In der alt-katholischen Kirche haben Frauen Zugang zu allen Ämtern, aber reicht das für eine umfassende Gleichstellung der Geschlechter? Katja Hericks ist dieser Frage in einer Studie nachgegangen. Hier stellt sie zentrale Ergebnisse vor.
Die alt-katholische Kirche gilt als eher progressiv und geschlechtergerecht. Dieses Bild prägt in weiten Teilen die Selbstdarstellung z.B. auf der Webseite. Als jedoch auf der Synode 2022 zwei Gemeinden den Antrag gestellt haben, eine Gleichstellungsbeauftragte zu installieren, wurde dieser letztlich nach interessanten Umkreisungen des ‘heißen Breis‘ abgewiegelt. Dem heißen Brei, d.h. der Frage, ob es Gleichstellungspolitik in der altkatholischen Kirche braucht, habe ich mich anschließend ehrenamtlich in einer qualitativen Studie gewidmet. Für die Studie wurden in Gruppen- und Einzelinterviews 30 Frauen* und non-binäre Personen, von der theologischen Laiin* bis zur hauptamtlichen Priesterin, von Abitur- bis Rentenalter und aus allen Dekanaten interviewt.
Zusammengefasst lautet die Antwort eindeutig ja, es braucht aktive Gleichstellungspolitik. Denn selbst die Zufriedensten unter den Interviewten sahen Geschlechtergleichstellung in der alt-katholische Kirche als unerledigte, z.T. ausgeblendete Aufgabe, die es aktiv anzugehen gilt.
Die alt-katholische Kirche wirkt egalitärer als sie ist
Vom übergewichtigen Kater Garfield gibt es einen Cartoon, auf dem er vor einem Nilpferd steht mit der Unterschrift „if you want to look thinner … hang around people fatter than you“. Dieses Prinzip funktioniert hervorragend für die alt-katholische Kirche, indem sie sich mit der Organisation vergleicht, die wie keine andere (zumindest in Europa) Frauen benachteiligt. Der Vergleich mit der römischen Schwester prägt die Außenwahrnehmung und -darstellung. Er findet sich aber auch bei den interviewten Frauen* selbst, da viele von ihnen Konversionserfahrung haben und dabei oft Verletzungen aus der römisch-katholischen Kirche mitbringen. Diese Frauen* nutzten den Vergleich, um ihre eigene Unzufriedenheit mit der alt-katholischen Kirche zu relativieren. Die alt-katholisch Aufgewachsenen dagegen akzeptierten diesen Maßstab nicht. Die alt-katholische Kirche geht damit das Risiko ein, eine Durchlaufstation über zwei Generationen zu sein: Mütter sind aus der Enttäuschung mit der römisch-katholischen Kirche eingetreten, Töchter treten aus Enttäuschung über die alt-katholische Kirche aus. Der Vergleich und das Ausruhen auf dem Erreichten kaschieren die Baustellen immer schlechter.
Frauen* wollen den männlichen Status Quo aufbrechen
Was die interviewten Frauen* sich von Kirche wünschen, ist nicht eine Anpassung an den männlichen Status Quo. Im Gegenteil fordern sie einen Abbau männlich kodierter hegemonialer Muster.
Formale Gleichberechtigung genügt entsprechend nicht; es geht um den Kern von Kirche: Glauben miteinander zu leben. Dabei ist jedes der drei Worte für sich zu betonen: Es geht darum, männliche Hegemonialität aus dem Glauben (Spiritualität), dem Miteinander (Umgang) und dem Kirchenleben (Arbeit und Ämter) zu verbannen. Stattdessen wünschen sich die Interviewten*:
- Offenheit für alle Menschen, aber auch für neue Räume, Gedanken, Praktiken, Gottesbilder und spirituelles Leben;
- Vielfalt sowohl der Gläubigen als auch spiritueller und nicht-spiritueller Praktiken und damit auch Vielfalt der Vorstellungen und Sprechweisen;
- Augenhöhe im Sinne von Gleichwertigkeit der Beiträge aller.
Diese drei Charakteristika können nur zusammen eine inklusive Kirche ergeben: Offenheit, d.h. die Einladung wird nur dann auch als ernstgemeinte wahrgenommen, wenn sie nicht nur für einen bestimmten Typ Mensch gilt. Diese Menschen müssen sich und ihre Unterschiede in Handlungen und Symbolen, Gesprächen und Gestaltungen widergespiegelt und gewürdigt sehen und zwar, indem alle diese als ebenbürtig wahrgenommen werden und die Menschen erleben, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Müssen sich Frauen einfach an den männlichen Status Quo anpassen, ist das genau das Gegenteil von Augenhöhe, Offenheit und Würdigung der Vielfalt und damit das Gegenteil einer Kirche für alle, wie die alt-katholische Kirche sich versteht.[1]
Doing church
Kirche erleben heißt für die Interviewten nicht einfach am Gottesdienst teilzunehmen und passiv zu partizipieren, sondern Kirche selbst zu machen, also aktiv gemeinschaftlich herzustellen, dabei wurden vor allem Plaudern, Renovierungsarbeiten, Putzen und Aufräumen genannt. Diese Tätigkeiten, die gegenüber dem spirituellen ‚Markenkern‘ eigentlich untergeordnet sind und in unserer Gesellschaft an un- oder unterbezahlte Frauen delegiert werden, wurden damit zum notwendigen, ebenbürtigen, würdigen Bestandteil von Kirche. Indem diese Tätigkeiten Kirche gemeinschaftlich herstellten, konnte für die Einzelnen Kirche zum Raum für erfüllende Spiritualität werden. Sie konnten das Nebeneinander in der Kirchenbank als Miteinander von Menschen, die sich respektieren und einander zugewandt sind, erleben. In diesem doing church wurden also die für Kirche üblichen Hegemonien aufgebrochen: Die Überordnung von Gottesdiensten über andere Aktivitäten, des sakralen Raums gegenüber dem Gemeinderaum oder dem eigenen Wohnzimmer, die Geistlichen über die Lai:innen. Vor diesem Hintergrund verwundert es fast schon nicht mehr, dass sich keine Unterschiede zwischen den Interviews von Pfarrerinnen*, ehrenamtlichen Priesterinnen*, Theologinnen* und theologisch Unbedarften zeigten und dass sie alle gleichermaßen forderten, das geistliche Amt vom Sockel zu stoßen.
Vitalität kann es nur als inklusive Kirche geben
Die Dekonstruktionen von Hegemonien korrespondieren mit dem Aufbrechen der Traditionalismusfalle, welche die evangelische Theologin Sabrina Müller als Vitalitätschancen von Kirche erkannt hat:[2] Kirche findet im Leben statt, nicht nur im Gottesdienst. Kirche findet überall statt, nicht nur in ‚der Kirche‘. Das Priestertum aller Gläubigen ersetzt die Pfarrzentrierung.[3]
Die Interviews in der alt-katholischen Kirche zeigen, dass traditionalistische Hegemonien nicht geschlechtslos sind, sondern cis-männlich, wenn auch nicht notwendig heterosexuell. Die aktive Beförderung hegemonialer Strukturen, mit denen Frauen* ausgegrenzt werden, wurde zwar nur bei einem kleineren Teil männlicher Geistlicher beobachtet. Diese Praktiken, in denen Männer sich Vormachtstellungen sichern können, setzen sich jedoch auf die Zahnräder selbstverständlicher, eingefahrener Strukturen auf, die inner- und außerhalb von Kirche Männer und männliche Muster bevorzugen: z.B. indem sie das (theologische) Wissen als objektive, rationale Wahrheit dem subjektiven Glauben und Fühlen überordnen und dabei Objektivität als männlich, Subjektivität als weiblich kodieren, oder indem ein paternalistisches Religionsverständnis und patriarchale Gottesbilder mit pfarrzentrierten Ritualen als einzig wahres Glaubensverständnis verknüpft und damit geschlossen wird. Die Gottesbilder, welche die Frauen* leben, erlauben dagegen keine Reduktion auf verkopfte Rituale, auf das eine wahre theologische Wissen und schon gar nicht auf einen rein männlichen Gott: Gott wurde vor allem mit Begriffen wie die Quelle, die Energie, die Liebe und das Leben belegt – schon grammatikalisch keine Maskulina. Vor allem aber sind diese Bilder keine Bilder hierarchischer, gewaltvoller Distanz und Bevormundung wie in patriarchalen Gottesvorstellungen.
Zusammen genommen zeigt sich in den Interviews also, dass die befragten Frauen* ein sehr lebendiges Verständnis davon haben, wie ein Miteinander als Kirche und ein für sie erfüllendes Erleben ihrer Gottesbeziehung funktioniert. Beides folgt aber nicht mehr hegemonial männlichen Mustern, sondern spricht dem Pfarramt, dem sakralen Gebäude und dem Gottesdienst ihre Vormachtstellung ab und bedeutet, dass die Frauen* Kirche dann z.B. einfach im Wohnzimmergespräch leben können. Vor diesem Hintergrund möchte ich die eingangs genannte Frage „Braucht die alt-katholische Kirche eine aktive Gleichstellung?“ noch einmal umformulieren: Wozu braucht die alt-katholische Kirche eine aktive Gleichstellung? Oder anders gefragt: Braucht es die Bemühungen wirklich für die Frauen* oder nicht vielmehr des kirchlichen Überlebens willens?
Dr. Katja Hericks, Soziologin mit den Schwerpunkten Geschlecht & Organisation sowie qualitative Sozialforschung, arbeitet als freiberufliche Sozialforscherin und coacht Forschungsprojekte. Ehrenamtlich ist sie als Synodale der Alt-Katholischen Kirche für die Gemeinde Berlin und als Vorständin der Wirtschaftsweiber engagiert.
Zur Studie sind ein Kurzbericht und ein ausführlicher Endbericht als pdf zu beziehen über katja.hericks@alt-katholisch.de. Die Autorin dankt Andreas Rauhut für die Einblicke in die Forschung zur Vitalität von Kirche.
[1] https://www.alt-katholisch.de/
[2] Vgl. Müller, Sabrina (2019): Fresh Expressions of Church. Dissertation. Theologischer Verlag Zürich; Universität Zürich. Müller, Sabrina (2024): Religiöse Erfahrung und ihre transformative Kraft. Qualitative und hermeneutische Zugänge zu einem praktisch-theologischen Grundbegriff. de Gruyter.
[3] Müller zitiert nach: Rauhut, Andreas (i.E.): Vitale Kirche nach der Entkirchlichung. Habilitationsschrift an der evangelischen Hochschule Tabor, Marburg
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