An den Landtagswahlen in Berlin und Brandenburg fokussieren sich wesentliche Fragen der Wahrnehmung gegenwärtiger politischer Kultur. Und: die Frage, wie sich Klimaschutz in Kohleregionen in konkreten, lebensfreundlichen Strukturwandel umsetzt. Zwei weitere Beiträge, von Ulrike Menzel und Burkhard Behr.
Vertrauen zurückgewinnen
von Ulrike Menzel, bis August 2019 Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Cottbus
Dass die AfD in Südbrandenburg gute Stimmergebnisse erzielen wird, habe ich erwartet. Doch dass die Cottbuser Wahlkreise und überhaupt der Brandenburger Osten fast flächendeckend an Kandidatinnen und Kandidaten der AfD gingen, empfand ich als Schlag gegen alle Bemühungen um Weltoffenheit und zukunftsweisende Lösungen für die Lausitz. Viele bewährte Politikerinnen und Politiker sind im neuen Brandenburger Landtag nicht mehr vertreten. Sie werden fehlen.
Die Lausitz braucht jetzt Visionen!
Die neugewählten Abgeordneten brauchen Zeit zur Einarbeitung in komplexe Themenzusammenhänge und Verfahren der politischen Willensbildung. Doch die Lausitz braucht jetzt Visionen und politische Weichenstellungen, die den Strukturwandel mit dem Blick für das Notwendige und dem Mut zu unbequemen Entscheidungen voranbringen.
Notwendig wird sein, dass AfD-Abgeordnete nicht mehr nur sagen, wogegen sie sind, sondern dass sie konstruktiv an Problemlösungen mitarbeiten. Sie dürfen nicht länger nur andere die Arbeit machen lassen und Verwaltungen mit Fangfragen zur eigenen Profilierung beschäftigen. Auch sie müssen daran mitarbeiten, dass Menschen Lust bekommen, in die Lausitz zu ziehen, um den Strukturwandel mit ihrer Fachkenntnis und Kreativität mitzugestalten. Dazu müssen alle bereit sein, sich gegenseitig zu achten und miteinander danach zu suchen, was den Menschen langfristig am besten dient.
Suchen, was den Menschen langfristig dient, auch wenn es Einschnitte bedeutet.
Das wird auch mit Einschnitten und spürbaren Einschränkungen für uns alle verbunden sein. Immerwährendes Wachstum verkraftet unsere eine gemeinsame Welt nicht. Einfache Lösungen werden Schaden anrichten.
Wer verspricht, dass es den Menschen bei uns besser geht, wenn wir uns in Deutschland und Europa abschotten, schürt Illusionen. Die Lausitz ist Teil der einen Welt und kann nur in weltweiter Perspektive entwickelt werden. Oder sie hängt sich selbst ab, wenn sie die momentane breite (auch internationale) Aufmerksamkeit für die Lausitz mit kurzsichtigem Kleingeist vor den Kopf stößt.
Wer Abschottung preist, schürt Illusionen.
In den hohen Stimmengewinnen der AfD spiegelt sich auch das Gefühl, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Dieses Gefühl muss ernst genommen werden. Gesetze und Verwaltungshandeln sind so kompliziert geworden, dass es auch Kundige schwer haben, sich in dem Dschungel zurechtzufinden, und viel Kraft aufwenden müssen, um etwas zu erreichen. Manches, was in guter Absicht der juristischen Absicherung dient, ist mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Dadurch ist Misstrauen gewachsen. Deswegen ist es m.E. genau richtig, wenn Politikerinnen und Politiker daran arbeiten, Vertrauen in politisch Handelnde und demokratische Prozesse zurückzugewinnen. Doch ich finde es mörderisch, wenn wir in der breiten Masse das nur von Einzelnen erwarten, die in ihrer politischen Verantwortung sowieso schon hart arbeiten müssen. Demokratie bedeutet, dass wir alle der Staat sind.
Aufgabe der Kirche ist jetzt nicht, kritisches Gegenüber zum Staat zu sein.
Deswegen sehe ich unsere Aufgabe als Kirche zur Zeit nicht in einem kritischen Gegenüber zum Staat. Ich finde, dass wir als Kirche mit unserem flächendeckenden Beziehungsnetz viel dazu beitragen können, dass neues Vertrauen in die Güte unseres Grundgesetzes mit dem unbedingten Schutz der Würde aller Menschen und die Gewissenhaftigkeit politisch handelnder Personen wächst. Dazu müssen wir das christliche Menschenbild in die Breite tragen. Wir müssen weg von viel zu einfachen pauschalen Verurteilungen.
Es ist genau richtig, wenn Politikerinnen und Politiker im Land unterwegs sind, um mit Menschen vor Ort zu reden. Doch genauso wichtig finde ich, dass wir alle daran mitwirken, wieder neu Vertrauen aufzubauen. Wir können von einzelnen Politikerinnen und Politikern auf allen Ebenen reden, von denen wir wissen, wie hart sie arbeiten und welch hohen persönlichen Einsatz sie leisten. Wir können einfordern und selbst daran mitwirken, differenzierte politische Zusammenhänge in einfache Sprache zu fassen. Was allen dienen soll, muss auch so vermittelt werden, dass alle genug davon verstehen, um Vertrauen aufbringen zu können.
Wie die neue Zeit gestalten?
von Pfarrer Burkhard Behr, Geschäftsführer der Stiftung 3FO, vorher Leiter des Zentrums für Dialog und Wandel der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz
Sind wir mit einem blauen Auge davongekommen? Meine Hochachtung gilt den wohl auch zukünftigen Ministerpräsidenten Kretschmer und Woidke. Mit hohem persönlichem Einsatz haben sie um die Zustimmung im Land gekämpft, wobei der Grad des wirklichen Zuhörens sicher unterschiedlich einzuschätzen ist. Der Gestus des Landesvaters von Woidke wird sich schneller überholen, als ihm lieb ist. Er wird am Klimawandel auch in Brandenburg nicht vorbeikommen und kann auch in dieser Thematik nicht nur von Berlin fordern: er muss selber die Konzepte liefern. Die Zeit der Braunkohle ist vorbei. Es genügt nicht, von den versprochenen 40 Milliarden nur zu fordern. Wie gestaltet eine Regierung, die dem Alten verhaftet ist, wirklich eine neue Zeit?
Zuhören und Reden ist wichtig, Gestalten und Umsetzen aber auch.
Und Kretschmer nach der Ochsentour durch die Lande, die ihm nicht hoch genug angerechnet werden kann, muss nun liefern. Die Themen sind bekannt und doch ist an den letzten zwei Jahren nicht ausreichend abzulesen, wo er wirklich genau im Sinne der Bürger*innen gestaltet, wie er es durch sein Zuhören und Reden vermittelt. Zuhören und Reden ist wichtig, aber Gestalten und Umsetzen ebenso.
Es war zuallererst eine Vermeidungswahl. Die Mehrheit wollte die greifbare AfD-Führung im Land verhindern. Dem hat sich bei vielen das Wahlverhalten untergeordnet. Vermeidung und Gestaltung sind aber sehr unterschiedliche Dinge. Die AfD zu wählen, ist salonfähig geworden. Das ist gleichermaßen zu akzeptieren und zu bekämpfen. Wir sprechen nicht darüber, wen wir wählen, aber allein im Kreis der Nachbar*innen, Verwandten und Bekannten ahne ich, wer sympathisiert. Woher dieser unendliche Frust kommt, ist mir persönlich unbegreiflich. Da, wo es uns so gut geht, wie nie zuvor, wächst eine Aggressivität im Alltag, die mir Sorgen macht.
Die große Freiheit – und dann ist alles viel komplizierter.
Fachlich führt es mich immer wieder zur jeweils eigenen persönlichen Biografie und gleichzeitig in die gesellschaftliche: das individuelle Erleben, die große Freiheit errungen zu haben, und dann ist alles eben doch viel komplizierter. Kollektiv die gefühlte Überfremdung, gerne bezeichnet als „fremd im eigenen Land“, womit ursprünglich etwas ganz anderes gemeint war. Eine Richtigstellung gehört hierher: Alle, die ihre Stimme der AfD geben, müssen sich klar machen, dass sie damit Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft holen, das weder dahin gehört, noch von da kommt: Fremdenhass, Homophobie, Kohle- und Atomkraftwerke – alles zu lesen auf den Wahlplakaten und im sogenannten Regierungsprogramm. Ich habe im Herbst 1989 in Leipzig auch demonstriert und ich finde die Vereinnahmung unserer Rufe „Wir sind das Volk“ und den Slogan „Die Wende vollenden“ nicht nur geschmacklos, zügle aber hier meine Ausdrucksweise.
Die Welt fiebert.
Etwas ist weltweit in einer beinahe geisterhaften Bewegung. Die Welt fiebert – so hat es ein Arzt im Bekanntenkreis formuliert. Das Klima erwärmt sich. Die Menschheit bewegt sich selbst und immer mehr Güter und immer mehr Geld immer schneller hin und her und ist dabei besinnungslos: ein Fiebertaumel. Die Zusammenhänge sind schwer zu begreifen: Die Beschleunigung des Wachstumes des Reichtums ebenso wie die Beschleunigung des Auseinanderklaffens zwischen den Schichten, die Beschleunigung der Umweltzerstörung und die Beschleunigung der Hilflosigkeit, die Erosion der politischen Mitte und die Erosion der Kompromisse, die gesteigerte Bürokratie bei mantra-ähnlichen Versprechen jeder Regierung, diese einzudämmen.
Das kann ein Ministerpräsident allein nicht lösen. Dafür braucht es schon das ganze Land. Die Etablierten haben eine Gnadenfrist. Tröstlich ist, dass sie nicht weitermachen können wie bisher.
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Zusammenstellung: Dr. Kerstin Menzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Praktische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin, Mitglied der Redaktion feinschwarz.net.
Bild: Steven Wright / unsplash.com