Der Schriftsteller Albert Ostermaier bekennt sich.
Ich glaube an den FC Bayern …
Das Wort Glaubensbekenntnis löst bei mir sofort einen Abwehrreflex aus. Entweder ich möchte es ironisch kontern: Ich glaube an den FC Bayern und all seine wankenden Säulenheiligen. Oder ich reagiere so kafkaesk wie grundkatholisch: Ich bekenne mich schuldig. Das passt immer. Den Glauben und die Schuld zu bekennen habe ich von frühester Kindheit an in der Kirche gelernt, sie waren gar nicht voneinander zu unterscheiden, so sehr sie auch von Barock und Augenzwinkern und Brauchtum umspielt waren. Aber doch nicht entschärft im Innersten, in den Mustern, die sich wie Metastasen bildeten – trotz allem Pausbackenputtenblasen. Danach wurde meine Erfahrung mit der Kirche, speziell einem ihrer Unwürdeträger, bitter, traumatisch.
Deshalb lenke ich lieber zur dritten Variante ab, die ich ohne Ironie, ohne Schuld schreiben kann: Ich glaube an die Sprache. Ich glaube an das Wort. Der Anfang meines Wortglaubens gehört meiner schlesischen Großmutter. Schon als Baby war ich im Bastwäschekorb unterwegs zu ihr, die wunderbar singen konnte und mir später nicht Gutenachtgeschichten vorgelesen, sondern mit aller Dramatik und Drastik Deutsche Balladen rezitiert hat. Noch heute sehe ich die Schatten der Bäume vor dem Fenster und höre Uhlands „Des Sängers Fluch“. Der König sticht den Sohn das Sängers nieder, weil die Königin, gerührt von seinem Gesang, ihm eine Rose schenkte. Doch am Ende ist der Fluch, das Wort des Sängers stärker als das Schwert.
Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.
Die Magie des gesungenen Wortes und diese Macht der Sprache in der Ohnmacht hatte ich sonst nur in der Klosterkirche erlebt. In der sinnlich-suggestiven Schönheit der Psalmen, die auf Engelsflügeln aus Mönchskehlen in den kalten Kirchenraum flogen. Diese pure Literatur aus Leid und Lied, aus Lust und Liebe und Gebet, diese Geschichten der Flucht und des Flehens, des Fluchs und der Friedenssehnsucht. Darum das Theater und die Choreografie der Rituale, die Worte, die nicht nur klangen, sondern sich bewegten auf einer Bühne. Da glaubte ich, dass die Sprache göttlich ist und von Gott kommt. Noch heute ist für mich der berührendste Satz der katholischen Messe: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“. Nur ein Wort: Da bekam ich immer Gänsehaut. Ich dachte in meiner Dichtersehnsucht an Uwe Johnson, Büchner und vor allem an Brecht, der meine Bibel war und der seine zupackende Sprache in der Bibel so sehr wie beim Himmelsschiffschaukeln gefunden hatte.
Natürlich sammelt die Sprache auch Schatten, kann sie als Waffe Wunden schlagen in das Fleisch, das sie wurde. Wenn Sprache Gewalt wird, weil man Flüchtlinge und Welle in ein Wort zusammenzwingt als Naturkatastrophe. Wenn die Sprache das Töten und die angeschwemmten Kinder ausblendet und ins Meer zurückspült mit Worten wie „Obergrenze“. Kennt das Meer eine Grenze? Gibt es eine Obergrenze an Toten, die es an unsere Küsten spült? Aber die Sprache ist stärker als jene, die sie missbrauchen. Ich glaube an die Sprache und daran, dass am Anfang das Wort war und dass es uns im Herzen und auf der Zunge liegt.
Albert Ostermaier, 48, ist Schriftsteller und Dramaturg.
Sein Glaubensbekenntnis erschien am 09.01.2016 in der Süddeutschen Zeitung.