Wie geht eigentlich Sterben? Kann man in dieser Welt menschlich leben? Wie kann es Vergebung geben, wenn man nichts mehr ‚gut’ machen kann? Diese Fragen stellen sich nicht nur Theolog:innen. Aber die meisten Menschen stellen sie nicht unbedingt Theolog:innen. Birgit Hoyer hat Katrin Visse interviewt.
Frau Visse, Sie sind Referentin in der Katholischen Akademie in Berlin und die Initiatorin der Tauchgänge, die seit 2014 jedes Jahr in der Fastenzeit in einem Berliner Club stattgefunden haben. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Ich erlebe, dass die Menschen Antworten auf diese Fragen nicht in der Kirche suchen. Und ich würde das wohl auch nicht, wenn ich nur den Blick von außen hätte, also wenn ich nicht Menschen kennengelernt hätte, die mir auf unterschiedliche Weise gezeigt hätten, welche Schätze in der Tiefe des christlichen Glaubens zu finden sind. Denen ich glaube, dass sie manchmal in diesem Glauben so Unglaubliches finden, das ihnen Kraft über alles Vorstellbare hinaus gibt. Meine Frage ist deshalb: Wie findet man diese Schätze? Und wer erklärt sie einem?
Und haben Sie darauf Antworten gefunden?
Jemand muss einem einen Zugang verschaffen. So wie zu anderen Schätzen auch. Das ist die Idee der Tauchgänge. Sie fanden 2014 bis 2020 jedes Jahr in der Fastenzeit in einem Berliner Club statt. 2021 werden sie als Podcast weitergeführt. Zum Zuhören muss man nicht gläubig sein. Aber offen und neugierig auf Menschen, die glauben. Man braucht keine Meinung haben, aber Vergnügen daran, sich verstören zu lassen. Mit etwas Glück wird man in Staunen versetzt.
Sie haben die Tauchgänge erfunden, um Schätze zu finden?
Ja. Als wir damit anfingen, wollten wir erst mal gute Gedanken konsumieren, ohne viel dafür tun zu müssen. Die Tauchgänge starteten 2014 in der NBI-Bar, einem Club in Berlin Mitte. Ich konzipierte sie zusammen mit Esther Maria Magnis als Reihe in der Fastenzeit. In den sechs Wochen vor Ostern haben wir Philosophinnen und Philosophen, Ordensmänner und –frauen, Theologinnen und Theologen, Priester, Dichter und Künstler gebeten, über einzelne Aspekte ihres Glaubens zu sprechen, die sie besonders groß oder schön finden, die sie in ihren Studien besonders berührt haben. Mal war das ein Film, eine Musik, ein philosophisches Problem. Sie sollten es so erklären, dass auch theologische Analphabeten gut zuhören können.
Was haben Sie entdeckt?
Es zeigte sich, dass auch der Ort des Sprechens nicht nur das Publikum, sondern manchmal auch die Redner veränderte. Bei Club-Beleuchtung, Zigarettenrauch und Musik wurden neue Formulierungen und Zwischentöne gefunden für die Schätze des Glaubens. Umgekehrt zeigte sich aber auch eine große Neugierde an scheinbar entlegenen Themen: Unterscheidung der Geister nach Ignatius, John Henry Newmans und Edward Elgars „Dream of Gerontius“ u.a. Wie Zuhörerinnen und Zuhörer jenseits des klassischen Gemeindemillieus – angelehnt an die Theke – hochkonzentriert der Apokalypse des Johannes lauschten.1 Das war an sich schon ein bewegendes Erlebnis. Und ist an sich doch nicht so verwunderlich: Auch als Herbert Fritsch im Jahr 2016 in der Volksbühne die Apokalypse als Ein-Personen-Stück inszenierte, war das Haus bei jeder Vorstellung ausverkauft. Auch hier folgte das Publikum der Berliner Volksbühne über 1:45 Stunden der Apokalypse – in der Lutherübersetzung von 1545. Nach Schließung der Bar zogen die Tauchgänge 2017 um in den „Club der polnischen Versager“. Mit neuen Gästen, vor neuer Kulisse, und mit mir als alleiniger Gastgeberin.
Welche Gäste sind denn Ihrer Einladung gefolgt und welche Themen haben sie mitgebracht?
Der Maler Michael Triegel gab Einblicke in die Theologie in seinen Bildern – und seiner Erfahrung damit. Körperliche Zugänge zur Schrift schenkte Mirja Kutzer, Julia Meszaros erschloss mit Caryll Houselanders „The Reed of God“ Zugänge zur oft verstaubten Marienfrömmigkeit. Ansgar Wucherpfennig legte den Johannesprolog als seinen persönlichen Glauben „in a nutshell“ aus.
Für dieses Jahr haben Sie nun eine Veränderung angekündigt.
Ja, 2021 erfolgt nun eine Transformation – in einen Podcast, der sonntags in der Fastenzeit auf den gängigen Hörportalen ausgestrahlt werden wird. Die Gäste dürfen jetzt in einem Gespräch ihre Schätze präsentieren. Und eine weitere Neuerung gibt es: die Gastgeberschaft besteht wieder aus zweien – nun ergänzt durch Peter Gößwein.
Wir beide, Visse und Gößwein, bilden schon lange ein Gesprächsduo. Wir moderieren gemeinsam das „Gespräch nach der Vorstellung“ im Deutschen Theater. Wie bei anderen Gesprächen auch geht es dabei darum, in einer Haltung der Empfänglichkeit zu agieren und so zuzuhören, dass sich zeigen kann, was vielleicht längst schon da ist. Wir dienen uns an als „Gegenüberglück“, als Zuhörer, wohl wissend, dass Einsichten in einem Gespräch nie eingefordert werden können, sondern unverfügbare Geschenke bleiben. In der Tonaufnahme für den Podcast sind wir aber auch „Anwälte“ der Hörerinnen und Hörer: So fragt Peter Gößwein als Nichttheologe stets nach, wenn Begriffe und Personen unklar sind – oder ich mich mit dem Gast möglicherweise hinter scheinbar klaren theologischen Formulierungen verstecke, oder im Vorgespräch schon zu viel gedankliche Gemeinsamkeit entstanden ist. Peter Gößwein, der außerdem Erzählkünstler ist, speist darüber hinaus noch ein, wie sich auch in anderen Erzählungen und Geschichten tiefe existenzielle Fragen verbergen.
„Glaubst du das eigentlich?“, ist die Frage, die implizit im Raum steht. „Manchmal ja.“ ist eine der Antworten darauf. Eine andere: „Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich mal sehr fromm war. Es war ein schönes Gefühl, ich erinnere mich gern daran. Und es ist mir nicht peinlich.“
Die Tauchgänge gibt es sonntags in der Fastenzeit zum Hören: spotify, ApplePodcasts, Pocket casts. Es treten auf: Ein Esel, ein wilder Mann, eine Heilige und eine Zwiebel …
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Dr. Katrin Visse ist Referentin für Islam und Theologe an der Katholischen Akademie in Berlin.
- Fast alle Abende wurden aufgezeichnet und finden auf Youtube weitere Hörer:innen und Zuschauer:innen. ↩