Ein Beitrag zum Tag der Tiefkühlkost. In Zeiten, die einem die Kraft rauben. Von Birgit Mattausch.
Gepriesen seist du, Ewiger, für die Tiefkühlkost.
Für Fischstäbchen und Pizza Hawaii und diese Nudeln mit Garnelen, die in meiner Mikrowelle nur 8 Minuten brauchen zum Auftauen.
Ja, gepriesen seist du und sei die Lebensmittelindustrie für bissfeste Penne rigate und knackige Shrimps in einer fruchtig-cremigen Thai-Sauce mit Tomatenstücken. Für den richtigen Kick auf dem Teller sorgt eine gute Messerspitze feuriges Sambal Oelek!
der richtige Kick auf dem Teller
Wobei ich die Nudeln nicht von einem Teller esse, sondern aus der Salatschüssel mit dem blauen Muster und der Kante mit Macken. Sie ist mikrowellenfest und ich mache mir ja sowieso eigentlich nie Salat.
Esse sie nach einem Tag, an dem „Hanau“ schon Tage lang nicht mehr der Name einer Stadt ist, in der ich einmal im Jahr in einem Hotel übernachte, in einem Zimmer mit Blick auf den Kreisverkehr. Eine Stadt, in der wir uns treffen, um zu schreiben, auf dem Markt Brioches zu essen und Lebensmittel zu kaufen, die wir nicht kennen und aus denen die anderen dann abends köstliche Dinge kochen. Eine Stadt, die für mich bestand aus Buchstaben, korallenförmigen Pilzen, Läden mit Fake-Handtaschen, türkischen Supermärkten und einer Frau mit einem russischen Kopftuch auf einem Wagen voller Kartoffeln. Vor ihr zwei Gläser mit süßem Tee vom Döner gegenüber.
Blick auf den Kreisverkehr
An einem Tag, an dem „Hanau“ nun bedeutet: Schüsse, Tote, ein Manifest des Hasses und eine Mehrheitsgesellschaft, die wieder und wieder betroffen ist und überrascht und man konnte es ja nicht ahnen seit Solingen, Hoyerswerda, Sarrazin, dem NSU, dem Mord an Walter Lübcke. Seit Halle. Man konnte es ja nicht ahnen und machte tatsächlich eine kurze Pause und lud tatsächlich dieses eine Mal niemanden in die Talkshows ein, der in feineren Worten das sagt, was der Täter schrieb: dass es Menschen gibt, die qua Genpool hier sein dürfen und andere, die es nicht dürfen – und wenn ausnahmsweise, dann bitte INTEGRIERT und ohne Kopftuch, ohne Moscheen und ohne Shishabars.
großartig und keiner von ihnen arbeitslos
Bissfeste Penne rigate mit knackigen Shrimps während die Mutter von Ferhat Unvar weinend in eine Kamera sagt, dass ihr Sohn und die anderen Ermordeten großartig waren und keiner von ihnen arbeitslos. Während sie dieses Land, in dem sie lebt, bittet, etwas zu tun, damit andere nicht den Schmerz erfahren, den sie erfährt. Dieses Land, in dem sie sich immer noch rechtfertigt dafür, dass sie da ist, dass ihr Sohn da war: nicht arbeitslos.
Bissfeste Penne rigate mit knackigen Shrimps während Friedrich Merz findet, die Antwort auf diese Gewalt sei der verstärkte Kampf gegen die (natürlich nicht-deutsche) Clankriminalität. Und Joachim Gauck, man müsse einfach mehr mit Rechten reden.
In einer fruchtig-cremigen Thai-Sauce während Thilo Sarrazins Buch „Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“ immer noch auf Platz 4 der auf Amazon verkauften Bücher ist – in der Kategorie „Integration und Interkulturelle Erziehung“.
Mit Tomatenstücken während an den europäischen Außengrenzen Tränengas eingesetzt wird und auf Menschen geschossen.
Bitte einmal umrühren.
8 Minuten brauchen die Penne zum Auftauen. Nach 4 Minuten bitte einmal umrühren.
Gepriesen seist du, Ewiger, dafür.
Denn ich habe keine Kraft mehr, im Supermarkt alle Zutaten zu suchen. Keine Kraft mehr zum Gemüseschneiden, zum Schmoren, Warten, Nudelwasser salzen. Zum hinterher mehr als die eine Schüssel und einen Löffel Spülen.
Ich habe keine Geduld mehr, länger als 8 Minuten darauf zu warten, dass die Nudeln bissfest sind und dieses Land endlich begreift, was es getan hat.
geduldig warten, bis sie heiß und süß werden
Gepriesen seist du.
Und ich verspreche dir: Morgen werde ich wieder selber Zwiebeln schneiden, werde weinen dabei, sie in Öl auf kleinster Flamme glasig dünsten, geduldig warten, dass sie heiß werden und süß.
Morgen werde ich vielleicht wissen, was zu tun ist. Und woher die Kraft kommt und die Klugheit und die Hilfe.
Heute nicht.
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Text und Bild: Birgit Mattausch, Pastorin und Referentin für Sprache und Predigt im Michaeliskloster Hildesheim, dem Gottesdienstinstitut der Landeskirche Hannovers.