In der Suche nach klaren Linien sollte die Kirche ihre innere Pluralität nicht aus den Augen verlieren. Der Einsatz für den Frieden hat viele Formen. Ein zweiter Beitrag aus dem Bereich der Militärseelsorge zu den heute beginnenden Synoden auf EKD-Ebene. Von Veronika Drews-Galle.
Mit welchen Emotionen schauen Sie auf die EKD-Synode?
Freude und Sorge zugleich. Ich freue mich, dass wir uns in der evangelischen Kirche so sichtbar um die Friedensfrage bemühen, dass hierüber mit Leidenschaft gestritten wird und die Synodalen mit ihrer Themensetzung zeigen, dass sich die evangelische Kirche in Deutschland weiterhin aktiv am öffentlichen Diskurs um diese schwierigen Fragen beteiligen will.
Zuletzt macht es mich besorgt, dass zumindest ein Teil der evangelischen Kirche getrieben ist von dem Wunsch nach einer Art Schlussstrich unter die Friedensdiskussion, nach einer Festlegung unter Ausschluss abweichender Meinungen, wie sie sich unter anderem in dem 2017 veröffentlichten Magdeburger Friedensmanifest ausdrückt. Die Flugschrift fordert konsequente Gewaltlosigkeit und ruft unter anderem die Landeskirchen auf, ihren Mitgliedern zu empfehlen, weder beim Militär noch in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Auch sollten sie die Gesprächsbereitschaft nur denjenigen Soldatinnen und Soldaten gegenüber aufrechterhalten, die sich kritisch mit ihrem Dienst auseinandersetzen.
Forderung nach klaren Festlegungen unter Ausschluss abweichender Meinungen
Dass sich Menschen angesichts solcher Äußerungen enttäuscht von Kirche abwenden, kann ich nachvollziehen. Für mich stellt sich hier ganz grundlegend die Frage nach der internen Pluralismusfähigkeit von Kirche: Wie viel Verschiedenheit können und wollen wir ertragen? Wie können wir Differenzen zum Trotz friedvoll zusammen Kirche sein? Und wo sind unsere Grenzen? Für mich sind auch dies alles Friedensfragen und ich hoffe, sie finden angemessenen Raum in den Diskussionen wie Stellungnahmen in Dresden.
Verschiedenheit ertragen
Welche institutionellen Interessen verbinden sich mit der Synode? Wo verbinden sie sich, wo stehen sie in Spannung?
Frieden entsteht nicht von alleine. Frieden braucht Aufmerksamkeit, Engagement, natürlich auch finanzielle und personelle Ressourcen. Hier ziehen, denke ich, alle Mitglieder der Konferenz für Friedensarbeit an einem Strang.
Spannungsreich wird es, wenn die Diskussion aufkommt, wer für sich proklamieren darf, Friedensarbeit zu betreiben. Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr versteht sich nicht nur als besondere seelsorgerliche Gemeinschaftsaufgabe der Kirchen, sondern auch als integraler Bestandteil evangelischer Friedensarbeit. Wir erreichen eine Zielgruppe, die sonst kaum Kontakt zur Kirche hat. Und wir erreichen sie in einem Arbeitsalltag, der vom Krieg bestimmt wird. Täglich beten Militärgeistliche mit Soldatinnen und Soldaten um Frieden, und das tun sie mit großer Ernsthaftigkeit und nicht selten vor dem Hintergrund schrecklicher persönlicher Erfahrungen im Einsatz.
Um Frieden beten in großer Ernsthaftigkeit
Friedensbildung ist ein fester Bestandteil des für alle Soldatinnen und Soldaten verpflichtenden Lebenskundlichen Unterrichts, den Militärgeistliche geben. Gemeinsam mit der katholischen Militärseelsorge haben wir mit diesem Format in 2018 mehr als 75.000 Soldatinnen und Soldaten erreicht, insbesondere an den Schulen und Bildungseinrichtungen der Bundeswehr. Ich könnte noch viel aufzählen, wie z.B. die Seelsorge an Einsatzbelasteten entlang religiöser Kernthemen wie Schuld und Vergebung. Wenn das alles nicht als Friedensarbeit anerkannt wird, dann bin ich ratlos.
Was halten Sie für die wesentlichen Herausforderungen staatlicher Friedenspolitik? Was sollte sich ändern?
International sehe ich es als große Herausforderung an, dass die Kompromissbereitschaft und Solidarität zwischen den Staaten – in Europa wie weltweit – ebenso abnimmt wie das Bewusstsein, welch kostbares Gut der Frieden ist. Unter diesen Voraussetzungen Friedenspolitik zu betreiben und vor allem starke Partner hierfür zu gewinnen, erscheint mir äußerst schwierig.
Auch national ist es schwierig, Friedensthemen voranzutreiben. Zwar fallen in der öffentlichen Wahrnehmung innere und äußere Sicherheit immer mehr zusammen, was die Aufmerksamkeit für derartige Fragen erhöht. Doch das Thema ist hochkomplex und gefühlt weit weg von den Menschen. Plausibilisieren lassen sich vor allem Interventionen angesichts akuter Krisen, beispielsweise in Gestalt von Bundeswehreinsätzen. Dies jedoch birgt die Gefahr einer Verengung von konkretem friedenspolitischen Handeln auf eine Phase, in der es eigentlich schon zu spät ist.
Ein hochkomplexes Thema weit weg von den Menschen
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung zwar einen vernetzten Ansatz proklamiert, die Ressorts aber noch immer stark versäult arbeiten und es an übergeordneten Strategien mangelt. Ein konkreter Schritt in Richtung eines öffentlichen Bewusstseins dafür, welche Politik dem Frieden dient, wäre aus meiner Sicht, den vernetzten Ansatz der Bundesrepublik schon in der schulischen Bildung stärker in den Fokus zu rücken. So könnte der Staat zukünftig neben Jugendoffizieren auch Fachkräfte aus anderen Ressorts zur Verfügung stellen, die in Schulen das Handlungsspektrum in friedens- und sicherheitspolitischen Fragen verdeutlichen.
Wie steht kirchliche Friedensarbeit dazu im Verhältnis? Welche Rolle haben kirchliche Akteur*innen gegenüber staatlichen?
Ein nachhaltiger Einsatz für den Frieden braucht starke zivilgesellschaftliche Kräfte. Zum einen geht es dabei um das Einüben einer Grundhaltung der Empathie und Verantwortung, die den Blick über unsere Landesgrenzen hinaus weitet. Hier kommt den Religionsgemeinschaften eine wichtige Rolle zu, denn unser Glaube kann uns und andere ermutigen, zu vertrauen und für andere da zu sein.
Grundhaltung von Empathie und Vertrauen
Und natürlich ist Kirche ein riesiger Raum der praktischen Friedensbildung überall dort, wo wir uns bemühen, Glaubensgemeinschaft zu leben, etwa über Milieu- und Altersgrenzen hinweg. Friedensarbeit beginnt so gesehen für mich in der Einübung gewaltfreier Kommunikation in Gemeindegremien.
Aber ebenso wichtig ist eine kompetente kirchliche Auseinandersetzung mit friedenspolitischen Fragen unserer Zeit. Hierzu brauchen wir unsere eigenen Friedensfachkräfte, die Projekte und Diskurse anstoßen und begleiten, die das Thema mutig und streitbar hochhalten und Interessierten konkrete Wege des Engagements aufzeigt, zum Beispiel über Friedensdienste für junge Erwachsene.
Was erhoffen Sie sich von der Positionierung der EKD im Rahmen der Synode?
Ich persönlich würde mir wünschen, dass die kirchliche Rede vom Frieden mehr als bisher mit konkreten Maßnahmen unterlegt wird. Wir müssen konkreter werden in dem, was wir zum Frieden beitragen wollen, und uns auch hieran messen lassen.
Friedensbildung breiter aufstellen
Der badische Prozess „Kirche des gerechten Friedens werden“ ist hier vorbildlich, auch wenn ich inhaltlich nicht alles teile. Aber der Weg, konkrete Schritte und Verantwortlichkeiten festzulegen und auch entsprechend Ressourcen bereitzustellen, verschafft der Friedensfrage nach meiner Wahrnehmung ebenso effektiv wie nachhaltig Beachtung. Und auch in Richtung Politik hoffe ich, dass die EKD-Synode konkret wird, etwa mit der Forderung einer inhaltlich breit aufgestellten, staatlich finanzierten Friedensbildung an Schulen.
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Die Synode der EKD beginnt am 10. November. Auch die ab heute tagende Generalsynode der VELKD setzt sich mit dem Schwerpunktthema Frieden auseinander.
Veronika Drews-Galle ist Referentin für theologische und ethische Grundsatzfragen im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr.
Die Fragen stellte Kerstin Menzel.
Bild: Carolina Garcia Tavizon / unsplash.com
Ebenfalls heute erscheint ein zweiter Text zum Thema von Sabine Müller-Langsdorf:
Klarheit und Pluralismusfähigkeit – Erwartungen an die Friedenssynode der EKD I