Ein hervorragender, wichtiger und schmerzhafter Film startet Ende September in den deutschen Kinos. Er handelt von sexueller Gewalt an Kindern durch einen Priester, über Jahrzehnte verschwiegen und vertuscht durch kirchlich Verantwortliche. Viera Pirker war für Feinschwarz im Kino.
Mit „Gelobt sei Gott“ hat der französische Regisseur François Ozon die Aufarbeitungen zum Fall des pädosexuellen Priesters Bernard Preynat in der Diözese von Lyon aus der Sicht von Betroffenen und Überlebenden nachgezeichnet. Der als charismatisch beschriebene Täter hat über Jahrzehnte hinweg Kinder, vor allem Pfadfinder, missbraucht, und mit seinen Taten immer unter dem Deckmantel der katholischen Kirche gestanden: Ein Fall, der die katholische Kirche im Nachbarland in ihren Grundfesten erschüttert hat. „Dieser Film ist eine Fiktion, basierend auf einer wahren Geschichte“ heißt es in der Titelsequenz. Im Juli 2014 einsetzend, erzählt Ozon in einer intelligenten, geradlinigen und ehrlichen Weise aus der Perspektive der Betroffenen und so nah an ihren Erfahrungen, dass der Übergang von Fiktion und Dokumentation verfließt.
Unter dem Deckmantel der katholischen Kirche.
Alexandre lebt mit seiner Familie in Lyon, die ältesten Söhne bereiten sich gerade auf ihre Firmung vor. Er erfährt, dass der Priester, der ihn selbst als Kind missbraucht hat, weiterhin mit Kindern arbeitet, und will dies unterbinden.
Kardinal Barbarin hört ihn an, eine Opferbeauftragte der Diözese vermittelt und begleitet eine missglückende Begegnung mit dem Täter. Die Szene macht die grundlegende Schieflage von Gewalt, Not, unschuldig Erlittenem und Sprachlosigkeit in der Kirche beinahe körperlich erfahrbar. Hatte Alexandre zu Beginn sein Vertrauen in eine Klärung durch die Kirche gesetzt, muss er zunehmend verstehen, dass die Institution völlig überfordert, ratlos und letztlich heillos agiert. Obwohl sein eigener Fall schon verjährt ist, erstattet er Anzeige und bringt damit staatliche Ermittlungen in Gang.
Heillos überforderte Institution.
Der Regisseur entwickelt ein dichtes Netz von Beziehungen, neuen Kontakten, Rekonstruktionen und Verstrickungen, von kleinen und großen Verschuldungen. Mit wachsender Öffentlichkeit kommen weitere Betroffene aus der Deckung und der Film begleitet die drei zentralen Protagonisten Alexandre (Melvil Poupaud), François (Denis Ménochet) und Emmanuel (Swann Arlaud) wie in einem Staffellauf. Mit ihnen werden unterschiedliche familiäre Situationen ebenso sichtbar, wie der individuelle Umgang mit dem Erlittenen. Differenziert gestalten die ideal besetzten Schauspieler die Beziehung von Erwachsenen zueinander, insbesondere auch die Beziehungen zu ihren Müttern, denen in der Verarbeitung des Geschehenen eine wichtige Rolle zukommt.
Die Begegnungen der Betroffenen mit der ‚Klerikerkirche‘ werden vielfach aus Briefen und Akten zitiert, die durch Voice-Over eingeblendet werden: In diesen Texten wird Zuwendung und Verständnis behauptet, doch im Grunde erfolgt Begegnung von kirchlich-institutioneller Seite zunehmend unpersönlich und distanzierend.
Gebete werden kontaminiert, Sakramente wandern aus.
„Und vergib uns unsere Schuld“ und „Bitte für uns Sünder“: Diese Passagen aus den wichtigen Grundgebeten verwendet der Täter selbstbezogen für sich und desavouiert sie damit. Danach kann ein ‚Beichtgespräch‘ nur noch vor dem ermittelnden Polizisten stattfinden. Seelsorge spenden sich die Betroffenen und ihre Familien wechselseitig, wenn sie miteinander das Brot und das Leid teilen. Sakramentale Akte, die eigentlich den Glutkern christlicher Gemeinschaft ausmachen, sind ausgewandert in die säkulare Realität von Menschen, die einander stützen und begleiten.
Auch wenn François streng atheistisch lebt, handelt er pro-sozial, praktiziert tiefe Nächstenliebe und übt sich in correctio fraterna. Diese Menschen zeigen in ihrem Leben, was Kirche als Versammlung, in der griechischischen Grundbedeutung von ekklesia, heißen kann. Vertuschung und Bestandsschutz stellen sich einer solchen lebensspendenden Kraft entgegen. Der Film erzählt, wie die Betroffenen an der Kirche wie an einer Gummiwand abprallen, die doch angeblich so sehr auf Beziehung baut und darin so schwer scheitert. Die Wahrheit Jesu Christi spielt für Einzelne weiterhin eine wichtige Rolle, insbesondere für Alexandre. Er erzieht seine eigenen Kinder religiös im katholischen Kontext und versteht seinen Einsatz als Beitrag für eine Veränderung und Verbesserung der Kirche, doch am Ende des Films findet er auf die Frage seines Sohnes, „Glaubst Du noch an Gott?“ keine Antwort.
Glaubst Du noch an Gott?
Formal wirkt der Film für François Ozon auf den ersten Blick unterkomplex: Die Mise en Scène gerät im Vergleich zu seinen überbordend inszenierten „8 Frauen“ oder dem stillen Weltkriegsdrama „Frantz“ geradezu bieder, auch von der sonst mitunter ausgeprägt erotischen Bildsprache des Regisseurs ist nichts zu sehen. Ozon unterwirft sich ganz der Geschichte und stellt die Beziehungen zwischen Menschen in den Vordergrund, nicht ihre Psychogramme und Inszenierungen. Der Film gründet wesentlich im Empowerment der Opfer, die ihre Arbeit bis heute vollständig auf der Webseite „La parole libérée“ abbilden. Dort sind alle Erfahrungsberichte sowie die Dokumente der offiziellen Schriftwechsel öffentlich einsehbar. Der Regisseur hat eng mit den Betroffenen zusammengearbeitet, teilweise in deren Häusern gedreht, und für jeden Protagonisten einen eigenen Stil, eine eigene emotionale Färbung der Bilder, eine eigene Dynamik und einen eigenen Rhythmus im Schnitt entwickelt, die kongenial ineinander greifen.
Männliche Fragilität – mit Brüchen leben.
Ozon wollte einen Film über männliche Fragilität drehen und ist auf dieses Thema gestoßen. Männlichkeit wird hier nicht im Kontext von Geschlechterkampf, Virilität, Homoerotik, tragischer Liebe, Helden- oder Loser-Erzählung inszeniert, sondern in der gegenseitigen Angewiesenheit eines ganz normalen Lebens, in dem manche Glück haben und Stabilität erlangen, andere schwer geschädigt werden und an kleinen Herausforderungen scheitern. Auch die Familien werden von den kindlichen Missbrauchserfahrungen tief geprägt, die Partnerinnen haben zum Teil vergleichbare Erfahrungen erlitten, als Eltern wollen die Akteure Offenheit und geschützte Realität für ihre eigenen Kinder herstellen. Sie verstehen ihr Engagement als einen schmerzvollen Akt der Befreiung und der Aufklärung, auch im Dienst der Gesellschaft. Sexueller Missbrauch ist keineswegs alleine ein kirchliches Thema, und Ozon trägt mit seinem Film zu der Aufmerksamkeit für eine weiterhin brandaktuelle Problematik bei: eines von fünf Kindern, die 2019 in Europa aufwachsen, erleiden Formen sexualisierter oder sexueller Gewalt, viele im familiären Nahbereich, manche aber auch durch Menschen, denen sie anvertraut werden. Ein Ende dieses Missstands ist nicht in Sicht – die EU-Kampagne „one in five“ macht darauf aufmerksam.
Grâce à Dieu – Grâce à Vous: Selten war Kino so aktuell.
„Gelobt sei Gott“ wurde im Februar 2019 bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. In Frankreich wurde versucht, den Kinostart gerichtlich zu verzögern, da das Verfahren wegen Verschleierung gegen Kardinal Barbarin noch ausständig war – inzwischen ist er zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt worden, und hat Widerspruch eingelegt. Papst Franziskus hat den Antrag Barbarins auf Entpflichtung nicht angenommen, ein Kirchengericht hat im Juli 2019 den 74jährigen Täter Bernard Preynat aus dem Klerikerstand entlassen, sein staatliches Gerichtsverfahren ist noch ausständig. „Grâce à Dieu, Gelobt sei Gott, alle vorgeworfenen Taten sind verjährt“, hatte Kardinal Barbarin bei einer Pressekonferenz gesagt, und sich damit als Vertreter eines schützend-schweigenden Systems geäußert. Grâce à Vous: Dank an die Betroffenen, die ihre schwerwiegenden Erfahrungen öffentlich gemacht haben und dazu beitragen, dass Menschen einander helfen, und dass Gesellschaft und Kirche sich ändern können. Ob die Institutionen diese Chance ergreifen, steht auf einem anderen Blatt.
Weiterführende Links:
- Hintergrundinformationen und pädagogische Materialien auf der Webseite zum Film.
- EU Kampagne „One in Five“
- Betroffenen-Organisation „La Parole libérée“
Autorin: Viera Pirker ist Universitätsassistentin am Institut für Praktische Theologie (Fachbereich Religionspädagogik und Katechetik) der Universität Wien und Mitglied im Internationalen Forschungsnetzwerk Religion – Film – Media
Bilder: © Pandorafilm
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