Nina Horaczek und Sebastian Wiese haben sich gängiger Vorurteile unserer Gesellschaft angenommen und sie in ihrem äußerst lesenswerten Buch „Gegen Vorurteile. Wie du dich mit guten Argumenten gegen dumme Behauptungen wehrst“ auf den Prüfstand gestellt. Eine Empfehlung von Julia Enxing.
„Die Flüchtlinge kommen doch nur hierher, um sich in Deutschland die Zähne machen zu lassen.“ Eine Freundin empörte sich neulich zurecht über diesen Satz, der Teil einer Unterhaltung war, die sie im Stadtbus mithören musste. Sie sprach die beiden Damen an und sagte, dass sie kaum glaube, dass jemand mit Säuglingen im Arm in ein kleines, überfülltes Schlauchboot einsteigt, um damit über’s Mittelmeer zu fahren, um sich dann in Deutschland „die Zähne machen zu lassen“. Damit war das Gespräch beendet.
Obwohl ich nicht dabei war, konnte ich mir die Situation nur zu gut vorstellen, kenne ähnlich gefärbte Äußerungen selbst zur Genüge. Die massiven Vorurteile, die mir manchmal begegnen, wirken wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht. Sie lassen mich mit einem tiefen Unrechtsbewusstsein und oft leider auch sprachlos dastehen. Da hilft nur eine Kombination aus Reaktionsgeschwindigkeit, Schlagfertigkeit und guten Sachargumenten. Letztere liefern Nina Horaczek und Sebastian Wiese in ihrem Werk „Gegen Vorurteile. Wie du dich mit guten Argumenten gegen dumme Behauptungen wehrst“ (Czernin Verlag, Wien 2015, 190 Seiten).
Vor-Urteile, die ohne eingehende Beschäftigung mit der beurteilten Person oder Personen unser öffentliches Denken und Handeln bestimmen und nicht selten zu Mobbing, Gewalt und Hass führen, lauern hinter jeder Ecke. Die einen schimpfen über die Ausländer, die uns unsere Arbeitsplätze und den Kindern ihre Turnhallen wegnehmen, die anderen setzten sich für die armen unterdrückten Kopftuchträgerinnen ein, die auf den Befreiungsschlag durch die vermeintlich emanzipierte und aufgeklärte deutsche Gesellschaft warten. In Teilen der Gesellschaft herrscht auch heute noch die Angst vor einer Infektionsgefahr durch die „Krankheit Homosexualität“. Und wer kennt sie nicht, die gebetsmühlenartig wiederholten „früher-war-alles-besser“-Sprüche – besonders hinsichtlich der faulen und gewaltbereiten „Jugend von heute“. Und stimmt es, dass die EU nichts als eine überflüssige, teure, bürokratische Anstalt ist? Andere wiederum sind der Auffassung, dass Gleichberechtigung längst von gestern ist, da Frauen und Männer bereits gleichgestellt sind und die beste Familienpolitik sowieso bereits unter Hitler realisiert wurde, der sich um das Wohl der Familien sorgte und die Arbeitslosigkeit im Nu abschaffte. Das mag überspitzt klingen, aber in dieser oder ihrer weitaus zaghafteren Form herrschen solche Meinungen mitten unter (oder in!) uns.
Horaczek und Wiese stellen gängige Vorurteile auf den Prüfstand und rütteln ihre Leser*innen wach: Wer seine fehlende Willkommenskultur den Geflohenen gegenüber beispielsweise damit rechtfertigen will, dass Deutschland doch sowieso die meisten Flüchtenden aufnimmt und die Hauptlast der weltweiten Fluchtbewegung trägt, dem sei gesagt, dass sich 2013 unter den Top-Ten-Aufnahmeländern von Geflohenen kein einziges europäisches Land befand. Und wer meint, dass Gleichstellungspolitik ein witziges Gimmick ist, da die Geschlechter in Deutschland und Österreich sich längst in allen Sparten auf Augenhöhe begegnen, dem oder der halten Horaczek und Wiese entgegen, dass Österreich beim „Gender Gap-Ranking“ des World Economic Forum 2014 auf Rang 36 landete (Deutschland immerhin auf Rang 12). Und wussten Sie, dass der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen in Estland bei 30%, in Slowenien hingegen nur bei 3 % liegt?
In 22 kurzen Kapiteln nennen sie je ein häufig anzutreffendes Vorurteil und entkräften dieses folglich durch Prüfung der sachlichen Grundlagen. Dazu berufen sich die Autor*innen auf wissenschaftliche Studien und Statistiken sowie auf geistes- und humanwissenschaftliche Erkenntnisse. Dabei überzeugen ihre gut recherchierten und differenzierten Antworten. In aller Knappheit, gut leserlich, kompakt, kurzweilig und sprachlich ansprechend wird hier nicht schwarz-weiß gemalt. Vielmehr unterscheiden Horaczek und Wiese genau, wo und inwiefern Vorurteile etwas Wahres ansprechen und wo sie (und zwar nicht nur aufgrund ihrer Pauschalisierung) nicht zutreffen. Urlauber*innen, die noch auf der Suche nach einem kleinen Taschenbuch mit großer Wirkung sind, aber auch allen anderen, sei „Gegen Vorurteile“ wärmstes empfohlen. Risiken und Nebenwirkungen, beispielsweise ein Ins-Wanken-Bringen der eigenen Position, sind dabei nicht ausgeschlossen.
Julia Enxing ist katholische Theologin und Mitglied des Redaktionsteams von feinschwarz.net. Sie arbeitet an einem Habilitationsprojekt und engagiert sich ehrenamtlich in der Geflohenenhilfe.
Beitragsbild: http://www.czernin-verlag.com/buch/gegen-vorurteile