Die katholische Kirche steht vor einem doppelten Dilemma. Ihr gesellschaftliches Ansehen ist nach unzähligen Skandalen beschädigt. Und ausserhalb der eigenen Blase gelingt es ihr kaum noch, ihre Botschaften zu platzieren. In diesem Kontext plädiert Annalena Müller für einen unabhängigen Kirchenjournalismus nach Vorbild der öffentlich-rechtlichen Medien. Nur fehle der Kirche bisher der Mut.
In dem Klassiker «Lost in Translation» (2003) von Sofia Coppola ist der amerikanische Filmstar Bob Harris in Tokyo, um einen Werbespot aufzunehmen. Der alternde Schauspieler, dessen Popularität merklich nachgelassen hat, kommt in der japanischen Gesellschaft nicht zurecht. Eine Szene des Films fasst den Graben zwischen den beiden Welten pointiert zusammen: Während des Drehs erhält Bob detaillierte Anweisungen vom japanischen Regisseur. Seine Dolmetscherin fasst dessen Monolog in einem kurzen Satz zusammen. Die Nuancen, die für Kommunikation und Verständnis wichtig wären, sind «lost in translation». Beide Seiten bleiben sich fremd.
Beziehungsstatus: «kompliziert»
Die Szene ist übertragbar auf den Beziehungsstatus von katholischer Kirche und Gesellschaft. Sie stehen in einem Dialog, ohne sich wirklich zu verstehen. Und gute Dolmetscher – Fachjournalistinnen – gibt es kaum. Dabei braucht die Kirche heute mehr denn je gute Dolmetschende, die übersetzen und kritisch einordnen. Sie könnten der gegenseitigen Entfremdung etwas entgegensetzen.
Allein, den «säkularen» Medien fehlt das Geld. Die meisten grossen Medienhäuser haben den fachlich kompetenten Kirchen- und Religions-Journalismus bereits vor Jahren eingespart. Und während sich die katholische Kirche zwar verschiedene Informationsportale leistet, hadern viele Kirchenvertreter mit der kritischen Stimme einer «vierten Gewalt». Mehrheitlich versteht man unter Kirchenjournalismus nach wie vor eine höchstens pseudokritische Hofberichterstattung. Dies zeigt der Druck, den Portale wie katholisch.de, domradio.de oder das Katholische Medienzentrum für die deutschsprachige Schweiz immer wieder erleben.
Dabei würde gerade die von Skandalen gebeutelte katholische Kirche von einem unabhängigen, fachlich kompetenten, kritischen Journalismus profitieren. Keine «Coopzeitung», «DB-Mobil» oder andere Mitgliederzeitung, die auf Wohlfühl und Marketing setzen. Sondern Information und Analysen à la öffentlich-rechtliche Medien wie «SRF» oder «ARD», die zwar mittlerweile auch unter Druck stehen, aber in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin ein hohes Ansehen geniessen.
Öffentlich-rechtliche Medien als Vorbild
Dieses Ansehen gründet auf dem Wissen, dass die staatlich geförderten Medien unabhängig und fachlich kompetent arbeiten. Und dass sie dort kritisch nachfragen, wo es angebracht ist. Auch und gerade beim eigenen Geldgeber, der Öffentlichkeit und dem Staat. Anders sieht es bei kirchlichen Medien aus. Wenn diese Missstände thematisieren, wird gerne ein Loyalitätskonflikt herbeigeredet. Mit anderen Worten: Die Erwartung der kirchlichen Geldgeber ist weiterhin «Coopzeitung» und nicht «SRF».
Mit dieser Einstellung aber schadet sich die Kirche langfristig selbst. War die Gesellschaft zu Zeiten der Volkskirche mit Riten und Gepflogenheiten der Kirche vertraut, sind sie den meisten heute fremd. Geblieben ist eine Faszination für das Geheimnisvolle, das der katholischen Kirche und ihren Strukturen innewohnt. Das Resultat: In den Mainstreammedien taucht die Kirche heute primär bei Skandalen und «Prominews» auf – Missbrauch, Papst, Bischöfe und Ordensfrauen generieren nach wie vor verlässlich Klicks. Für alles, was darüber hinausgeht, fehlen den Medienhäusern die Ressourcen und die fachlichen Kenntnisse.
Es wäre daher im Interesse der Kirche, die Lücke zu füllen. Denn die gesellschaftliche Säkularisierung, die nicht mehr vorhandene mediale Expertise und die resultierende oberflächliche Fokussierung auf oben genannte Themen verstärken die gegenseitige Entfremdung von Kirche und Gesellschaft zusätzlich.
Neuer Ansatz für altes Thema
Die Kluft zwischen innerkirchlicher und gesellschaftlicher Realität ist kein neues Thema. Allerdings fokussieren die aktuellen Debatten vor allem auf Strukturen. Darauf, dass die Kirche sich öffnen, moderner und zeitgemässer werden müsse, um der Entfremdung entgegenzuwirken. Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit.
In der Debatte um Zölibat und Zulassungsbedingungen zu Eucharistie und Priesteramt geht oft vergessen, dass der wesentliche Teil der kirchlichen Botschaft nicht strukturell, sondern existenziell und ethisch ist. Und dass die christlichen Botschaften besonders in der heutigen Welt, die von Konflikten, Unsicherheiten und Fluchten geprägt ist, eigentlich sehr anschlussfähig sind. Aber das wissen immer weniger Menschen.
Will die katholische Kirche im deutschen Sprachraum eine gesellschaftliche Relevanz bewahren, muss sie lernen, sich und ihre Botschaften zu übersetzen. Dafür muss sie zunächst anerkennen, dass die Gesellschaft schon lange «lost in translation» ist. Dieses Problem kann der Journalismus nicht allein lösen. Aber er kann seinen Teil dazu beitragen. Die Kirche muss sich die Expertise leisten, welche die Vielfalt der kirchlichen Themen von Weltsynode bis hin zu ihrem gesellschaftlichen Engagement einordnet und für ein breites, «fachfremdes» Publikum zugänglich macht. Und sie muss gewährleisten, dass diese Expertise unabhängig und kritisch ist – analog zu den öffentlich-rechtlichen Medien.
Denn gute Übersetzungsarbeit allein reicht nicht. Um die Menschen ausserhalb der eigenen Blase zu erreichen, ist die Kirche auf einen unabhängigen kritischen Fachjournalismus angewiesen, der das öffentliche Vertrauen in die Berichterstattung sichert. Ander gesagt: Neben Übersetzungsarbeit braucht es Vertrauen in die Überbringenden, sonst wird die Nachricht gar nicht erst wahrgenommen.
Vertrauen durch Offenheit und echte Unabhängigkeit
Hier liegt das zweite Problem der katholischen Kirche. Sie hat nach einem Vierteljahrhundert globaler Missbrauchsskandale eine in der Geschichte einmalige Erosion des öffentlichen Vertrauens erlebt. Der Reflex, diesem Vertrauensverlust mit kirchlichem Marketing entgegenzuwirken – in dem man auf das Gute fokussiert und die Probleme möglichst wenig thematisiert – ist nachvollziehbar. Allein so wird das erhoffte Ziel verfehlt. Pointiert gefragt: Wem vertrauen Sie mehr – einer Reportage über den Zustand des Schienennetzes im Magazin der Deutschen Bahn oder den «Tagesthemen»?
Die Verantwortungsträger sollten die Frage nach dem Kirchenjournalismus nicht vernachlässigen, wenn es um die gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche geht. Kritischer Kirchenjournalismus ist deshalb wichtig, weil er Innen- und Aussensicht in einem ermöglicht. Er wirkt nach innen, indem er auf Übersetzungsprobleme und Diskrepanzen zwischen Wort und Tat hinweist. Er wirkt nach aussen, weil er für die «säkularen» Medien wichtige Vorarbeit leistet, die viel mehr Menschen erreichen als die kirchlichen. Schliesslich ist er für die Mitglieder der Kirche eine Art «Konsumentenschutz».
Ein Kirchenjournalismus, der sich am öffentlich-rechtlichen Journalismus von «SRF» oder «ARD» orientiert und innerhalb der Kirche die Rolle einer «vierten Gewalt» übernimmt, kann dazu beitragen, dass die Kirche und ihre Themen nicht «in translation», in Entfremdung und Misstrauen verschwinden. Was es dazu braucht, ist echte Unabhängigkeit. Und auf kirchlicher Seite Mut zur Kritikfähigkeit und Vertrauen in die mündigen Entscheidungen der eigenen Mitglieder. Und Mut, sich diesen Journalismus zu leisten.
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Annalena Müller ist promovierte Historikerin und Chefredaktorin des «pfarrblatt» des Kanton Bern. Ihre Studie «Monastic Women and Secular Economy in Later Medieval Europe, ca. 1200 to 1500” ist im Januar 2024 bei Routledge erschienen. Das Forschungsprojekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Die Studie kann kostenlos (Open Access) heruntergeladen werden. (Foto: Pia Neunschwander)
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