Auch die ökumenische Begegung und Zusammenarbeit wurde und wird durch die Pandemie verändert. Nun liegt ein neues Papier vor, das sich genau diesen Herausforderungen stellt. Andrea Riedl gibt uns einen Einblick.
Kommunikation beeinflusst Gemeinschaft. Die Art und Weise, wie wir (oder wie wir nicht) miteinander kommunizieren, hat Auswirkungen auf die Existenz, Form und Qualität des Miteinanders. Diese fast simple Erkenntnis steht besonders dort im Mittelpunkt, wo Kommunikation sich verändert – sei es durch äußere Faktoren wie die Pandemie oder durch innere Beweggründe, die signalisieren, dass etwas im Wandel begriffen ist. Ein neues Dokument des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen mit dem Titel Ecumenism in a Time of Pandemic: From Crisis to Opportunity („Ökumene in Zeiten der Pandemie: von der Krise zur Chance“; veröffentlicht am 20. Januar 2022 in Englisch, Französisch und Spanisch; 46 Seiten; hier abgekürzt mit ETP) macht diesen Gedanken auf mehreren Ebenen zum Dreh- und Angelpunkt: Veränderte Formen von Kommunikation, zumal in Zeiten der Krise, stellen die Kirchen vielfach vor die Herausforderung einer sich wandelnden kirchlichen Communio in ihrer spirituellen, ekklesiologischen, liturgisch-sakramentalen und missionarischen Gestalt. Denn Kommunikation beeinflusst Gemeinschaft – insbesondere dort, wo Gemeinschaft, ja mehr noch Einheit, Ausgangspunkt und Ziel jeder ökumenisch-theologischen Reflexion ist.
Herausforderung einer sich wandelnden kirchlichen Communio
Das Zweite Vatikanische Konzil verpflichtet die katholische Kirche darauf, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten“. Diese Verpflichtung findet sich neben der berühmteren Stelle in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (GS 4) auch im Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio. Dort werden alle Gläubigen dazu aufgerufen, „dass sie, die Zeichen der Zeit erkennend, mit Eifer an dem ökumenischen Werk teilnehmen“ (UR 4). Indem der Einheitsrat die seit nunmehr zwei Jahren grassierende Covid-19 Pandemie als ein solches Zeichen der Zeit charakterisiert (ETP 79), nimmt er diesen Auftrag ernst, wenn er mithilfe dieses bemerkenswerten Dokuments zugleich die vielen katholischen Stimmen nach innen und ihre Achtsamkeit nach außen hin zum ökumenischen Partner zum Ausdruck bringt.
Covid-19 Pandemie als ein solches Zeichen der Zeit
Im Januar 2021 wurden die Ökumene-Beauftragten aller katholischen Bischofskonferenzen weltweit inklusive der katholischen Ostkirchen gebeten, anhand eines Fragebogens Stellung zu nehmen zur Situation ihrer Ortskirchen seit dem Ausbruch der Pandemie. Im Fokus der Befragung standen die ökumenischen Kontakte und Initiativen als Brücke und Hilfestellung vor dem Hintergrund der gemeinsamen Bedrohung, die für alle Kirchen und Gemeinschaften ähnliche Fragen mit sich brachte, etwa: Wie können Liturgie und Sakramente unter Vorgabe des social distancing gefeiert und angeboten werden? Wie kann Verkündigung und Seelsorge angemessen geschehen? Wie kann Religionsfreiheit angesichts restriktiver Maßnahmen im Gesundheitswesen bewahrt bleiben? Was bedeutet der Einbruch der Pandemie theologisch? (vgl. ETB 2) Beziehungsweise mit stärkerem Fokus auf die Ökumene selbst, etwa: Welche konkrete Unterstützung benötigen einzelne bi- und multilaterale Dialoge, um fortgesetzt zu werden? Wo sind der digitalen Kommunikation Grenzen gesetzt? (ETP 78-78) Neben den positiven Seiten ökumenischer Zusammenarbeit angesichts der Pandemie sollten auch die Schwierigkeiten angesprochen werden. Diese versucht das Abschlussdokument in der vorliegenden Form in besonderer Weise zu fassen, zu dokumentieren und im Blick auf solche Themenbereiche aufzubereiten, die die Kirchen im lokalen sowie globalen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Kontext der Pandemie betreffen. Aus den eingetroffenen Rückmeldungen, die von etwa zwei Dritteln der adressierten Gremien kamen, ergab sich in der Grundtendenz eine pastoral-praktische Herangehensweise (vgl. ETP 8), ergänzt um einige theologische Themen, deren (z.T. zukünftige) Brisanz im Dokument lediglich umrissen wird. In drei Abschnitten werden vor diesem Hintergrund Chancen (ETP 10-46), Herausforderungen (ETP 50-61) und speziell auf den ökumenischen Kontext bzw. die ökumenische Bewegung bezogene Fragen (ETP 62-78) angesichts der Pandemie thematisiert.
ein neues Wir-Gefühl – being one family
Als positiv und geradezu ökumenischer Aufbruch hat sich in vielen Regionen ein neues Wir-Gefühl erwiesen. Die Erfahrungen des being one family (ETP 11-20), der gegenseitigen Unterstützung in ebenso pragmatischen wie geistlichen Angelegenheiten und das Bewusstsein von shared vulnerability (ETB 13) habe die Kirchen näher zueinander gebracht und sie bisweilen sogar veranlasst, füreinander nach außen hin einzustehen. Diese Gegenseitigkeit ging mit einem wachsenden Interesse am Gegenüber einher, das die Ökumene als ihren vielleicht kleinsten, aber wichtigsten Baustein bezeichnet: das gegenseitige Kennenlernen und Erfahren, wie Ritus und Liturgie, wie Pastoral und Seelsorge, wie Gemeinschaft gelebt wird – allerdings in einer Zeit, in der die Grundvollzüge kirchlichen Lebens auf das jeweils unaufgebbare Minimum reduziert gelebt werden (müssen). Bereits hier zeigen sich große Herausforderungen für die Zukunft, weil sowohl das Kennenlernen von außen wie auch das kirchliche Leben selbst sich zu einem großen Teil in den digitalen Raum verlagert haben, der als solcher zwar exzessiv genutzt, aber noch wenig (theologisch) reflektiert ist. Wo ökumenische Kontakte und Bande bereits vor der Krise bestanden, wurden sie großteils als tragfähig und belastbar empfunden, wohingegen sich kaum neues aufeinander Zugehen ereignete, das nicht bereits vorher grundgelegt war (ETP 20). Verschiedenste Formen des gemeinsamen Betens, eine Neubetonung des Wortes und der Verkündigung, das Gewicht der einer common voice of unity (ETP 29) besonders vor zivilen Autoritäten und deren gelegentliche Insensibilität für Fragen der Religionsausübung sowie karitative Initiativen und Projekte fanden – mehr auf lokaler als auf universaler Ebene – ökumenisch orientierte Träger:innen und Ausführende (ETP 22-49).
Pandemie als aufdeckendes Ereignis bereits bestehender Konflikte
Hinsichtlich aufkommender Schwierigkeiten empfand man die Pandemie weniger als Auslöser, sondern als aufdeckendes Ereignis bereits bestehender Konflikte. Jeweils im Blick auf digitale Vollzüge werden der Kommunionempfang, Sakramentalität im Allgemeinen, der Umgang mit dem sakralen Raum, Amtstheologie und das Konzept der domestic church thematisiert (hier wohl als Kirche im Privatbereich zu übersetzen und nicht als Hauskirche, da dieser Begriff frühchristlich besetzt ist) (ETP 50-54). Dazu kamen zum Teil stark divergierende – und oft genug entlang der Kategorien konservativ und liberal ausgetragene – Auffassungen, wie man sich gegenüber den Vorgaben der Gesundheitsbehörden gerade als Religionsgemeinschaft zu verhalten habe (ETP 55-57), sowie Spannungen, die durch das rechtliche oder ökonomische Ungleichgewicht von etablierten Kirchen und Minoritäten aufbrachen (ETP 58-60).
Kirche: more than a buildig
Mehr denn je wurde deutlich, dass die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen more than a buildig (ETP 66) sei. Die Communio-Theologie werde in Zukunft die virtuelle community zu berücksichtigen haben, die den digitalen Raum von einer Informationsressource hin zu einem Begegnungsraum, die analoge Realität hin zu neuer digitaler Normalität gestaltet hat. Entlang der Frage einer in-absentia Partizipation (ETP 70) sowohl an der Liturgie als auch an ökumenischen Dialogen und Prozessen werden zum Schluss des Dokuments Themen in großer Fülle aufgezeigt, die – als Sammlung kontextgebundener Stimmen der katholischen Ökumene – geradezu ein Arbeitspapier für Theologie und Kirchen an der (so hoffen wir) Schwelle zur post-pandemic world darstellen.
Autorin: PD Dr. Andrea Riedl, ist Fachgebietsleiterin für den Bereich Kirchengeschichte am Institut der Katholischen Theologie der TU Dresden. Derzeit vertritt sie den Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte und Patrologie an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg.
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