Die Deutschen Bischöfe haben die künftige Bedeutung der katholischen Theologie diskutiert. Michelle Becka erläutert die Tragweite der Theologie als universitäre Wissenschaft und deren unumgänglichen „Hausaufaufgaben“.
„Wir bekräftigen einmütig die Bedeutung der Theologischen Forschung und Lehre an staatlichen und kirchlichen Hochschulen. Deshalb setzen wir uns entschieden für den Fortbestand der katholisch-theologischen Fakultäten und Institute an staatlichen Hochschulen ein.“ Dieses starke und wichtige Statement ist Teil einer Erklärung zur Zukunft der Theologie, welche die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Herbstvollversammlung verabschiedet hat. Die Erklärung ist aus einem Konsultationsprozess mit Theologinnen und Theologen (repräsentiert u. a. durch den Katholisch-Theologischen Fakultätentag) hervorgegangen und stellt ein wichtiges Bekenntnis zur universitären Theologie dar.
Theologie gibt vernunftgeleitet Rechenschaft
Die Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen gehen zurück und die Bindungskraft der Kirchen schwindet. Dennoch ist Religion nicht aus der Öffentlichkeit verschwunden – und religiöse Phänomene sind ebenso vielfältig wie die Reaktionen darauf: von Gleichgültigkeit zu Neugier oder Ablehnung. Theologie kann damit umgehen – und zugleich noch mehr. Sie gibt vernunftgeleitet Rechenschaft über den Glauben und reflektiert und interpretiert Ausdrucksweisen, Phänomene, Narrative und Räume des Glaubens und des Ringens mit dem Glauben. Sie kann orientieren und kritisch infrage stellen (nicht zuletzt sich selbst). Und sie kann Positionen und Handlungsoptionen entwerfen, die gesellschaftlich relevant sind: „Eine öffentlich wirksame wissenschaftliche Theologie entzieht polarisierenden Tendenzen in Politik und Gesellschaft das ideologische Fundament. Sie stellt Kompetenzen zur Erfassung und Versprachlichung religiöser Phänomene bereit, die in einer pluralen Gesellschaft dringend vonnöten sind. Im interreligiösen Dialog trägt die wissenschaftliche Theologie konstruktiv zur Verständigung und zu friedvollem Miteinander bei.“
Das Papier der Bischöfe gibt der Theologie Rückenwind. Es lädt aber nicht dazu ein, sich in einer behaglichen Sicherheit einzurichten. Die gibt es nicht. Theologie muss nicht nur neue Antworten auf alte Fragen geben, sondern sie muss wahrnehmen, dass auch die Fragen andere sind.
Bewährtes auf neue Art plausibel machen.
Wie von Gott sprechen, wenn sich die Frage nach Gott für viele gar nicht stellt? Wie lässt sich angesichts einer verbreiteten Sehnsucht nach Sicherheit die Bedeutung von Ambiguitätstoleranz erklären? Damit verbunden stellt sich die Frage nach einer christlichen Identität, die weder selbst exklusiv oder identitär wird noch sich für diese Zwecke instrumentalisieren lässt. Theologie ist herausgefordert, wenn „Wahrheit“ im Zeitalter von Fakenews und Deepfakes zwar immer wichtiger zu werden scheint, aber dabei auf „Fakten“ reduziert wird – oder aber, wenn jeder Wahrheitsanspruch als intolerant und gewaltvoll verstanden wird. Und wie gehen wir damit um, wenn „Meinung“ an die Stelle des besseren Arguments rückt? Was bleibt, für mein Fach gesprochen, der Ethik ohne vernunftbasierte Argumentation? Wir können nicht auf sie verzichten! Zugleich sind aber Begriff und Verständnis der Vernunft – wie vieles andere – kritisch zu klären. Deshalb gilt es, manches Bewährte auf neue Art plausibel zu machen, und zugleich aufmerksam zu sein für die Fragen, die Menschen umtreiben einerseits und die in benachbarten Disziplinen diskutiert werden andererseits.
Papst Franziskus versteht die Theologie in Veritatis Gaudium als ein „kulturelles Laboratorium, in dem die Kirche jene performative Interpretation der Wirklichkeit ausübt, die dem Christusereignis entspringt und sich aus den Gaben der Weisheit und der Wissenschaft speist […].“ Das heißt: im theologischen Tun, in dieser Interpretation der Wirklichkeit ereignet sich etwas und entsteht etwas. Diese Art von Theologie erfordert Kreativität und Lebendigkeit, Offenheit und Sensibilität, Mut und Bescheidenheit. Und es braucht den steten Bezug zu Praxis und Erfahrung.
Gute Theologinnen und Theologen werden gebraucht –
für Kirche und Gesellschaft
Arroganz ist für die Theologie ebenso wenig angesagt wie unnötige Zurückhaltung. Die Theologie sollte weder besserwisserisch daherkommen, als ob sie immer schon wüsste, was richtig ist, noch verschämt schweigen, weil ihr Wissen vermeintlich niemanden interessiert. Ich nehme im interdisziplinären Diskurs an der Universität ein großes Interesse an Theologie wahr: Beispielsweise wird angesichts planetarer Krisen das Verhältnis von Mensch und nicht-menschlicher Welt reinterpretiert, verengte (Zweck-)Rationalitäten werden aufgebrochen, Fragen nach genuin theologischen Perspektiven werden gestellt. Diesem Interesse sollten wir entsprechen: Bescheiden, aber bestimmt; fähig zuzuhören und eigene Positionen zu artikulieren; kenntnisreich hinsichtlich nicht-theologischer Diskurse und in der Lage, Eigenes verständlich einzubringen. Das tun die verschiedenen theologischen Fächer auf je unterschiedliche Weise. In der Christlichen Sozialethik etwa haben wir nicht den exklusiven Plan für die perfekte Gesellschaft, der sich einfach in die Wirklichkeit übertragen ließe. Christliche Sozialethik reflektiert Praxis, sucht gute Gründe für richtiges Handeln und beteiligt sich am interdisziplinären Diskurs: Im Gespräch mit anderen ringen wir gemeinsam um die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft und einer für alle lebenswerten Welt (die nicht-menschliche Welt eingeschlossen!). Wir können Wissen und Perspektiven beitragen – und wir sind auf das der anderen angewiesen: Sozialwissenschaften, Philosophie und andere.
Gute Theologinnen und Theologen werden gebraucht! Für die Gestaltung einer Kirche und einer Gesellschaft, die sich den Zeichen der Zeit stellen. Eine besondere Rolle spielt dabei neben der Pastoral der Religionsunterricht. Die Schule ist ein – manchmal der – zentrale Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche mit Glauben und Religion auseinandersetzen. Die Lehramtsstudiengänge sind daher nicht dem Studium der „Volltheologie“ nachgeordnet. Sie sind von besonderer Bedeutung!
Junge Theolog:innen für
wissenschaftliche Laufbahn motivieren
„Der Dienst der Theologie für die Kirche und Gesellschaft in Deutschland, ihre Mitwirkung für das Gelingen einer pluralen und zugleich solidarischen Gesellschaft und schließlich ihr Beitrag zu einer umfassenden Wissenskultur an den Hochschulen können nur gewährleistet werden, wenn die Theologie in Deutschland auch in Zukunft eine gesicherte institutionelle Grundlage hat.“ Diese gesicherte institutionelle Grundlage schafft Freiheit, sie ermöglicht Theologen und Theologinnen gute Forschung und gute Lehre. Doch zugleich macht es die zunehmende Unsicherheit hinsichtlich der theologischen Fakultäten schwer, junge Theologinnen und Theologen für eine wissenschaftliche Laufbahn zu motivieren. Auch Intransparenz in Berufungsverfahren, insbesondere mit Blick auf das „Nihil obstat“, erschweren diese Entscheidung. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Bischöfe sich für „kürzere und transparentere Verfahren zur Erteilung der römischen Unbedenklichkeitserklärung (nihil obstat)“ einsetzen möchten. Sie werden daran zu messen sein.
Das Profil der Theologie
an Fakultäten und Instituten
weiterentwickeln
Und wir Theologieprofessorinnen und -professoren werden daran zu messen zu sein, wie wir unser Profil an Fakultäten und Instituten weiterentwickeln. Entweder wir bearbeiten in unserer Forschung relevante Fragen und tragen Relevantes bei; entweder finden wir in der Lehre Formen, die Anliegen der Studierenden aufnehmen und zugleich etwas zu sagen haben, entweder wir suchen den interdisziplinären Diskurs mit anderen Wissenschaften und transdisziplinär mit gesellschaftlichen Kräften – oder wir tun all das nicht. Dann machen wir uns überflüssig. Das wäre ein Verlust! Wenn wir das aber tun, können wir Studierende für ein Fach begeistern, das sich lohnt, weil es persönlich bereichert, indem es den Glauben reifen lässt und kritisches Denken einzuüben hilft, und weil es wichtige Kompetenzen vermittelt zur Gestaltung von Kirche und Gesellschaft.
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Michelle Becka ist seit 2016 Professorin für Christliche Sozialethik an der Universität Würzburg und arbeitet zu verschiedenen Themen im Bereich der Politischen Ethik. Sie ist Vorsitzende der AG Christliche Sozialethik und Mitglied der Deutschen Kommission Justitia et Pax.
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