Wieder einmal wird hinsichtlich der Frauenordination in der katholischen Kirche eine (scheinbar) endgültige Aussage getätigt – diesmal im Rahmen eines Interviews mit Papst Franziskus. In seinem Beitrag bringt Quirin Weber (Luzern) Argumente, warum über die Frauenordination weiterhin nachgedacht werden muss.
Canon 1024 des geltenden kirchlichen Gesetzbuches, des Codex Juris Canonici (CIC) von 1983, erlaubt die Weihe nur einem getauften Mann. Der Ausschluss der Frauen von allen drei kirchlichen Weihe- und Leitungsämtern (Diakon, Priester, Bischof) ist theologisch und kirchenrechtlich nach wie vor umstritten. Obwohl die Diskussion in 1970er- und 1990er-Jahren lehramtlich zu unterbinden versucht wurde, mehren sich die Stimmen, die sich für die Frauenweihe einsetzen. Heute – im Pontifikat von Papst Franziskus, das den Dialog in der katholischen Kirche fördert, – darf wieder freier und offener diskutiert werden. So ist die Zeit angebrochen, um über die Frage der Weihe von Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen in der katholischen Kirche theologisch und kirchenrechtlich nachzudenken.
Frauen haben in der Glaubensverkündigung … als führende Personen mitgewirkt.
Biblischer Befund
Die ersten Menschen, die der auferstandene Jesus Christus aufgefordert hat, das Evangelium in aller Welt zu verkünden, sind Frauen gewesen. Auch in den urchristlichen Gemeinden haben Frauen in der Glaubensverkündigung – man denke nur an die langen und aufreibenden Missionsreisen – nicht bloss als Helferinnen, sondern auch als führende Personen mitgewirkt. Ihr Leitungsdienst hat sich in den schnell wachsenden Gemeinden als unentbehrlich erwiesen.
Entwicklung nach der Gründungsphase
Nach der Gründungsphase haben die patriarchalen Strukturen der Gesellschaften Israels und Kleinasiens auf die kirchlichen Leitungsstrukturen durchgeschlagen. So sind die Frauen in untergeordnete Funktionen nach und nach zurückgedrängt worden.
Humanismus, Renaissance und Aufklärung
Humanismus, Renaissance und Aufklärung haben in der Frage der Würdigung von Mann und Frau einen markanten Entwicklungsschub verursacht. So sind das Frauenbild eines Thomas von Aquin[1] (spätes Mittelalter) und dasjenige von Erasmus von Rotterdam (frühe Neuzeit, Renaissance) aus historisch-theologischer Sicht miteinander kaum zu vergleichen.[2] Obwohl es noch lange dauerte, bis die christlichen Kirchen geeignete Frauen in ihre Leitungsämter einsetzten, dürfte es wohl kein Zufall sein, dass der liberale Protestantismus als Katalysator wirkte. Allerdings haben die Kirchen der Reformation den Frauen das Pfarramt (Ordination) erst im Verlaufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geöffnet.
Es springt ins Auge, wie das Lehramt die nach dem Konzil wogende Debatte um die Frauenordination mit disziplinarischen Mitteln zu unterbinden suchte.
Widerspruch zwischen grundlegender Gleichheit und Weiheunfähigkeit der Frau
Während das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) die fundamentale Gleichheit aller Gläubigen – auch die Gleichheit von Frau und Mann – aufgrund der Taufe in seinen Konstitutionen und statuiert,[3] bleibt das Kirchenrecht (CIC 1983) hinter diesen bindenden Vorgaben auf halbem Wege stecken. Die Weiheunfähigkeit der getauften Frau blieb trotz zahlreicher Kritik weiterhin bestehen (Can. 1024). So springt ins Auge, wie das Lehramt die nach dem Konzil wogende Debatte um die Frauenordination mit disziplinarischen Mitteln zu unterbinden suchte. Das begann mit der Erklärung der Glaubenskongregation „Inter Insigniores“ (1976) und endete mit dem apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ Papst Johannes Pauls II. (1994). Roma locuta – causa finita?
Seit den 1990er Jahren schien die Diskussion versandet. Diese lehramtlichen Erklärungen weisen indes einen eklatanten Mangel auf. Sie sind der antiquierten neuscholastischen Argumentationsstruktur verhaftet[4] und passen kaum mehr in pastoralen Notwendigkeiten einer „Kirche in der Welt von heute“[5], wie sie das II. Vatikanum ins Auge gefasst und ins Werk gesetzt hat.[6]
Mit dem Wechsel des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. (2005-2013) zu Papst Franziskus haben Reformdiskussionen in der katholischen Kirche an Schwung wieder gewonnen. Überhaupt ist der Stilwechsel fast mit Händen zu greifen: Die katholische Kirche ist vom päpstlichen Monolog zum synodalen Dialog zurückgekehrt.[7] Das lässt leichte Hoffnung aufkeimen – auch in der Frage der Frauenordination.
Es gilt, die Berufung einer Frau zum dreigestuften sakramentalen Weiheamt theologisch und kirchenrechtlich zu ermöglichen.
Gleichheit der Startchancen
Welche Kriterien für die Zulassung der Frauen zu den kirchlichen Weihe- und Leitungsämtern gelten, ist eine theologische und kirchenrechtliche Frage. So handelt es sich nicht um einen Rechtsanspruch auf die Ordination der Frau, sondern lediglich um die Schaffung der theologischen und kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für die Zulassung der Frau zu den drei sakramentalen Weihe- und Leitungsämtern des Bischofs, des Priesters und des Diakons. Kurz: Es gilt, die Berufung einer Frau zum dreigestuften sakramentalen Weiheamt theologisch und kirchenrechtlich zu ermöglichen und damit die Gleichheit der Startchancen (Gleichheit vor dem Gesetz) innerkirchlich herzustellen.
Papst Franziskus plädiert für eine Theologie der Frau und denkt darüber nach, wo und wie auch Frauen zentrale Führungs- und Entscheidungsfunktionen in der Kirche ausüben können.[8] So mahnt er in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (2013) notwendige Reformen für eine pastorale Neuorientierung der Kirche („Reform der Strukturen“, Nr. 27) an.
Pfarrer- und Pfarreiinitiativen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz
Im Zuge der weltweiten innerkirchlichen Reformbewegungen sind auch in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz Pfarrer- bzw. Pfarrei-Initiativen entstanden, welche die Kirchenbasis in diesen Ländern stark mobilisieren.[9] Diese protestierenden Vorstösse aus der Mitte des Kirchenvolkes und des niederen Klerus sind nicht zu überhören und beschäftigen die kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit. Die Reaktionen sind je nach Bistum unterschiedlich. Bestimmte Bischöfe antworten harsch und drohen Retorsionen an, andere suchen auf dem Weg des Dialogs die Einheit in der Kirche zu wahren – und damit vielleicht auch Zeit zu gewinnen.
Ausschluss der Frauen vom Dienst der umfassenden Seelsorge
Im Zentrum der kirchlichen Praxis steht der Anspruch aller Gläubigen, das Wort Gottes unverfälscht zu hören und die Eucharistie mitzufeiern. Dieses Recht ist in der katholischen Kirche eingeschränkt, da die Weiheämter des Bischofs, des Priesters und des Diakons und damit die wichtigsten Leitungsämter auch in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts nach wie vor nur getauften, zölibatär lebenden Männern vorbehalten sind.
Es erweist sich als fatal, wenn das Recht der Gläubigen auf den Empfang der Sakramente durch die geschlechterdifferenten Regelungen im Kirchenrecht konterkariert wird.
So gerät die Kirche in folgendes Dilemma:
- Einerseits sind die Frauen vom Dienst der umfassenden Seelsorge, der zum Kernauftrag der Kirche gehört, kirchenrechtlich ausgeschlossen. Dies verstösst gegen den in den Konstitutionen des II. Vatikanums verankerten (LG 32) und im Gesetzbuch der römisch-katholischen Kirche (Can. 208 CIC) statuierten Grundsatz der Rechtsgleichheit in der Kirche.
- Andererseits droht das Recht der Gläubigen, das Wort Gottes zu hören und die Sakramente zu empfangen, nicht zuletzt wegen des in der katholischen Weltkirche akuten Priestermangels de facto beschnitten zu werden.
So erweist es sich als fatal, wenn das Recht der Gläubigen auf den Empfang der Sakramente durch die geschlechterdifferenten Regelungen im Kirchenrecht konterkariert wird. Ist dieses Recht faktisch eingeschränkt, müsste die oberste Kirchenleitung (Papst und Bischofskollegium) verpflichtet sein, ohne Verzug zu handeln. Denn: Das Heil der Seelen ist das oberste Gesetz (Can. 1752 CIC).
Frauendiskriminierende Ämterordnung
So dringt auch im Raume der katholischen Weltkirche allmählich die Erkenntnis durch, dass eine frauendiskriminierende Ämterordnung vor dem Kirchen- und Amtsverständnis des II. Vatikanums nicht standzuhalten vermag.[10] Die Kirche kann sich nicht mehr auf ihr „altes“ Selbstverständnis als „societas perfecta“ und ihr daraus abgeleitetes Selbstbestimmungsrecht als Argument gegen die Gleichstellung von Mann und Frau im diakonischen und priesterlichen Dienst berufen.
Gleichstellung von Mann und Frau als Prüfstein
Die Frage der Gleichstellung von Frau und Mann in der Ämterordnung der katholischen Kirche ist bislang ungelöst. Angesichts der weltweiten Bewegung an der kirchlichen Basis wird sich die oberste Kirchenleitung der Gleichstellung der Frau im Kirchenrecht nicht entziehen und kaum (nur) mit kirchendisziplinarischen Mitteln reagieren können, sondern hat mit konkreten, schrittweisen innerkirchlichen Reformen (step by step) zu antworten.
Taufe als Kriterium
So könnte der sakramentale, geweihte Diakonat der Frau mittel- bis längerfristig einen wichtigen ersten Schritt auf dem kirchlichen Weg zur Gleichstellung von Frau und Mann darstellen.[11] Vielleicht bringen Papst und Bischofskollegium als Träger höchster kirchlicher Leitungsvollmacht gar die Kraft und den Mut auf, die dringend notwendige Reform der kirchlichen Ämterordnung uno actu vorzunehmen, d. h. die Zulassung der Frau aufgrund der Taufe (Can. 849 CIC) zum geweihten Diakonat, zum Priester- und zum Bischofsamt zu ermöglichen.[12]
Kurzfassung des in der „Schweizerischen Kirchenzeitung“ (SKZ) vom 15. September 2016 erschienenen wissenschaftlichen Beitrages.
Quirin Weber, Dr. iur. Dr. phil. lic. theol., ist ehemaliger Dozent für Religionsverfassungsrecht an der Universität Luzern.
[1] Thomas von Aquin, Summa theologica I q. 92 a. 1.
[2] Erasmus von Rotterdam, Uxor Memsigamos sive Conjugium, in: Colloquia familiaria / vertraute Gespräche, übers. Werner Welzig, in: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften, hrsg. von Werner Welzig, Darmstadt 1967, 144 ff.
[3] Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ (LG), Nr. 32.
[4] Medard Kehl, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, 2. Aufl., Würzburg 1993, 455. Jüngst Herta Nagl-Docekal, Geschlechtergerechtigkeit, in: Theologische Quartalschrift 195 (2015), 75 ff., hier: 81: „ ‚naturalistische(r) Fehlschluss‘ “.
[5] Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ (GS), Nr. 4.
[6] Medard Kehl, Wohin geht die Kirche? Eine Zeitdiagnose, 3. Aufl., Freiburg 1996, 67 f.
[7] Hubert Wolf, Und sie bewegt sich doch, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 140, 21.6.2015, 9.
[8] Papst Franziskus, in: Antonio Spadaro SJ, Das Interview mit Papst Franziskus, hrsg. von Andreas R. Batlogg SJ, Freiburg u. a. 2013, 56.
[9] Bittschrift der Röm.-Kath. Landeskirche Basel-Landschaft und der Röm.-Kath. Landeskirche Basel-Stadt an den Präfekten der Glaubenskongregation, überbracht am 1. Juli 2016 im Vatikan an Gerhard Kardinal Müller (Brief im Original): „Gleichberechtigte Zulassung zum Priesteramt, ungeachtet von Zivilstand und Geschlecht“ (Hervorhebung im Original). Für Deutschland und Österreich Jan-Heiner Tück (Hrsg.), Risse im Fundament? Die Pfarrerinitiative und der Streit um die Kirchenreform, Freiburg i. Br. 2012.
[10] Hermann J. Pottmeyer, Dialogstrukturen in der Kirche und die Communio-Theologie des Zweiten Vatikanums?, in: Joachim Wiemeyer (Hrsg.), Dialogprozesse in der Kirche. Begründungen. Voraussetzungen – Formen, Paderborn 2013, 133 ff.
[11] Yves Congar OP, Gutachten zum Diakonat der Frau, in: Amtliche Mitteilungen der Gemeinsamen Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland, München 1973, Nr. 7, 37 ff., hier: 27: „Die Zulassung von Frauen zum sakramentalen Diakonat ist dogmatisch möglich; es hat den Diakonat der Frau ja jahrhundertelang gegeben.“
[12] So würde der neu revidierte Can. 1024 lauten: „Die heilige Weihe empfängt gültig nur eine getaufte Person.“
Beitragsbild: Episcopa Theodora (‚Bischöfin Theodora‘) ist die griechische Inschrift eines Mosaiks aus dem 9. Jahrhundert in der Zenokapelle der römischen Kirche Santa Praxedis