehmer*innen Himmel, Maria und Gott. Freilich: das Blau ist kein tragender Grund; „wie Fetzen oder Scherben“, sagt jemand. Im Nachhinein denke ich: Spuren sind anwesende Hinweise auf eine abwesende Wirklichkeit …
Ich selbst verdanke den Künstlerinnen drei bedeutsame Erkenntnisse:
1. Die Kunstwerke fordern mich als Theologen heraus, mich nicht hinter noch so „richtigen“ (ikonografischen oder theologischen) Floskeln zu verstecken, sondern radikal „Ich“ zu sagen. Damit werde ich zu einem Zeugen. Denn „Zeuge sein“ bedeutet ja nicht, gelernte fromme Sätze über längst vergangene Ereignisse zu wiederholen, sondern „Zeuge ist, wer sieht“4 – und zwar hier und jetzt. Das haben die Künstlerinnen beispielhaft gezeigt, indem sie die Aktualität biblisch-kirchlicher Tradition(en) gesehen haben: mit ihrer „Witterung für das Aktuelle“ haben sie mutig den „Tigersprung ins Vergangene“5 gewagt, um die Bedeutung der Frauen für heute darzustellen. Ganz ähnlich, scheint mir, müsste heute evangelisiert werden.
Frauen zahlen einen hohen Preis, um ihrer Berufung zu folgen.
2. Frauen wie Klara, Elisabeth von Thüringen oder Mary Ward waren immer von Männern abhängig und ihnen unterworfen: sei es dem Ehemann oder Beichtvater, einem männlichen Verwandten als „Vormund“, einem Bischof oder dem Papst (der neue Ordensregeln genehmigen musste). Trotzdem haben sie schon damals dagegen rebelliert, weil sie ihrer Berufung und ihrem Gewissen folgen wollten. Dafür haben sie einen hohen Preis gezahlt. Heute sind in demokratischen Gesellschaften solche Strukturen zumindest rechtlich überwunden – nicht aber in der katholischen Kirche, wo die Hierarchie der Kleriker weiterhin aus einer Männerkaste besteht. Das wusste ich selbstverständlich. Aber die pointierte künstlerische Darstellung der Rebellion heiliger (!) Frauen schon im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat mir schärfer und schmerzlicher als bisher bewusst gemacht, wie frauenverachtend absurd die heutige katholische Kirche organisiert ist.
3. Die Installation zu Elisabeth von Thüringen zeigt, wie schon damals Frauen unter geistlichem Missbrauch gelitten haben. Diese Gewalt wurde in meinem Theologiestudium niemals thematisiert – und auch danach nicht. Wie will sich die amtlich-hierarchische Kirche zu dieser verheerenden Tradition künftig verhalten? Wäre es nicht an der Zeit, kirchliche Schuld zu bekennen und missbrauchte Frauen wie Elisabeth von Thüringen als Märtyrerinnen einer klerikal-gewalttätigen Kirchentradition offiziell anzuerkennen?
Der Ausstellung „Frauen. Taten. Werke“ ist zu wünschen, dass sie noch weite Kreise zieht! Das heißt konkret: es geht darum, großzügig Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen miteinander zu teilen und solidarisch zu handeln für eine gerechte(re) Welt.
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Titelbild: Sebastian Autenrieth
- Marion Albrecht: Caritas Pirckheimer; Rosa Brunner: Mary Ward; Anne Fischer: Christine Ebner; Kerstin Himmler: Tecla Merlo; Nina Knöll: Frauen heute; Ivana Koubek: Kunigunde von Luxemburg; Anna-Maria Kursawe: Maria; Margarete Schrüfer: Elisabeth von Thüringen; Linda Schumann: Ellen Ammann; Corinna Smok: Luise Löwenfels; Lisa Wölfel: Klara von Assisi; Elke Zauner: Maria von Magdala. ↩
- Bei Interesse: dioezesanmuseum@erzbistum-bamberg.de. ↩
- Affidamento „bezeichnet eine feministische politische Praxis, in der Frauen mit ihrer Unterschiedlichkeit anders umgehen, als dies in traditionellen männlichen Hierarchien vorgesehen ist.“ ↩
- Christian Salenson, Den Brunnen tiefer graben. Meditieren mit Christian de Chergé, München – Zürich – Wien 2015, 109. ↩
- Vgl. Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: Ders., Gesammelte Schriften Bd. I.2, Frankfurt a. M. 1980, 701. ↩