Prominent neben dem Zürcher Fraumünster entsteht ein Turm: Der Katharinen-Turm soll bis Ende 2024 die Präsenz von Frauen in Stadt und Kanton Zürich sichtbar machen. Kontext und Anlass dazu ist die Zürcher Reformation 1524. Veronika Jehle berichtet.
Während dieser Beitrag entsteht, werden vor dem Fraumünster grosse Bauteile aus Stahl angeliefert. Sie werden zu kreisrunden Elementen verschraubt: der Katharinen-Turm wächst in die Höhe. Es handelt sich um eine 40 Meter hohe Kunstinstallation, bestehend aus Gerüstelementen, die mit kupfer-grünen Stoffbändern umwoben werden. Die Materialien sind nachhaltig und sollen weiterverwendet werden, der Turm wird temporär vom 20. August bis 10. Dezember 2024 stehen, zwischen Stadthaus und Fraumünster.
Wie ein vielschichtiges Kaleidoskop
Entwickelt hat diesen «Leuchtturm der Reformation im Fraumünster» eine Trägerschaft von Frauen, die sich zum Verein Katharinen-Turm zusammengeschlossen haben. Es ist eine private Initiative, unterstützt unter anderem von Stadt und Kanton Zürich, von der reformierten und der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Die Initiative will «die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Präsenz – seit jeher – von Frauen in Stadt und Kanton Zürich manifestieren». Was sie konzipiert haben, wirkt wie ein vielschichtiges Kaleidoskop an historischen, theologischen und architektonischen Puzzleteilen. Diese werden jetzt, nach all den Jahrhunderten der Unsichtbarkeit, endlich sichtbar, greifbar, diskutierbar gemacht.
Reformation ist auch Frauengeschichte
Alexia Zeller ist Theologin und Lucia Pennati ist Architektin, bei den beiden Co-Präsidentinnen des Vereins Katharinen-Turm laufen die Fäden des Projekts zusammen. Alexia Zeller schüttelt den Kopf, als sie sich erinnert: «Lasst doch die Reformation weg!», hätten ihr anfänglich einige Stimmen geraten, «Macht doch einfach einen Frauenturm!» Für sie unvorstellbar. Sie wollte sich der Komplexität stellen: «Reformationsgeschichte, Frauengeschichte, Stadtgeschichte gehören zusammen und ineinander, sonst sind wir ganz schnell bei einer Schubladisierung.»
Mehr als ein Mahnmal von Frauen für Frauen
Der Katharinen-Turm als Turm ist also nicht einfach ein Mahnmal von Frauen für Frauen. Er ist eine Manifestation, dass Frauen konkret gewirkt haben, eingebunden in ihre konkrete Zeit, und so konkret jene Geschichte gestaltet haben, die Zürich zu dem gemacht hat, was es heute ist. Ein konkreter wirkmächtiger Moment ist dabei die Reformation. Und eine konkrete wirkmächtige Frau ist dabei Katharina von Zimmern, die letzte Äbtissin des Fraumünsters.
Am 8. Dezember 1524 hat sie, die adelige Äbtissin, die Schlüssel ihrer königlichen Abtei der sich reformierenden Stadt Zürich übergeben und damit die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, um die reformatorischen Ideen zu realisieren. Zürich 2024 wird 500 Jahre nach dieser historischen Tat ihrer gedenken, sie diskutieren, sie feiern, sie weiterdenken. Im Mittelpunkt all dessen der Katharinen-Turm.
In der breiten Wahrnehmung ist die Reformationsgeschichte eine Männergeschichte. Huldrych Zwingli in Zürich, Jean Calvin in Genf, Martin Luther in Wittenberg, die Liste der Namen und Orte liesse sich fortschreiben – und was bisher geschrieben wurde, waren Männernamen. 2017 wurde im deutschsprachigen Raum gross das Reformationsjubiläum begangen, weil Martin Luther die Reformation 500 Jahre zuvor initiiert hatte. 2019 war es in Zürich so weit gewesen, hatte es hier doch 1519 mit den weitreichenden Umbrüchen begonnen. Höchste Zeit also, dass 2024 zum Anlass genommen wird, dieses einseitige Bild aufzubrechen: Reformationsgeschichte ist auch Frauengeschichte.
Das Fraumünster – ein wesentlicher Ort der Reformationsgeschichte
Einer ihrer wesentlichen Orte ist das Zürcher Fraumünster. Ein Ort, an dem ab seiner Stiftung im Jahr 853 Frauen – 28 Äbtissinnen in Folge und die benediktinischen Ordensfrauen der jeweiligen Zeit – geistlichen und weltlichen Reichtum, Macht und Einfluss gepflegt, bewahrt und ausgebaut haben. Bis die 29. Äbtissin Katharina von Zimmern 671 Jahre später, eben 1524, mit ihrer Entscheidung der Reformation den notwendigen Dreh verlieh: Das Fraumünster wurde vom kirchlich-monastischen zum säkularen Ort, sein Vermögen lag nun in Händen der Stadtverwaltung.
Türme als Materialisierung von Machtverhältnissen
Es geht also um Manifestation. Worum es aber gleichermassen geht, ist um Materialisierung. Sie ist für Alexia Zeller wie für Lucia Pennati zentral. «Was hat es gebraucht, dass die Idee von 1517 real wurde, dass sich die Reformation materialisieren konnte?», benennt Alexia Zeller eine Frage, zu der sie mit dem Katharinen-Turm gerne einen Diskurs anstossen möchte, und weiter: «Als Reformierte fehlt mir die Materialisierung von Frömmigkeit, das ist Ikonografie und Sakralbau». In diese Lücke einen Beitrag hineinzugeben, ist ihr ein Anliegen.
Lucia Pennati hingegen benennt den architektonischen Aspekt von Materialisierung: «Der Katharinen-Turm lässt den früheren Südturm des Fraumünsters wieder sichtbar werden, der im 18. Jahrhundert abgetragen wurde.» Bis 1732 hatte das Fraumünster nämlich zwei fast gleichhohe Türme, wie auch das Grossmünster und andere bedeutende Abtei-Kirchen. Dann wurde entschieden, den bis heute bestehenden Nordturm zu erhöhen, während der Südturm in die Fassade integriert und so unsichtbar gemacht wurde.
An Gebäudeaspekten lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen gut ablesen
Auch wenn sich belegen lässt, dass bauliche Gründe diese Entscheidung beeinflusst haben – der Südturm war instabil geworden – sieht Lucia Pennati darin auch eine Relativierung des Ortes: «Von der Abtei zur Gemeindekirche: Mit nur noch einem Turm wurde auch die neue Rolle der Fraumünsterkirche sichtbar gemacht und damit ihre Bedeutung allein schon vom Bauvolumen verschmälert.» An Gebäudeaspekten liessen sich gesellschaftliche Entwicklungen gut ablesen: Nun war auch äusserlich klar, dass das Grossmünster mit Huldrych Zwingli und Heinrich Bullinger vorderhand die Reformationskirche in Zürich war.
Materiell hat die Reformation mit Katharina von Zimmern im Fraumünster begonnen
Alexia Zeller sagt dazu: «Damit bin ich nicht einverstanden, denn die Reformation hat im materiellen Sinn ja im Fraumünster mit Katharina von Zimmern begonnen.» Der symbolische Aufbau des Südturms hat für sie auch eine genuin theologische Dimension, gehe es doch darum, Verschwundenes aufleben zu lassen, beinahe Vergessenes zu «erwecken».
Dass die Materialisierung von weiblicher Präsenz in Stadt und Kanton Zürich, die der Katharinen-Turm darstellt, nachhaltig geschehen muss, versteht sich für die beiden Co-Präsidentinnen von selbst. «Alle Teile wurden oder werden nachher für den Bau anderer Strukturen weiterverwendet», erklärt Lucia Pennati. Jedenfalls soll das Projekt «temporär und ephemer» bleiben, denn: «Wir wollen kein neues Denkmal mit einem fixen Ort erstellen».
29 + 500 Frauen + viele mehr
Wo Frauen sichtbar werden, werden plötzlich viele Frauen sichtbar – das zeigt auch der Katharinen-Turm in seiner Konzeption und Umsetzung: Der Raum am Fuss des Turmes steht symbolisch für die 29 Äbtissinnen, die die Fraumünster-Abtei regiert und in den Jahren 853 bis 1524 wirtschaftlich und politisch grossen Einfluss in Zürich wahrgenommen haben. Auf die 1 000 Meter langen Stoffbänder, die die Aussenhaut des Turmes bilden, werden die Namen von 500 Frauen gedruckt, die seither und seit jeher Zürich gestalten. Eine Projektgruppe des Vereins Katharinen-Turm hat die Namen nach interkonfessionellen, interreligiösen und interkulturellen Aspekten ausgewählt, die bei der Eröffnung des Katharinen-Turms am 20. August enthüllt wurden. Die Webseite des Projekts soll darüber hinaus eine Plattform bleiben, Frauen aus Gegenwart und Vergangenheit sichtbar zu machen.
Veronika Jehle
Zusatzinformationen
Die architektonische Grundidee für den Katharinen-Turm bis zur Bearbeitung des Baugesuchs stammt von der Architektin Debora Burri-Marci (Freefox Architecture Studio LLC), die den unter ausgewählten jungen Frauen Wettbewerb gewann. Die Realisierung erfolgt durch die Firma Nüssli (Schweiz) AG mit Unterstützung von WAM Planer und Ingenieure AG und dem Architekturbüro JJAdM. Die Trägerschaft des ganzen haben acht Frauen inne: neben Lucia Pennati und Alexia Zeller sind das die Historikerin Regula Zweifel, die Unternehmerin Annette Pfister, die Architektin Hanae Balissat, die Architektin Gina Rauschtenberger, die Romanistin und Arabistin Susanna Sguaitamatti-Bassi, die Ärztin Nathalie Ulmer sowie die PR-Fachfrau und Mitbegründerin der Gesellschaft zu Fraumünster und erste Präsidentin des Vereins Katharinen-Turm Catherine Ziegler Peter († 2022).
An der Eröffnung mit Konzert am 20. August um 19.00 Uhr im Fraumünster Zürich werden Stadtpräsidentin Corine Mauch und Regierungsrätin Jacqueline Fehr sprechen, das De La Rosée Consort und Arno Jochem werden die Soundkulisse Zürichs vor 500 Jahren erlebbar machen.
Eine Sprech- und Musikperformance auf Strassen und Plätzen im ganzen Kanton, ein Eröffnungskonzert im Fraumünster, zwei Podien zu Sozialgeschichte und zu Architekturgeschichte und eine Turm-Predigtreihe begleiten den Katharinen-Turm.
www.katharinenturm.ch und www.katharina2024.ch
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Veronika Jehle ist Theologin, Journalistin und Redaktionsleiterin beim forum, dem Pfarrblatt der katholischen Kirche im Kanton Zürich. Ausserdem ist sie Redaktorin bei der FAMA, der feministisch-theologischen Zeitschrift. Sie ist im Vorstand des Vereins Katharina von Zimmern und engagiert sich im Zürcher Forum der Religionen. (Copyright Bild: Christoph Wider)
Beitragsbild: www.katharinenturm.ch