Debatte um die Analytische Theologie (Teil 1): Feinschwarz.net veröffentlicht die Beiträge einer Onlinediskussion der AG Dogmatik und Fundamentaltheologie zum Thema „Analytische vs. Kontinentale Theologie“. Heute: Eröffnungsstatement von Christine Büchner.
Beginnen möchte ich mit einer Vorbemerkung: Ich schätze Thomas Schärtl wie Christian Bauer sehr und habe mit beiden sehr gewinnbringend zusammengearbeitet. Mir ist – von meinem Schwerpunkt auf mystischen Theologien her – eine lebensweltliche Verankerung von Theologie selbstverständlich; ich sympathisiere daher mit Christian Bauers explorativer Theologie. Als ebenso spannend und unaufgebbar empfinde ich die analytische Suche nach metaphysischen Modellen, welche den Sinn dieser lebensweltlichen Verankerung durch ein entsprechendes Denken des Zusammenhangs zwischen Gott und Welt plausibilisieren können. Und hier scheinen mir insbesondere die Arbeiten von Thomas Schärtl extrem inspirierend und anknüpfungsfähig.
Debatte unter Männern
Daher hoffe ich, beide verzeihen mir, wenn ich auch Kritik an der Diskussion anbringe – dies vor allem aus einer Geschlechterperspektive: Die Debatte war bislang eine Debatte unter Männern – diese Unwucht ist bisher noch gar nicht zur Sprache gekommen: Männer streiten sich, und Frauen sollen vermitteln. Der Streit ist medienwirksam. Michael Schüssler hat in seinem Beitrag zur Debatte[1] betont, dass die Art und Weise des Schlagabtausches zumindest demonstriert, dass sich die Beteiligten als Kontrahenten auf Augenhöhe wahrnehmen und sich damit performativ die wechselseitige Relevanz bestätigen. Dies bringt mich dazu, den Anlass und das Ziel dieser Auseinandersetzung nicht nur auf der Sachebene zu suchen. Es geht offensichtlich auch um Anerkennung und Geltung innerhalb der theologischen Community. Ich thematisiere das, weil ich es für unser Selbstverständnis als Theolog:innen für wichtig halte, das transparent zu machen. Es bleibt zu oft unausgesprochen, dass das vielbeschworene ernsthafte theologische „Ringen“ meistens auch ein Streit um Ranking, Aufmerksamkeit und Ressourcen ist. Es ist daher tatsächlich, wie Margit Wasmeier-Sailer[2] feststellt, ein Grund zur Hoffnung, wenn Theolog:innen es schaffen, ihre Verletzbarkeit zur Sprache zu bringen. Dadurch machen sie diese hinter der Sachebene hochwirksamen Dynamiken sichtbar.
Theologie des suchenden Miteinanders
Es ist allerdings kein Grund zur Hoffnung, wenn sich eine Theologie etabliert, in der sich die Männer streiten und die Frauen vermitteln. Ich habe mich mit diesem Format einverstanden erklärt, weil ich es gleichzeitig auch als Gelegenheit nutzen möchte, zu werben für eine Theologie des suchenden Miteinanders statt des professionellen Gegeneinanders. Der Streit theologischer Lager ist ja nicht neu. Er hat vielmehr Tradition – eine akademische Tradition, in der es Theologinnen noch kaum gab. In dieser Tradition geben jene den Ton an, die sich ihres eigenen Zugriffs sehr gewiss sind und sich daher quasi selbstverständlich profilieren, indem sie andere Zugriffe delegitimieren. Mit gutem Grund: Wenn ich zu selbstkritisch bin, wenn ich versuche, anderen Ansätzen auch etwas abzugewinnen, wenn ich stets davon ausgehe, auch der andere könnte vielleicht recht haben und ich unrecht, dann besteht die Gefahr, dass ich nicht in derselben Weise wahrgenommen werde.
Sache der epistemischen Redlichkeit
Dabei wäre es doch eine Sache der epistemischen Redlichkeit, auch den Selbstzweifel stärker zu kultivieren. Ich weiß ja doch, dass mein Ansatz sicher nicht so ausschließlich kohärent ist, dass er alles in den Blick bekommen kann und es anderer nicht mehr bedürfte. Und doch erlebe ich immer wieder das Gegenteil (im übrigen nicht nur von analytischer oder von phänomenologisch- und/oder hermeneutischer Seite, sondern noch viel mehr von transzendental-freiheitsanalytischer Seite). Aber auch postmodern pluralitätssensible Denker:innen sind davor offensichtlich nicht grundsätzlich gefeit, wie der Bauer-Schärtl-Streit zeigt: Ich stimme Matthias Remenyi[3] zu, der Christian Bauer hier einen performativen Selbstwiderspruch vorwirft, wenn dieser sich zwar gegen hegemoniale Ansprüche eines bestimmten theologischen Ansatzes auflehnt und sich für eine epistemische Pluralitätssensibilität ausspricht, aber selbst doch recht unerschrocken kategorisiert und polarisiert, indem er etwa gleich am Anfang seines Artikels, der die Debatte ausgelöst hat, von „Markenbildungen“[4] spricht. Verzichten wir auf Markenbildung, tritt Konkurrenz in den Hintergrund und verschieben sich die Möglichkeiten von Allianzen.
Zweifel am eigenen Denken
Mein Plädoyer geht daher dahin, dass wir an einer Atmosphäre arbeiten sollten, in der es als ernsthafter Ausdruck von Wissenschaftlichkeit gilt, auch die Zweifel am eigenen Denken zu äußern, statt es nur gegen anderes Denken zu verfechten, also dahin, selbstkritische, miteinander solidarische Theologien zu etablieren (gerade auch angesichts der gesellschaftlich überall sich verschärfenden Polarisierungen und Einteilungen in gut und böse): Ich erspare es mir daher, die von Christian Bauer und den weiteren Debattenteilnehmer:innen aufgemachten Etikettierungen zu wiederholen und gehe auch nicht auf die jüngsten Anwürfe von Thomas Schärtl und Benedikt Göcke ein, welche die Debatte, indem sie Christian Bauers Überlegungen als „Kaiserschmarren“[5] verunglimpfen, leider noch einmal angeheizt haben.
Möglichkeit zur selbstkritischen Differenzierung
Ich habe einerseits Verständnis, dass die Angegriffenen sich in die Enge getrieben sehen und mit Gegenangriffen verteidigen; zugleich macht mich die dabei gewählte Sprache der Gegnerschaft auch ratlos. Vor allem hilft sie dem dort geäußerten, richtigen Anliegen, das Argument zur Geltung zu bringen, nicht. Und die beiden machen nun in der Herderkorrespondenz[6] noch ein weiteres Fass auf mit der Frage nach den (bedrohlichen?) Transformationsprozessen, welche die postkolonialen Debatten für die Theologie bringen werden. Auch diese müssten, meine ich, für analytische Denker:innen nicht als Bedrohung, sondern könnten als Möglichkeit zur selbstkritischen Differenzierung wahrgenommen werden[7]. Der Vorwurf des „Neo-Konservativismus“ wäre damit wie von selbst vom Tisch, er wird hingegen virulent, wo eine postkoloniale Agenda zum Feindbild gemacht wird.
Haltung der Selbstrelativierung
Noch einmal daher mein Plädoyer: Wir brauchen diese unterschiedlichen Theologien. Sie müssen sich wechselseitig kritisieren, auf Einseitigkeiten hinweisen, aber nicht in Gegnerschaft und mit hegemonialen Zielen, sondern – in Anlehnung an Catherine Keller[8] aus einer panentheistischen und zugleich politisch-kritischen Grundüberzeugung heraus formuliert – indem sie liebevoll miteinander streiten. Jeder Differenz liegen zugleich Verbindungen zugrunde. Thomas Schärtl und Benedikt Göcke gehen am Ende des jüngsten Artikels in der Herderkorrespondenz auf den interreligiösen Diskurs ein. Gerade hier haben wir bereits gelernt, eine solche Haltung der Selbstrelativierung zu etablieren, weil wir nur so miteinander weiterkommen – auch innerhalb unserer Disziplin.
Prof. Dr. Christine Büchner ist Professorin für Dogmatik an der Universität Würzburg.
[1] Vgl. https://www.theologie-und-kirche.de/schuessler-essay.pdf
[2] Vgl. https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2022/8-2022/theologen-mit-konzilsproblem-analytische-theologie-in-der-diskussion/
[3] Vgl. https://www.theologie-und-kirche.de/schaertl-bauer.pdf
[4] Vgl. https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/thrv/article/view/3837/3921
[5] Vgl. Thomas Schärtl und Benedikt Paul Göcke, Kaiserschmarrn-Dilemma. Vor wem muss sich die Analytische Theologie rechtfertigen, in: MThZ 73 (2022/3), S. 331–335
[6] Vgl. https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2022/10-2022/unter-verdacht-zum-streit-um-die-analytische-theologie/
[7] Vgl. auch hierzu bereits Michael Schüssler in seinem oben erwähnten Beitrag zur Debatte.
[8] Vgl. Catherine Keller, Political Theology of the Earth. Our Planetary Emergency and the Struggle for a New Public, New York 2018
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