Der Beruf „Gemeindereferent*in“ (GR) stand im Mittelpunkt einer bundesweiten Studie. Aus der Forscher*innengruppe berichten Ulrich Feeser-Lichterfeld, Andreas Leinhäupl, Michael Quisinsky und Clarissa Vilain.
Im Auftrag ihrer Rektor*innenkonferenz hat eine Forscher*innengruppe1 der fünf katholischen Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Deutschland (Benediktbeuern, Berlin, Freiburg, Mainz, Paderborn) sowie der Katholischen Universität Eichstätt die Studie in zweieinhalb Jahren erarbeitet. Es ging darum, die aktuelle Situation des GR-Berufs zu erheben und gleichzeitig auch Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Frage, wie die Kompetenzen und Potenziale dieser Berufsgruppe für die notwendigen und virulenten Transformations- und Innovationsprozesse von Kirche und Pastoral besser nutzbar gemacht werden können.
Liquid church durch liquid jobs.
Die Berufsgruppe der GR ist in die momentanen kirchlichen Um- und Abbruchbewegungen unmittelbar involviert. Ihre Rollen- und Aufgabenprofile werden seit längerer Zeit stark hinterfragt, zukünftige Konturen werden zwar diskutiert, bleiben bislang aber unscharf. Die Lebens- und Handlungskonzepte innerhalb der pastoralen und sozialen Räume sind permanentem Wandel ausgesetzt und die GR sind wie alle pastoralen Berufsgruppen existentiell mit Identitäts- und Relevanzfragen konfrontiert. In dieser Situation, so könnte man thesenartig ableiten, ließe sich eine „liquid church“ nicht zuletzt durch „liquid jobs“ befördern. Aber was bedeutet das konkret für das Berufsbild der GR und welche Rolle kann sie im allseits erhofften „Change“ der Kirche spielen? Und wie und woraufhin soll dieser „Change“ Kirche und Beruf überhaupt verändern? Für die exemplarisch ausgewählte Berufsgruppe der GR stellen sich diese Fragen insofern in besonderer Weise, als dass sie immer wieder aufgrund ihrer formal angeblich weniger „wertigen“ Fachhochschulausbildung strukturell als eher „schwach“ gesehen wird bzw. sich zuweilen selbst als „kleinstes Rad“ im kirchlichen Gefüge begreift.
Auf der Grundlage eines empirisch-generativen Forschungsansatzes wurden deutschlandweit sämtliche Studierende der Religionspädagogik bzw. der Angewandten Theologie sowie alle im Beruf stehenden GR sowie zusätzlich auch einige aus dem Beruf ausgestiegene Personen befragt. Darüber hinaus konnten 30 leitfadengestützte Interviews mit ausgewählten Teilnehmer*innen aus den drei genannten Gruppen geführt werden. Auf diese Weise wurde ein breites Spektrum von Einschätzungen sichtbar, u.a. bezüglich der Aus- und Weiterbildungskonzepte, der situativen Bedingungen vor Ort, des Kirchen- und Pastoralverständnisses, der Zufriedenheits- und Unzufriedenheitsaspekte der Berufsgruppe sowie nicht zuletzt auch der Bewertung des eigenen Professionsverständnisses als Grundlage für kirchliche Change-Prozesse.
Die umfangreichen, nicht einfach auf einen Nenner zu bringenden Erkenntnisse der Erhebungen wollen hierzu zur Diskussion und zum gemeinsamen Weiterdenken einladen. Der mittlerweile erschienene Forschungsband stellt dafür ausführlich die empirischen Befunde und ihre Interpretationen aus Sicht der Forscher*innen-Gruppe dar. Im Folgenden werden im Namen dieser Forscher*innen-Gruppe ausgewählte Ergebnisse insbesondere im Hinblick auf die Rolle des berufsvorbereitenden Studiums skizziert.
1. Studienmotivationen
„Glauben leben“ erweist sich bei den befragten Studierenden wie bei im Beruf stehenden GR als größte Motivation für die Studienwahl (96,9% vs. 96,0%). „Fachliches Interesse“ und damit die Identifikation mit dem Theologiestudium ist bei Studierenden ausgeprägter als bei den berufstätigen GR (84,1% vs. 91,8%). Auch das Motiv „Glauben reflektieren“ wird insbesondere von den Studierenden, aber auch von im Beruf stehenden Theolog*innen bejaht (88,8% vs. 84,3%).
Aus unserer Sicht unterstreicht das Ergebnis die Bemühungen aller Beteiligten an den Studienstandorten für eine existentiell bedeutsame Angewandte Theologie, die Theorie und Praxis bzw. Lehre und Leben in beständige Wechselseitigkeit bringt.
2. Funktion des Studiums
Fast die Hälfte der Studierenden (49%) bringt mittels der Items „Irgendwie ergab sich das Studium damals für mich“ und/oder „Ich wollte noch etwas Zeit gewinnen, bevor ich mich auf einen Beruf festlege“ eine „unentschlossene“ Studienwahl zum Ausdruck.
Offenbar verknüpft sich mit den Studienangeboten im Bereich der Angewandten Theologie eine hohe Attraktivität für Kirchen- und Theologieaffine, beruflich aber noch nicht Entschiedene. Das Studium bietet hier eine Klärungschance inklusive Vertrautwerden mit dem Berufsbild der GR. Zugleich erfolgt eine Weitung des Bezugshorizonts Angewandter Theologie über das Berufsziel GR hinaus. Damit wird eine theologische Weitung des Berufsbildes jenseits bloß pragmatisch reagierender Veränderungen möglich.
3. Studienzufriedenheit
Die im Mittel seit gut zwei Jahren im Studium befindlichen Studierenden sind insgesamt mit ihrem Studium sehr zufrieden. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Studium ist das Stimmungsbild allerdings gemischt bzw. durchwachsen. Etwas positiver fällt die Einschätzung aus, wie gut das Studium auf den Beruf vorbereitet. Die Belastung durch ihr Studium empfinden die befragten Studierenden als mäßig. In der Folge dieser Angaben fühlen sich 93,2% der befragten Studierenden den Herausforderungen ihres Studiums gewachsen.
Offensichtlich sind in der Studiengangsgestaltung und -entwicklung verschiedene Lebenssituationen der Studierenden zu berücksichtigen. Diese bereits jetzt im gemeinsamen theologischen Diskurs fruchtbar gemachte Diversität (z.B. wenn eher junge Studierende in Präsenzformaten mit älteren Studierenden diskutieren, die familien- und/oder berufsbegleitend ein Fernstudienangebot nutzen) dürfte in Zukunft noch verstärkt ein notwendiger und produktiver Lernzusammenhang für Theologie und Kirche insgesamt werden.
4. Berufsmotivation
Gefragt nach der Berufsmotivation antworteten 94,9% der Studierenden mit „Menschen helfen“ (97,7% der berufstätigen GR), dicht gefolgt von 92,9% „Kirche gestalten“ (hier 87,3% der GR) und 84,7% „theologisch wirken“ (hier 79,5% der GR). Die größte Diskrepanz zwischen den Kohorten gibt es beim Berufsmotiv „(multiprofessionelle und/oder kirchenübergreifende) Kooperationen knüpfen“ (73,5% der Studierenden und lediglich 40,6% der berufstätigen GR befürworten dies).
Möglicherweise ist die größere Offenheit und Weite der Studierenden im Blick auf Kooperationen zugleich Antrieb und Ergebnis von kooperativen Studienkonzepten wie z.B. dem Doppelstudium Angewandte Theologie/ Soziale Arbeit, wodurch die allseits gewünschte Motivation der Hilfe und des theologischen Wirkens vertieft und erweitert wird.
5. Kirchen- und Pastoralverständnisse
Mittels Faktorenanalyse konnten drei Schwerpunkte in den subjektiven Kirchen- und Pastoralverständnissen ermittelt werden, die jeweils rund ein Drittel der Befragten umfassen: sozialdiakonische GR (30,4 Prozent), gemeindebezogene GR (37,1 Prozent) und reformorientierte GR (32,6 Prozent). Die einzelnen Aspekte stehen in komplexer Wechselwirkung. Führt man diese Faktorenanalyse separat für die Gruppen der Studierenden und Berufstätigen durch, ergibt sich folgendes Bild: sozialdiakonisches Kirchen- und Pastoralverständnis: 29,9% Studierende vs. 30,4% GR; gemeindebezogenes Kirchen- und Pastoralverständnis: 55,2% vs. 35,6%; reformorientiertes Kirchen- und Pastoralverständnis: 14,9% vs. 34,0%. Auffällig ist die ausgeprägtere Reformorientierung bei den berufserfahrenen GR. Zu fragen ist hier allerdings, was theologisch unter „Reform“ verstanden wird – ein auch im Studienalltag intensiv diskutiertes Thema.
Angesichts der zwischen Studierenden und Berufstätigen deutlich unterschiedlichen Zahlen beim gemeindebezogenen Kirchen- und Pastoralverständnis ist zu vermuten, dass ein Studienangebot, das auf den Beruf „GR“ vorbereiten möchte, mehr Menschen mit Gemeindeorientierung anzieht. Um die Tragweite des Ineinanders der drei Schwerpunkte zu erfahren und zu reflektieren, braucht es wohl Studien- und Berufsjahre. Im Hinblick auf die spezifischen Möglichkeiten der Hochschulen in Forschung und Lehre sollte das Studium in besonderer Weise ein Ort der expliziten theologisch reflektierten Re-, De- und Co-Konstruktion des Kirchen- und Pastoralverständnisses im Mix von Sozialdiakonie, Gemeindeorientierung und Reform-/Change-/Transformationsstreben sein.
6. Gewünschtes GR-Berufsprofil
Auch hier ergeben für die Kohorten getrennt durchgeführten Faktorenanalysen Unterschiede zwischen Studierenden und Berufstätigen: Erstere favorisieren für das GR-Berufsprofil mit 35,7% „Seelsorger*in“ (34,2% bei GR), gefolgt von „Allrounder*in“ (29,6%; dieser Typ ist bei den Berufstätigen auf Platz drei mit 26,8%), „Changeagent*in“ (28,6% vs. 27,0%) sowie „Übersetzer*in“ (6,1% vs. 12,0%).
Mit Blick auf die komplexe Wechselwirkung der vier Akzente im GR-Berufsprofil muss das Studium der Angewandten Theologie auf religiös-kirchliche Transformationen vorbereiten, die in einer unübersichtlichen Gemengelage aus religiös und kirchlich „musikalischen“ und „unmusikalischen“ Aspekten der Gegenwarts- und Zukunftsgesellschaft erfolgen und ggf. auf diese zurückwirken. Dies stellt für das Studium eine Herausforderung dar, insofern dieses oft eine erste Reflexion des eigenen Glaubens ist und umfassende Sprachfähigkeit überhaupt erst einübt.
7. Subjektiv wahrgenommene Transformationsbedarfe
Gefragt, wo aktuell Studierende die größten Veränderungsbedarf in Kirche, Pastoral und damit auch des Berufs GR in den nächsten zehn Jahren erkennen, antwortet fast die gesamte Gruppe (99,0%) mit „Wandel der Gesellschaft“, gefolgt von Konsequenzen aus den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche (85,7%) und den Auswirkungen des Synodalen Wegs (70,4%; damit wird diesem Reformprojekt seitens der Studierenden deutlich mehr „Change-Potenzial“ zugetraut als von Seiten der GR, die hier lediglich mit 56% zustimmen.).
Dieser Befund ist für Studienverantwortliche Motivation, insbesondere auch ekklesiologische Grundlagen und Implikationen von Kirchentransformation im Rahmen des Studiums zu reflektieren. Dies gilt es, in Forschung und Lehre quer durch alle theologischen Disziplinen und im Austausch mit Nachbardisziplinen zu intensivieren.
Fazit
Die Ergebnisse der verschiedenen empirischen Forschungsetappen wurden und werden über die hier zusammengetragenen Impulse für die Studienphase hinaus breit diskutiert und hinterfragt, pastoraltheologisch und religionspädagogisch sowie systematisch-theologisch bzw. ekklesiologisch interpretiert. Durch die vielfältigen inhaltlichen Zugänge der Projektgruppe sind theologische Impulse und Handlungsoptionen entstanden, die z.B. für die Studiengangsentwicklungen an den katholischen Hochschulen für angewandte Wissenschaften, für die Organisations- und Entwicklungsstrukturen der pastoralen Berufe in den Ordinariaten der (Erz-)Bistümer, für die Selbst- und Fremdeinschätzung der Berufsgruppe und nicht zuletzt auch für kirchliche Transformationsprozesse hilfreich sein können.
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Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichterfeld, Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Praxisbegleitung, Praxisforschung und Pastoralpsychologie und Leiter des Instituts für pastorale Praxisforschung und bibelorientierte Praxisbegleitung (IbiP) an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho).
Prof. Dr. Andreas Leinhäupl, Professor für Biblische Theologie und Leiter des Berliner Instituts für Religionspädagogik und Pastoral (BIRP) an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB).
Prof. Dr. Michael Quisinsky, Professor für Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule Freiburg.
Prof.in Dr. Clarissa Vilain, Professorin für Pastoraltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz.
Bild: Buchcover
- Prof. Dr. Joachim Burkard (Benediktbeuern), Dr. Carina Caruso (Paderborn), Prof. Dr. Ulrich Feeser-Lichterfeld (Paderborn), Dr. Patrick Heiser (Paderborn), Prof. Dr. Bernd Hillebrand (Freiburg/Graz), Prof. Dr. Hans Hobelsberger (Paderborn), Jennifer Jung, M.A. (Paderborn), Prof.in Dr.in Katharina Karl (Eichstätt), Prof. Dr. Andreas Leinhäupl (Berlin), Prof.in Dr.in Susanne Sandherr (München), Prof. Dr. Wilhelm Tolksdorf (Paderborn), Prof. Dr. Michael Quisinsky (Freiburg), Prof.in Dr.in Clarissa Vilain (Mainz) ↩