Für Nonnen ist die Klausur strenger geregelt als für Mönche. Isabelle Jonveaux erläutert problematische Strukturmerkmale der päpstlichen Klausur und ordnet ein.
In der populären Vorstellungswelt wie in der Literatur werden Kloster und Klausur gleichgesetzt. Dominant ist das Modell der Klausur als einem geschlossenen, von der Welt abgetrennten Ort. Das Sprichwort «maritus aut murus», Ehemann oder Mauer, fasste das Schicksal vieler Frauen aus hohen sozialen Schichten während mehrerer Jahrhunderte zusammen.
Klösterliche Klausur in einer vielfach entgrenzten Welt
Und heute? Wie steht es aktuell um die klösterliche Klausur in einer vielfach entgrenzten Welt, die zudem von der Verflüssigung von Übergängen durch die digitale Welt gekennzeichnet ist? Welche Unterschiede gibt es zwischen der Klausur in männlichen und weiblichen monastischen Gemeinschaften? Entsprechende Untersuchungen offenbaren viele Unterschiede. Die Frauen verlassen das Kloster seltener, sie müssen die Oberin öfter um Erlaubnis für Dinge des alltäglichen Lebens bitten und haben weniger Zugang zu Freizeitaktivitäten und Studium. Die Klausur scheint bei den Frauen viel strenger gelebt als bei den Männern. Woran liegt das? Tatsächlich wird nicht nur die Klausur anders gelebt, sondern für Männer und Frauen auch kanonisch anders geregelt. So liest man im CIC von 1983:
«§ 3. Nonnenklöster, die ganz auf das beschauliche Leben ausgerichtet sind, müssen die päpstliche Klausur gemäß den vom Apostolischen Stuhl erlassenen Vorschriften beachten. Die übrigen Nonnenklöster haben eine ihrer besonderen Eigenart angepasste und in den Konstitutionen festgelegte Klausur einzuhalten.» (Can. 667)
Tatsächlich sind Nonnengemeinschaften bis heute der päpstlichen Klausur unterworfen. Schon 1985, kurz nach der Veröffentlichung des neuen CIC wurde die Frage gestellt, warum die Klausur von Frauen strenger sei als die von Männern – selbst bei gleicher Ordensregel (1985: 167). Seit 30 Jahren hat sich die rechtliche Ausgangslage dennoch wenig entwickelt. Das Dokument Cor Orans von 2018 scheint die päpstliche Klausur zwar etwas zu lockern, aber sie bekräftigt als Besonderheit der Klöster von kontemplativen Nonnen (aber nicht von kontemplativen Mönchen):
«192. Nach dem Gesetz der päpstlichen Klausur müssen die Nonnen, die Novizinnen und die Postulantinnen innerhalb der Klausur des Klosters leben, und es ist ihnen nicht erlaubt, sie zu verlassen, außer in den vom Recht vorgesehenen Fällen; auch ist es niemandem gestattet, in den Klausurbereich des Klosters einzutreten, außer in den vorgesehenen Fällen.»
«196. Die höhere Oberin des Klosters trägt die unmittelbare Verantwortung für den Schutz der Klausur des Klosters. Sie gewährleistet die konkreten Bedingungen für die Trennung von der Welt […].»
Ich möchte gar nicht so in einem Männerkloster sein
Inwiefern kann es negative Wirkungen haben, dass für Nonnen eine strengere Klausur gilt als für Mönche? Die Normen des klösterlichen Lebens, die von ihren Mitgliedern akzeptiert werden, stellen an sich keine Verletzung der Rechte von Einzelpersonen dar. Meine Feldforschungen haben gezeigt, dass die Nonnen diese Situation meistens auch annehmen und sie manchmal sogar als eine höhere Qualität des kontemplativen Lebens im Vergleich zu Männergemeinschaften rechtfertigen. Eine österreichische Äbtissin sagte mir z.B. 2012:
«Die Männer gehen überall hin, und wir müssen die Klausur einhalten. Das kann so sein, aber ich möchte gar nicht so in einem Männerkloster sein, weil ich nicht so leben möchte. Ich muss nicht ins Theater oder ins Konzert. Weil ich das nicht will, bin ich in diesem Kloster. Wir machen uns also davon frei.»
Dieses Argument ist auch in Cor Orans zu finden:
«185. Die päpstliche Klausur bedeutet für die Nonnen die Anerkenntnis der Besonderheit des rein kontemplativen Lebens, wel¬ches in spezifischer Weise die Spiritualität der bräutlichen Liebe zu Christus entwickelt […].»
Potenziell mehr Missbrauchsformen
Hinterfragt werden muss jedoch der Umstand, dass die Unterschiede, die aus der strengeren Klausur resultieren, potenziell mehr Missbrauchsformen zulassen. Diese Unterschiede, die ich im Laufe meiner 20 Jahre Feldforschungen in Klöstern in Europa, Afrika und Argentinien beobachtet habe, konnte ich 2024 durch eine Umfrage bei einer gemischten Zisterzienserkongregation in Europa quantifizieren, die gerade versucht, die Prävention gegen Missbräuche zu verbessern.
Dreimal weniger Chancen an einer Universität zu studieren als Mönche
Der erste Bereich der Ungleichheiten zwischen Männer- und Frauenklöstern ist der Zugang zum Studium oder zu Ausbildungen außerhalb des Klosters. Nonnen haben dreimal weniger Chancen an einer Universität zu studieren als Mönche. Der erste Grund dafür ist, dass die Männer traditionell studieren, um Priester zu werden. Für die Frauen wird jedoch die Tatsache, dass ein Studium in der Regel mit dem befristeten Verlassen der Klausur und mit dem Wohnen am Studienort verbunden ist, stärker gewichtet als dies bei Männern der Fall ist. Ein Studium oder Ausbildungen sind aber wichtige Bedingungen, um Missbrauchsformen reduzieren zu können. Nicht nur gewinnen die Schwestern durch gute Bildung einen kritischen Sinn, um besser erkennen zu können, was in ihrer Gemeinschaft eventuell problematisch wäre, sondern sie erlaubt auch, die (theologischen) Wissensressourcen im Kloster besser aufzuteilen, damit Priester dort kein Wissensmonopol behalten. In diesem Kontext muss auch darauf hingewiesen werden, dass es immer noch in gewissen Frauengemeinschaften verbreitet ist, die Lektüre der Schwestern zu kontrollieren.
Im täglichen Leben stärker von der Genehmigung der Oberin abhängig
Neben der Benachteiligung bei der Bildung, sind Nonnen im täglichen Leben stärker von der Genehmigung der Oberin abhängig. Die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen zeigen sich beim Zugang zur medizinischen Behandlung (47% der Männer müssen dafür um Erlaubnis bitten, 79% der Frauen), bei der Erlaubnis, Geschenke für sich zu behalten oder die eigene Familie zu besuchen. Insbesondere der Unterschied bei der medizinischen Versorgung wirft Fragen auf. In den offenen Fragen erwähnen mehrere Frauen, dass ihnen der Zugang zu medizinischer, insbesondere zu psychologischer Versorgung verwehrt wurde. Außerdem hat die päpstliche Klausur zur Konsequenz, dass die Frauen deutlich weniger Zugang zu Freizeitaktivitäten haben als Männer, wobei dies auch von der Entwicklung des Mönchtums in einzelnen Ländern abhängig ist. Während 55% der befragten Männer ein Zugang zu Freizeitaktivitäten alleine außerhalb des Klosters erlaubt ist, dürfen dies nur 15% der Frauen. Schließlich haben die Nonnen weniger Kontakte mit Personen, die nicht zur Klosterwelt gehören, z.B. zu ihrer eigenen Familie oder zu Freunden/Freundinnen. Gesunde Beziehungen mit Außenpersonen erlauben jedoch einen Abstand von den Erfahrungen in der Gemeinschaft zu gewinnen und so besser erkennen zu können, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Männer haben einen viel freieren Zugang zu persönlichen Konsumgütern des Alltags
Ein anderer Bereich der Ungleichheit ist der Zugang zu Konsumgütern.Im Durchschnitt – je nach Klostertradition, die immer mit einer historisch-politischen Geschichte verbunden ist – haben die Männer einen viel freieren Zugang zu persönlichen Konsumgütern des Alltags. In der Umfrage ist die bei den Männern am meisten verbreitete Situation: «Sie kaufen es selbst mit dem Geld, das Sie zur Verfügung haben» und dann «Sie können in einen Lagerraum gehen und sich holen, was sie brauchen». Bei den Frauen ist es anders: «Sie fragen die Cellerarin oder die zuständige Mitschwester in der Gemeinschaft, die es herausgibt». Nur 3% der Nonnen können persönliche Konsumgüter selber mit ihrem Geld kaufen, aber 29% der Männer. Ein Grund für das Missverhältnis ist, dass die Schwestern weniger Aufgaben haben, für die sie einen eigenen Gehalt bekommen. Das bedeutet konkret, dass die Nonnen in vielen Gemeinschaften nach intimen Artikeln (Unterwäsche, Menstruationshygiene) fragen müssen und dann nicht immer bekommen, was sie wirklich benötigen.
Misogyne Theologie
Die strengere Klausur für die Frauen findet ihre historischen Wurzeln in einer misogynen Theologie des Mittelalters. Caesarius von Arles, der im 4. Jahrhundert die im Westen erste Regel für Frauengemeinschaften – Regula ad virgines – geschrieben hat, betont die Notwendigkeit der Klausur für Frauen. Er vereint Stabilität und ewige Klausur in einer Formel: «Bis zu ihrem Tod soll sie das Kloster nicht verlassen, und auch nicht die Basilika, wo es gut möglich ist, eine Tür zu finden.» Für Benedikt geht es in seiner Regel, ursprünglich für Männer geschrieben, um die Bekämpfung der umherziehenden Wandermönche und nicht um die Erhaltung der Tugend der klausurierten Mönche als solche.
Eine Bulle mit dem vielsagenden Namen Periculoso
Das erste universelle Gesetz zur Klausur wurde 1298 von Papst Bonifaz VIII mit einer Bulle mit dem vielsagenden Namen Periculoso erlassen. Die Klausur wurde offenbar eingeführt, um auf eine Gefahr zu reagieren, die Frauenklöster betreffen könnte. Bonifaz VIII. betont das Verbot für alle Nonnen, ihr Kloster zu verlassen, außer im Falle einer ansteckenden Krankheit (aktive Klausur), und die strenge Beschränkung des Zutritts weltlicher Personen in ein Kloster (passive Klausur). Die Theologie im Hintergrund dieser Regelungen ist eine Theologie, die Frauen als «Eva», als Versucherin und Verführte und als spirituell schwächer als Männer ansieht und daher besser kontrollieren muss. Durch die Klausur bleiben somit die Frauen unter der Kontrolle von Männern, wenn ihre soziale Kontrolle durch andere Männer (Ehemänner, Väter) nicht gegeben ist.
Abhängigkeit und Infantilisierung
Die Frauen, die heutzutage in Europa ins Kloster eintreten, sind im Durchschnitt um die 30, haben oft studiert, gearbeitet, alleine gewohnt oder hatten sogar eine Beziehung. Außerdem hat sich die Wahrnehmung der Frauen in der Theologie entwickelt. An diesem Punkt muss die Frage gestellt werden: Macht die päpstliche Klausur noch Sinn, wenn sie erstens dem heutigen Frauenbild nicht mehr entspricht und zweitens potenziell zu mehr Missbrauchsformen führen kann? Darf noch länger übersehen werden, dass die päpstliche Klausur zu einer größeren Abhängigkeit und Infantilisierung der Frauen führt, was den Nährboden für verschiedene Formen des Missbrauchs fördert? All dies entzieht der strukturellen Ungleichheit zwischen Männer- und Frauengemeinschaften die Rechtfertigung.
Nonnen sollen selbst bestimmen können
Es geht nicht darum, wie die Äbtissin es sagte, dass die Nonnen auch ins Theater gehen müssten oder die Klausur abzuschaffen wäre, sondern darum, dass sie selbst bestimmen können, welchen Zugang zur Welt sie haben wollen und welche Strukturen systematisch zu bekämpfen wären, um potenzielle Missbrauchsformen nicht länger zu begünstigen.
Literatur:
Lisi Eugenio M., «Gli Istituti Monastici nel nuovo Codice Canonico», in Lo Stato Giuridico dei consacrati per la professione dei consigli evangelici, Libreria Editrice Vaticana, Rom, 1985.
Jonveaux Isabelle, «Les moniales et l’emprise du genre», Sociologie, N°2, vol. 6 | 2015.
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Isabelle Jonveaux ist Religionssoziologin und Religionswissenschaftlerin. Sie ist Leiterin des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts Suisse Romande (SPI Suisse Romande) und unterrichtet an der Universität Freiburg (Schweiz). Forschungsschwerpunkte: Heutiges Klosterleben in Europa und Afrika; Internet und Religion, neue Formen von Askese.
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