Kirche sollte ihren Beitrag zum Frieden sichtbar machen und sich aus theologischen Gründen auch manchmal quer zu staatlicher Politik stellen. Ein erster Beitrag aus der Friedensarbeit zu den heute beginnenden Synoden auf EKD-Ebene. Von Sabine Müller-Langsdorf.
Mit welchen Emotionen schauen Sie auf die EKD-Synode?
Ich freue mich, dass es eine Themensynode „Frieden“ geben wird. Schon der Vorbereitungsprozess zu dieser Friedenssynode war besonders. Unter der Federführung des Friedensbeauftragten der EKD, Pastor Renke Brahms, markierten in einem partizipativen Verfahren Synodale aus den Landeskirchen im Rahmen einer Konsultation im September 2018 ihnen wichtige Friedensthemen: Frieden ist ein Geschenk Gottes und hat eine spirituelle Komponente. Frieden will in der Gesellschaft gestaltet werden und hat eine soziale Dimension. Frieden hat internationale Aspekte und sucht immer neu rechtliche Verankerung. Frieden ist nicht ohne die ökonomische Gerechtigkeit und die ökologische Verantwortung zu denken. Und Frieden ist eine Aufgabe der Religionen, miteinander, untereinander.
All diese Dimensionen spiegeln einen weiten und umfassenden Friedensbegriff wider, der sich in der Tradition der Denkschriften ebenso wiederfindet wie in ökumenischen Verlautbarungen zu Frieden und Gerechtigkeit. Mir gefällt diese Vorbereitung „von unten“ und ich bin gespannt, was sich davon im Programm der Synode wiederfinden wird. In meiner Arbeit als Friedensbeauftragte beobachte ich in Diskussionen ab und an eine Verengung des Friedensbegriffs auf die Frage der militärischen Sicherheit. Ich hoffe, dass die Synode diese Engführung vermeidet und Stimmen aus dem globalen Süden, von außerhalb des eigenen engen Denk-und Kulturraums einbezieht. Frieden ist eine globale Sache und braucht auch die Stimmen derer, die an den Folgen „unseres“ gesellschaftlichen wie politischen Friedenshandelns leiden.
Den eigenen Denk- und Kulturraum verlassen
Welche institutionellen Interessen verbinden sich mit der Synode? Wo verbinden sie sich, wo stehen sie in Spannung?
Frieden fällt nicht vom Himmel. Frieden will gelernt, vorbereitet, gestaltet sein und bewahrt werden. Friedensbildung ist eine Querschnittsaufgabe in Schulen, Bildungseinrichtungen, Freiwilligendiensten. Ich wünsche mir, dass die Synode diese Querschnittaufgabe stärkt, indem sie entsprechenden Initiativen und Akteure finanziell wie personell fördert. Dabei ist zu diskutieren, ob ausschließlich gewaltfreie Methoden und Wege der Friedensbildung präferiert werden. Hier erlebe ich in der Praxis Spannungen.
Spannungen in der Frage, ob ausschließlich gewaltfreie Wege gefördert werden sollten
In der Bibel heißt es „Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein“. Darum erwarte ich von der Friedenssynode einen klaren Blick auf den Zusammenhang von Frieden, sozialen und wirtschaftliche Strukturen. Die EKD hat doch mit ihren Werken Brot für die Welt, der Diakonie und dem Kirchlichen Entwicklungsdienst profunde Kenntnisse und gelingende Friedensprojekte in den gesellschaftlichen und friedenethischen Diskurs einzubringen. Sie sollte ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen!
Mit Jesu Grundbotschaft „Kehrt um!“ ist Kirche auch an die Suche nach nachhaltigem Frieden, Klimagerechtigkeit und Verzicht anschlussfähig. Eine Friedenssynode im November 2019 kommt nicht an den das Jahr prägenden „Friday for Future“ Aktionen der jungen Generation vorbei.
Anschlussfähig: „Kehrt um!“
Die Synode bietet einen Anlass, die Begriffe Frieden und Sicherheit neu zu denken. Dazu hat Dietrich Bonhoeffer 1934 in seiner Rede in Fanö theologisch in knappen Worten präzise die Richtung gewiesen: „Es gibt keinen Frieden auf dem Weg der Sicherheit…“ Die Synode könnte den Impuls der Badischen Kirche zu „Sicherheit neu denken“ aufgreifen. Dieser bemüht sich um ein neues Verständnis des Sicherheitsbegriffs, verbunden mit politischen Handlungsoptionen.
Last but not least: eine Synode mit dem Themenschwerpunkt Frieden bietet die Chance, den theologischen Klassiker aufzurufen: das Verhältnis von Kirche und Staat. Die evangelische Kirche in Deutschland hat Jahrhunderte eine Nähe von „Thron und Altar“ gelebt. In beiden Weltkriegen hat sie mehrheitlich die Waffen gesegnet. Nach der Wiedervereinigung hat sie im Unterschied zur katholischen Kirche das Amt eines leitenden Militärgeistlichen, eines hauptamtlichen Militärbischofs geschaffen. Für mich gibt es zu dieser Entscheidung bleibend Fragen: nach der Symbolik, die sich mit einer solchen Stelle verbindet im Verhältnis von Kirche und Staat. Nach den Signalen der Wertigkeit des Militärs in Zeiten einer ausgesetzten Wehrpflicht, die ein solches Amt sendet. Nach der finanziellen Ausstattung dieses Arbeitsbereichs im Vergleich zu den Friedensdiensten oder dem Friedenbeauftragten.
Die Symbolik eines Militärbischofs
Was halten Sie für die wesentlichen Herausforderungen staatlicher Friedenspolitik? Was sollte sich ändern?
Zunehmender Nationalismus in vielen Ländern Europas, das Auseinanderdriften gesellschaftlicher Gruppen, Rechtspopulismus und Fremdenhass sorgen mich als Bürgerin in Deutschland. Ich halte darum eine international denkende und multilateral handelnde Friedenspolitik für wichtig. Sie sollte den europäischen Gedanken stärken – und Europa an seine Stärken erinnern: Krisenprävention mit zivilen, diplomatischen Mitteln, die Beilegung von Gewaltkonflikten und die Förderung des Wiederaufbaus von Gesellschaften nach Kriegszerstörung.
Friedenslogisches Handeln
Die zu beobachtende Erhöhung der Militärausgaben sowohl auf deutscher wie europäischer Ebene weist auf eine „Versicherheitlichung“ der Friedenspolitik hin. Wichtig ist ein friedenslogisches Handeln, das sich an der menschlichen Sicherheit, einem fairen Handel und ökologischen Verantwortung orientiert. Einer Erhöhung der Militärausgaben muss eine entsprechende Erhöhung der Instrumente zur zivilen Friedenssicherung entsprechen.
Ich lebe in einem Land, das im vergangenen Jahrhundert zwei Weltkriege über viele Völker gebracht hat, heute wieder ganz vorne mitmischt in Sachen Rüstungsexporte. Das Geschäft mit dem Tod „Made in Germany“ braucht restriktivere Regeln und Instrumente, die Regelungen überprüfen und die Einhaltung nachdrücklich einfordern.
Wie steht kirchliche Friedensarbeit dazu im Verhältnis? Welche Rolle haben kirchliche Akteur*innen gegenüber staatlichen?
Kirche ist ein Teil der Zivilgesellschaft. Sie weiß nicht besser als andere, wie Frieden geht. Auch Begriffe wie Menschenwürde und Solidarität hat sie nicht erfunden. Ein Beispiel dafür ist für mich die Entscheidung der EKD zu einem zivilen Rettungsschiff im Mittelmeer. Spät, aber immerhin bringt die EKD (hoffentlich zügig!) Ressourcen für den Frieden an einer Stelle auf, die gesellschaftlich umstritten ist, staatlich schwach aufgestellt ist und von der Genese her ganz ohne christliches Ethos entstanden ist.
Kirche weiß nicht besser als andere, wie Frieden geht.
Wenn es einen Unterschied in der Rolle von kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gibt, dann liegt er meiner Einschätzung nach in der Motivation der einzelnen Menschen und im Narrativ der Begründung. Und da bin ich an meinem Lieblingsthema: Macht die Theologie stark! Wir haben eine gute, einfache, klare, unbestechliche Botschaft: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Selig sind die Armen, die Gerechtigkeitssucher*inne. Was ihr getan habt einem meiner geringsten Geschwister, das habt ihr mir getan. Daraus lebt und handelt Kirche.
Wenn sie mit dieser Botschaft quer steht zu staatlichem Handeln, wenn sie sich damit manchmal lächerlich macht und naiv scheint, dann steht das in guter Tradition. Schon Paulus sprach von dem Narr-Sein um Christi willen. Kirche hat sich an den Schwachen zu orientieren, den Opfern zu helfen, den Staat an seine Aufgabe der Fürsorge für alle Bürgerinnen und Bürger zu erinnern. Wo auch das nicht fruchtet, gilt der Satz Bonhoeffers von dem Rad, dem in die Speichen zu fallen ist. Eine Entscheidung, die dem Gewissen des Einzelnen obliegt und einer Institution wie der Kirche Unannehmlichkeiten, aber auch Glaubwürdigkeit bringen kann.
Was erhoffen Sie sich von der Positionierung der EKD im Rahmen der Synode?
Verlautbarungen „der EKD“ sind in der Regel Konsenspapiere. Sie versuchen, die Vielfalt der in der Kirche vorhandenen Meinungen abzubilden. Gleichwohl erhoffe ich mir an der ein oder anderen Stelle klare Worte (in verständlicher Sprache), die den Absender erkennen lassen und schon in der Wortwahl nicht nur nach politischer Anschlussfähigkeit schielen. Frieden ist eben „höher als alle Vernunft“. Konkret erhoffe ich mir eine Absage an atomare Massenvernichtungsmittel und eine Beteiligung an der ICAN-Kampagne. Ich hoffe auf die Stärkung eines Europa, das dem Nationalismus eine Alternative bietet. Dazu kann die EKD in ihrer ökumenischen Vernetzung einen wertvollen Beitrag mit eigenen Akzenten leisten uns konkrete Projekte fördern. Vor allem aber erhoffe ich mir ein Handeln, das sich an denen orientiert, die in den Seligpreisungen gelobt werden: den Schwachen, den Benachteiligten, den Verfolgten, den Opfern von Gewalt und Terror.
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Die Synode der EKD beginnt am 10. November. Auch die ab heute tagende Generalsynode der VELKD setzt sich mit dem Schwerpunktthema Frieden auseinander.
Sabine Müller-Langsdorf ist Pfarrerin und arbeitet im Zentrum Ökumene der beiden hessischen Landeskirchen für den Bereich Friedensarbeit.
Die Fragen stellte Kerstin Menzel.
Bild: Carolina Garcia Tavizon / unsplash.com
Ebenfalls heute erscheint ein zweiter Text zum Thema von Veronika Drews-Galle:
Klarheit und Pluralismusfähigkeit – Erwartungen an die Friedenssynode der EKD II