Der Wiener theologische Ethiker Gerhard Marschütz hat sich vielfach zum Thema Gender geäußert. Er rezensiert das jüngste Buch von Margit Eckholt, die in einem Sammelband der Frage nachgeht, wie man „Gender studieren“ kann.
Die Idee zu diesem Buch resultiert aus einer 2015 veranstalteten Tagung zu Ehren der Osnabrücker Theologin Elisabeth Gössmann. Im Ergebnis ist daraus ein umfangreicher Sammelband geworden, der entlang von 25 Autor_innen multiperspektivisch die „gefährliche Kategorie“ (Regina Ammicht Quinn) Gender thematisiert. Gefährlich deshalb, weil die von rechten kirchlichen und politischen Milieus „in diffamierender Absicht bewusst unkorrekt“ (Sonja Strube: 105) verwendeten Begriffe Gender und Gender Mainstreaming nicht wenigen – auch kirchlichen Amtsträgern – korrekt erscheinen und darum in Verteidigung einer christlichen Kultur und Familienordnung Wortneuschöpfungen wie „Gender‑Ideologie“ oder „Genderismus“ als angemessen erachtet werden. Darum ist man etwa als Theologin (nicht nur) „in Kroatien allein schon durch die Verwendung des Begriffs ,Genderʼ dem Verdacht ausgesetzt, der ,Gender‑Ideologieʼ anzuhängen. Wer aber der ,Gender‑Ideologieʼ anhänge, betreibe zugleich die Auflösung christlicher Werte.“ (Jadranka Rebeka Anić: 424)
Für eine Entideologisierung der Debatte
Im Kontrast zu solchen Auflösungsszenarien optiert dieses Buch für eine „Entideologisierung der Debatte“ (Marianne Heimbach-Steins: 48ff). Der erste Teil ist darum Begriffsklärungen und aktuellen Herausforderungen gewidmet, die einerseits darauf zielen, die Gender-Kategorie gegenüber undifferenzierten Zurückweisungen zu schützen und andererseits für eine theologische Rezeption als fruchtbar zu erweisen. Unter anderem wird aus lateinamerikanischer Sicht aufgezeigt, dass eine Kritik am dort herrschenden „Machismo“ unverzichtbar des Begriffs Gender bedarf, um „eine ausschließlich auf seine biologische Verfassung zentrierte Sicht des Menschen zu überwinden und zu zeigen, dass die Probleme der Unterdrückung (von Frauen und sexuellen Minderheiten, Anm. GM) auf der Ebene kultureller Symbole liegen“ (Virginia Raquel Azcuy: 65).
Die leibgebundene Freiheit des Menschen als „imago Dei“ als Ausgangslage theologisch-anthropologischen Nachdenkens
Die im zweiten Teil thematisierten Grundfragen theologischer Anthropologie, insbesondere bezüglich der Debatten um die Geschlechterdifferenz, werden in biblischer, systematisch-theologischer und kirchenrechtlicher Sicht reflektiert. So enthält etwa die Anthropologie der Texte von Gen 1-3 „sehr viel weniger Ansatzpunkte für eine Zweitrangigkeit oder Unterordnung der Frau als die spätere Rezeptions- und Wirkungsgeschichte“ (Helen Schüngel-Straumann: 157). Doch weiterhin werde lehramtlich die rechtliche Ungleichstellung von Frauen und Männern in der katholischen Kirche, die „im Staat Diskriminierung wäre“, als „geistbegabte Auslegung von Gottes Plan für Mann und Frau“ (Bernhard Sven Anuth: 172) verteidigt und essentialistisch festgeschrieben. Bildet dagegen die leibgebundene Freiheit des Menschen als „imago Dei“ die Ausgangslage theologisch-anthropologischen Nachdenkens, wird ein Rückgriff auf die geschichtliche Gender-Kategorie unausweichlich. In der Konsequenz besagt das: Der lehramtliche „substanzontologische Ansatz kann nicht mehr fortgeschrieben werden“, stattdessen sind „das geschichtliche Werden des Menschen, gerade in Verbindung mit der Körperlichkeit des Menschen und die Aufeinanderbezogenheit von biologischer und sozialer Geschlechtlichkeit Grundkonstanten, die weiter entfaltet werden müssen“ (Margit Eckholt: 224). Denn „eine geschlechtersensible kirchliche Anthropologie und Theologie“ (Christine Büchner: 233) stellt nach wie vor ein Desiderat dar.
Gender-Lernprozess für Theologie und Kirche
Während der dritte Teil des Buches die Gender-Kategorie auf diverse Praxisfelder der katholischen Kirche ausleuchtet, nimmt der vierte Teil internationale Kontexte (Afrika, Lateinamerika, Philippinen, Kroatien) in den Blick. Ein ausführlicher Beitrag ist hier auch der Verankerung der Gender-Perspektive in der Entwicklungszusammenarbeit des Bischöflichen Hilfswerks MISEREOR gewidmet.
In Summe lösen die vielgestaltigen Beiträge dieses Buches ein, was dessen Titel und Untertitel anspricht. Anstatt, wie es oft üblich ist, Gender vorurteilsbeladen als Ideologie zu desavouieren, muss es zunächst um ein redliches „Gender studieren“ gehen, auch um damit verbundene „theologisch und ethisch herausfordernde Fragen“ (Marianne Heimbach-Steins: 51), um so den überfälligen „Lernprozess für Theologie und Kirche“ zugunsten einer geschlechtersensiblen Theorie und Praxis forcieren und vertiefen zu können.
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Margit Eckholt (Hg.): Gender studieren. Lernprozess für Theologie und Kirche, Ostfildern, Matthias Grünewald Verlag 2017, 438 Seiten, ISBN 978-3-7867-3090-3, 35,- Euro
Rezension von: Ao.-Univ.-Prof. Dr. Gerhard Marschütz, Wien