Objekte aus jüdischen Besitz erzählen Geschichten von Raub und Enteignung. Rahel Blum nimmt uns mit auf Spurensuche: Welchen Beitrag leisten diese Objekte zu einer zukunftsweisenden Erinnerungskultur?
Das Dritte Reich bedeutete für Millionen von Juden Flucht, Vertreibung oder Tod, ihr Besitz wurde enteignet, geraubt, ging verloren. Genauso wenig blieben jüdische Institutionen, Synagogen, Friedhöfe, Archive und Museen verschont. In Frankfurt ging mit dem Dritten Reich eine der größten und wichtigsten Gemeinden Deutschlands unter. Eine Vielzahl an wertvollen Handschriften, Kultgegenständen und Grabsteinen ist auf ewig verloren – nicht zählbar sind die Besitztümer, welche für viele jüdische Familien wertvolle Erinnerungen bedeuteten. Dennoch sind einzelne jüdische Objekte aus jüdischen Besitz erhalten geblieben. Doch wie diejenigen ihrer Besitzer, welche das Glück hatten, zu überleben, kann auch jedes Objekt jüdischer Herkunft eine eigene Geschichte von Raub und Enteignung erzählen.
In der Reichsprogromnacht im November 1938 wurden auch in Frankfurt Synagogen geplündert und angezündet. Die Synagoge am Börneplatz bewahrte damals das wertvolle und alte Archiv der Frankfurter orthodoxen Gemeinde. Die prominenteste Handschrift war das sogenannte Gemeindebuch, welches von 1550 bis 1802 die wichtigsten Entscheidungen des Gemeindevorstandes protokollierte und aufgrund dieser langen Dauer einzigartig war ganz in Europa. 1938 wurde das Gemeindearchiv verwüstet, doch manche der Archivalien – wenngleich unbekannt ist, wie dies vonstattenging – fanden eine Unterbringung im Stadtarchiv. Dieses wurde 1944 von Bomben getroffen und viele der jüdischen Bestände verbrannten.
Der Verbleib des Gemeindebuchs war lange unbekannt. Doch 1966 wurde es der Nationalbibliothek in Jerusalem gestiftet. Wie damals häufig üblich, wurde der Stifter nicht namentlich protokolliert, sodass es unmöglich ist, die Geschichte dieser wertvollen Handschrift zwischen 1938 und 1966 zu rekonstruieren.
Der silberne Bar Mizvah-Becher von Baruch Berthold
Die Synagoge am Börneplatz bewahrte neben dem Archiv auch eine Sammlung kunstvoll gefertigte Kultgegenstände auf, welche 1938 geraubt, enteignet und danach gelegentlich auf dem Kunstmarkt weiterverkauft wurden. Nur wenige dieser Kultgegenstände konnten einen Weg finden zurück in einen jüdischen Kontext, darunter ein silberner Pokal. Dieser wurde 1911 zu Ehren der Bar Mizvah des jüdischen Jungens Baruch Berthold an die Börneplatz-Synagoge gestiftet. Bis heute ist unklar, ob dieser Becher geraubt, enteignet oder gar gerettet wurde.Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die JRSO (Jewish Restitution Successor Organization) gegründet, eine Organisation, die sich bemühte, jüdische Objekte an Nachkommen restituieren oder aber erneut einem jüdischen Kontext zuzufügen, vor allem in den USA und Israel. Eine der Vertreterinnen derer, welche für die Rückgabe jüdischen Eigentums kämpften, war die damals noch unbekannte Hannah Arendt. Es galt ehemals jüdische Besitztümer zu retten, wo Menschen nicht mehr zu retten waren. Der silberne Pokal aus der Börneplatz-Synagoge aber verblieb in Deutschland. Er wurde an die neu gegründete jüdische Gemeinde in Frankfurt restituiert. Heute ist der Becher eine Leihgabe der Gemeinde an das Jüdische Museum Frankfurt und er konnte so nahe an seinen ursprünglichen Standort zurückkehren.
Die Geschichte des jüdischen Friedhofs in der Battonnstraße
Ein anders Schicksal ereilte den alten jüdischen Friedhof in der Battonnstraße (genutzt spätestens ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zur Schließung 1828), gleich neben der Synagoge am Börneplatz und heute Bestandteil der gleichnamigen Gedenkstätte. 1939 zwang man die jüdische Gemeinde zur Übereignung des Friedhofes an die Stadt Frankfurt.
1942 wurde die Abräumung der Grabsteine begonnen, die Fläche des Friedhofs war als Abladeplatz für den Schutt nach Bombenangriffen vorgesehen. Nur 175 Grabsteine von besonderem künstlerischem Wert sollten erhalten bleiben und wurden an einen anderen Ort gebracht.
Das heutige Erscheinungsbild des Friedhofs zeigt nur zu deutlich die weitreichende Zerstörung des Friedhofs auf. Von ehemals etwa 6000 Grabsteinen wurden 4000 maschinell zertrümmert. Auf dem Friedhof wurden Schienen verlegt für Loren, mit denen die Steine schneller abtransportiert werden könnten. Unklar ist aber, warum die Zerstörung schließlich doch angehalten wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof an die neu gegründete jüdische Gemeinde in Frankfurt restituiert, erst 1959 waren die Instandsetzungsarbeiten abgeschlossen. Die 175 Grabsteine, welche 1939 entfernt worden waren, wurden auf den Friedhof zurückgebracht. Da ihr ursprünglicher Standort nicht mehr bekannt war, reihte man sie entlang der Friedhofsmauer auf.
In den 1990ern bemühten sich der Judaist Michael Brocke und seine Studenten, einzelne der Steine wieder zusammenzusetzen, doch war dies nur in wenigen Fällen möglich und die meisten der Trümmerteile werden heute an ihrem ursprünglichen Ort der Verwitterung überlassen.
Kein Schlussstrich unter dem Erinnern
Heute sind die Grabsteine des alten Friedhofes, das Gemeindebuchs oder des silbernen Bechers nicht allein Objekte jüdischer Provenienz, sondern vielmehr Monumente dessen was jüdischen Deutschen angetan wurde. Die Geschichte jüdischer Einrichtungen, Institutionen und Sammlungen steht für die Geschichte ihrer Gründer und Besitzer, deren Leben nach 1933 zerstört wurde oder an einem anderen Ort fortgesetzt werden musste.
Der Umgang mit solchen Objekten dagegen symbolisiert den heutigen Umgang mit der Deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 und die Verantwortung, welche Deutschland bis heute trägt, denn „unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht […] Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse. Und es bleibt die eine Antwort: Nie wieder! Niemals wieder! Deshalb darf es keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben“, so Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zum diesjährigen Holocaust-Gedenktag in Yad Vashem. Ebenso hat das Bewusstmachen der Geschichte jüdischer Gegenstände und Kulturgüter, die erhalten geblieben sind, zur Aufgabe, weit über das Erinnern hinaus auch für die Zukunft zu mahnen.
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Rahel Blum ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Judaistik der Goethe Universität und Guide am Jüdischen Museum Frankfurt. Aktuell promoviert sie zur internen Entwicklung jüdischer Gemeindeorganisation in der Frühen Neuzeit.
Bilder: Rahel Blum.
Quellen und weiterführende Literatur zum Thema:
Jüdisches Museum Frankfurt, Ausstellungstexte zur Ausstellung: Geraubt. Zerstört. Verstreut. Zur Geschichte von jüdischen Dingen in Frankfurt, vom 17.5.2018-14.10.2018, Museum Judengasse, Frankfurt, online Zusammenschau zur Ausstellung auf https://www.juedischesmuseum.de/de/erkunden/detail/geraubt-zerstoert-verstreut/, letzter Abruf 29.01.2020. Hier weiß ich nicht, wie die Formatierung am besten gemacht werden sollte – die Angaben zu dem o.g. Becher gibt das JMF nur auf Flyern und Kurzbeschreibugnen heraus
Bertz, Inka (HRsg.), Raub und Restitution: Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008.
Janelli, Angela/ Kößler, Gottfried, Gekauft Gesammelt Geraubt? Vom Weg der Dinge ins Museum. Frankfurt 2019.
Gallas, Elisabeth, „Das Leichenhaus der Bücher“. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Schriften des Simon-Dubnow-Instituts 19 , Göttingen 2013.
Hermann, Heidrun, „Zur Geschichte des alten jüdischen Friedhofs in Frankfurt am Main“, in: Brocke, Michael, Der alte jüdische Friedhof zu Frankfurt am Main : unbekannte Denkmäler und Inschriften, Sigmaringen 1996, S. 18-27.
Heuberger, Georg (Hrsg.), Was übrig blieb . Das Museum jüdischer Altertümer in Frankfurt 1922-1938, Frankfurt 1988.
Honigmann, Peter, „Das Frankfurter Gemeindearchiv“, in: HEIDELBERGER NEUIGKEITEN [ Nachrichtenblatt der Hochschule für Jüdische Studien]. Nr. 6 (1993).
Rede Frank Walter Steinmeier in Jerusalem/Israel, 23. Januar 2020, http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200123-Israel-Yad-Vashem.html, letzter Abruf 2020-01-27. Es gilt das gesprochene Wort.