In der Ausstellung „Städel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900“, die noch bis zum 27. Oktober 2024 im Städel Museum in Frankfurt am Main gezeigt wird, geht Andreas Wörsdörfer dem Einfluss der Frauen auf die Kunstwelt Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nach.
„Selten war eine Ausstellung so wichtig und überfällig zugleich…“, so titelt das ZDF „heute journal“ am 10. Juli 2024 über die Ausstellung „Städel | Frauen“. 80 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen von 26 Künstlerinnen werden gezeigt, einige von ihnen erstmals öffentlich. Frauen, die damals keine Ausnahmeerscheinung waren, deren Einfluss aber bis heute in Vergessenheit geraten ist. Ohne ihren Beitrag ist die Moderne nicht zu denken. Dem Städel Museum in Frankfurt ist es zu verdanken, dass sie zum ersten Mal wieder in den Fokus rücken und die Beachtung finden, die sie verdienen. Über die Kunst dieser Frauen wird ihre Geschichte erzählt. Und so die Situation der Frau in einer männerdominierten Kunstwelt um 1900 illustriert, in der sie sich ihren Platz erkämpfen müssen. Die Ausstellung zeigt die engen Grenzen auf, die ihnen gesteckt sind, sowie die kreative und intelligente Art und Weise, wie sie ihr „Nein“ zu diesen Grenzen zum Ausdruck bringen. Es geht um Selbstermächtigung von Frauen, von Künstlerinnen in ihrer Zeit.
Vorbehalte gegenüber Frauen
und ihrer Auffassungsgabe
Die Frauen sind in ihrer Zeit in ein enges gesellschaftliches Korsett gezwängt. In der Öffentlichkeit dürfen sie sich nur mit männlichem Vormund bewegen. Selbstständig und unabhängig? Davon sind sie weit entfernt. Sich ausbilden lassen – in der Kunst? Unmöglich. Der Zugang zu Kunstakademien ist ihnen versagt. Malen ist allenfalls als Zeitvertreib für wohlhabende Damen gedacht – zuhause, dekorativ. Schöpferisches Talent, Individualität? Niemals.
Im Paris der 1880er Jahre sieht das anders aus. Die Gesellschaft ist liberaler. Dort gibt es sie schon, die sogenannten „Damenateliers“, in denen renommierte französische Künstler Frauen unterrichten – freilich getrennt von Männern. Vorbehalte gegenüber der Frau und ihrer Auffassungsgabe gibt es in dieser Zeit auch hier. Dennoch: Künstlerinnen aus ganz Europa und den USA strömen in die Kunstmetropole, um sich ausbilden zu lassen und Ausstellungsmöglichkeiten zu nutzen. So auch Ottilie W. Roederstein, deren Verbindungen und Netzwerk in der Ausstellung beleuchtet werden.
Von Wohngemeinschaften
zu Netzwerken
Gleich zu Beginn hängt an zentraler Stelle das Gemälde „Portrait der Freunde“ von Louise Breslau aus dem Jahr 1881. Als Opener der Ausstellung wirft es ein Schlaglicht auf die Situation der Frauen und ihr Selbstverständnis. Es zeigt einen Blick in die Wohngemeinschaft von Louise Breslau. Drei Frauen an einem Tisch, nicht etwa zu einem Kaffeekränzchen versammelt, sondern jede mit etwas anderem beschäftigt. Eine von vielen Wohngemeinschaften im damaligen Paris. So mussten sie sich organisieren, denn Frauen war es nicht erlaubt, alleine eine Wohnung anzumieten. Aus diesen Wohngemeinschaften bilden sich Netzwerke. Ateliers wurden angemietet, Modelle gemeinsam finanziert. Louise Breslau schwärmt noch Jahrzehnte später: „Paris war zu jener Zeit die einzige Stadt der Welt, wo eine Frau die ausreichende Gelegenheit fand, sich auszubilden. Dort war damals schon die Künstlerin kein Ungeheuer, keine Närrin, keine überstiegene oder ehrgeizige Abenteurerin.“ So wird sie in der Ausstellung zitiert.
Mehr als
Mutter-Kind-Darstellungen
Wenn Frauen nun also schon malen, dann aber bitte Blumen, Frauen und Kinder. Die Künstlerinnen gehen strategisch vor. Nach außen hin bedienen sie diese gesellschaftliche Erwartungshaltung, um wahrgenommen zu werden und Aufträge zu erhalten. Gleichzeitig schaffen sie es, dadurch bekannt zu werden und können ihren eigenen – progressiveren – Malstil entwickeln. Dora Hitz malt vor 1894 das Bild „Im Morgenschein“: Eine Frau mit Kind im Arm, in einer lieblichen Landschafsszenerie. Mutter-Kind-Darstellungen sind als eine moderne Fortführung klassischer religiöser Mariendarstellungen gerade in Mode. Dora Hitz spielt damit. Hinter dem erwarteten „weiblichen“ Sujet entwickelt sie einen expressiven, dynamischen Malstil. Darüber hinaus ist Dora Hitz gut vernetzt, engagiert und bricht aus den gewohnten Geschlechterrollen aus. Sie wird Mitglied in der progressiven Societé Nationale des Beaux Arts, später gründet sie in Berlin die Berliner Secession mit und den Frauenkunstverband, führt eine Malschule für Damen und setzt sich für die Zulassung von Frauen an Akademien ein.
An der Grenze des als Frau
Machbaren – und darüber hinaus.
Andere Frauen gehen offen provokante Wege in Bezug auf die Wahl ihrer Themen. Annie Stebler-Hopf zum Beispiel irritiert 1889 im Pariser Salon mit ihrem Bild „Am Seziertisch“, das Professor Poirier zeigt, wie er im grellen Licht eine Leiche seziert. „Unweiblich“, „eine makabre Leichenfantasie einer Frau“, so das gesellschaftliche Echo. Provokant lotet Stebler-Hopf damit die Grenze des für sie als Frau Machbaren aus und überschreitet sie. Um große Aufträge zu erhalten, ist es nötig, sich in der Darstellung des menschlichen Körpers ausbilden zu lassen. Aktmalerei gilt jedoch als unschicklich für eine Frau, eine Ausbildung ist ihnen untersagt. Deshalb besuchen die Künstlerinnen Vorlesungen der medizinischen Fakultät. Anni Stebler-Hopf thematisiert die mangelhafte Ausbildungssituation und erobert so, neben anderen, ein Bildthema für sich, das bislang ausschließlich Männern vorbehalten war.
Vom Stürmen der Bastionen
Chronologisch bewegt sich die Ausstellung in die 1890er Jahre, geographisch nach Frankfurt am Main, konkret in die Kunstschule des Städelschen Kunstinstituts. Hier begegnen wir den Damen aus den Pariser Ateliers wieder. Ottilie W. Roederstein und Marie Bertuch gründen in der aufstrebenden und liberalen Bürgerstadt Wohngemeinschaften und Ateliers. Seit 1869 können Frauen ein separates Damenatelier in der Kunstschule des Städels besuchen. Ab 1893 bildet Ottilie W. Roederstein in ihrem Atelier, neben Wilhelm Trübner, die nächste Generation von Künstlerinnen aus. Mathilde Battenberg, Alice Trübner und Eugenie Bandell sind Schülerinnen.
Dort treffen sie auf Louise Schmidt, die 1893 die erste Schülerin in der Bildhauerklasse des Städels ist. Später leitet sie dort das „Meisteratelier für Damen in der Bildhauerei“. Mit ihr lernen wir eine der Kämpferinnen für die Öffnung der Bildhauerei für Frauen kennen. Die Bildhauerei galt als die männlichste der Künste, sei sie doch körperlich viel zu schwer für eine Frau. Hinter dieser vorgeschobenen, paternalistischen Begründung steht die Tatsache, dass eine Ausbildung in Bildhauerei Voraussetzung ist, um gefragte und lukrative Aufträge zu erhalten. Eine Männerdomäne, die – nach Sicht der Männer – auch eine bleiben sollte. Louise Schmidt und andere erstürmen auch diese Bastion.
mit Zigarette in der Hand
Der letzte Teil der Ausstellung widmet sich dem Neuen Frankfurt der 1920er Jahre. Damals herrscht in künstlerischer Hinsicht eine Aufbruchstimmung in der Stadt, die Städelschule fusioniert mit der Frankfurter Kunstgewerbeschule und wird nach den Prinzipien des Bauhauses umgebaut. Frauen sind endlich etabliert und zeigen das. Erna Auerbach malt in dieser Zeit das „Frauenbildnis in Schwarz“. Es zeigt eine modisch in schwarz gekleidete Frau, die/den Betrachtende:n selbstbewusst anschauend, eine Zigarette in der Hand. Wahrscheinlich ist es ein Selbstportrait Auerbachs. Eine einflussreiche Frau ist sie: arbeitet als Malerin, Kunsthistorikerin und Journalistin, bis ihrem Schaffen in Deutschland durch die NS-Diktatur ein jähes Ende gesetzt wird. Als Jüdin bekommt sie ein Berufsverbot. 1933 emigriert sie nach England, arbeitet dort weiter künstlerisch und promoviert in London ein zweites Mal in Kunstgeschichte.
Frauen, die sich selbstbewusst
ihren Platz erkämpfen
Die Ausstellung „Städel | Frauen“ nimmt die Besucher:innen mit auf eine Zeitreise in eine Welt vor 100 Jahren. In der Kunst scheint mir die Gleichberechtigung angekommen zu sein. 80 % der Kunstschaffenden sind weiblich und nicht nur die Männer sind die, die auch Erfolg haben. Aber es gibt sie ja auch heute noch: Die Männerdomänen in unserer Gesellschaft, wo es die Frauen schwer haben und sich immer noch ihren Platz erkämpfen müssen. Da gibt es die gleichen fadenscheinigen Argumente, warum Frauen nicht gleichberechtigt sein können, die gleiche Attitüde von oben herab. Unwohl, fast peinlich berührt gehe ich durch die Ausstellung und bewundere die Frauen von damals: ihren Mut, ihren Erfindungsreichtum, ihre Intelligenz und ihren Durchhaltewillen. Frauen, die gesellschaftlich gesetzten Grenzen Zeit nicht akzeptieren, die selbstständig und gleichberechtigt leben und arbeiten wollen. Mir als katholischem Theologen kommen hier die Frauen in der katholischen Kirche in den Sinn. Wie sie auch heute Ungleichheiten anprangern und nicht müde werden, sich an einem veränderungsunwilligen System abzuarbeiten. Die sich selbstbewusst ihren Platz erkämpfen.
Wichtig und überfällig zugleich!
Lehrreich konzipiert, Mut machend und auch heute noch in vielen gesellschaftlichen Bezügen entlarvend ist diese Ausstellung. Und große Kunst ohnehin. „Work in progress“, so schreibt das Städel, das weiter forschen und seine Dauerausstellung auch im Blick auf diese Frauen ausbauen will. Damit solche Gruppenausstellungen für Frauen in Zukunft nicht mehr nötig sind, sondern Frauen in der Kunstgeschichte den Platz einnehmen, der ihnen gebührt. Ebenso wie in der Kirche. Auch hier gelten die Worte des „heute journals“: Wichtig und überfällig zugleich!
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Andreas Wörsdörfer arbeitet als Pastoralreferent in der Diözese Limburg und leitet in Frankfurt am Main die „KunstKulturKirche Allerheiligen – Forum für Moderne Kunst und Neue Musik“.
Quellen
Eva-Maria Höllerer: „Sie gehört zu den modernsten der Frauen“ Eva-Maria Höllerer in „Städel Stories“ https://stories.staedelmuseum.de/de/ottilie-w-roederstein-sie-gehoert-zu-den-modernsten-frauen
Lisa Berins: „Die Ausstellung „Städel Frauen“ in Frankfurt: Weibliches Muskelspiel“, Frankfurter Rundschau 9.7.2024, https://www.fr.de/kultur/kunst/die-ausstellung-staedel-frauen-in-frankfurt-weibliches-muskelspiel-93177498.html