Der zugespitzten politischen Situation in Brasilien widerstehen die Mitglieder der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) der Diözese Münster in ihrer Partnerschaft mit 1.600 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Bundesstaat Paraiba. Bernd Hante berichtet vom Engagement junger Menschen über viele Grenzen hinweg.
Die Lage in Brasilien hat sich seit der Wahl von Bolsonaro bekanntlich in vielerlei Hinsicht zugespitzt: Freiheitsrechte werden eingeschränkt, kleine Sozialinitiativen erhalten weniger Geld, die Agrarreformbehörde INCRA hat keine Stimme mehr, die industrielle Landwirtschaft ist umso mächtiger. Die gesellschaftliche Spaltung Brasiliens wird durch die neue Regierung forciert. Gesellschaft wird moralisch gedeutet, und nicht mehr politisch betrachtet: Alles wird in gut und böse, richtig und falsch eingeordnet. Es wird definiert, wer dazu gehört und wer nicht. Unterstützt wird diese Entwicklung von den evangelikalen Kirchen, die u.a. ein Drittel des brasilianischen Fernsehprogramms beherrschen. Unter Berufung auf das Christentum inszeniert sich der Präsident als von Gott Gesandter. Der Befreiungstheologe Frei Betto hat die Strategie Bolsanaros kürzlich in 10 Punkten zusammengefasst.1
Wir bewegen das Land.
Die KLJB Münster begreift ihr Katholisch-Sein nicht rein konfessionell, sondern versucht, als kirchlichen Grundzug eine, heilige, katholische und apostolische Kirche zu leben. Sie fragt deshalb hartnäckig danach, wie Glaube verbinden und Brücken schlagen kann, und welche Fragen und Hoffnungen gerade im ländlichen Raum die Menschen im Norden und Süden, im Osten und Westen weltweit verbindet. Den Auftrag der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils hat sich die KLJB Münster mit ihrem Motto „Wir bewegen das Land“ zu eigen gemacht, und 2012 entschieden, diesen Auftrag mit der Partnerschaft zu brasilianischen Landwirt*innen über den regionalen Kontext hinaus international zu weiten. Mit Hilfe des Aktionskreises Pater Beda wurde der Kontakt zur Bischöflichen Kommission für Landpastoral CPT Sertao hergestellt.Die CPT und die „Bewegung der landlosen Bauern“ (MST) unterstützen die Bäuerinnen und Bauern bei Landkonflikten mit Großgrundbesitzer*innen und Behörden. MISEREOR arbeitet ebenfalls der regionalen Kleinbauernschule IRPAA zusammen, die Wissen vermittelt, „wie man mit Zisternen, Regenrückhaltebecken und unterirdischen Staudämmen Wasser speichert. In der Landwirtschaft setzt man auf Sorten wie Sorghum, die weniger Wasser benötigen. Die Tierhaltung wird auf Schafe und Ziegen umgestellt, die weit besser an das halbtrockene Klima angepasst sind als Rinder.“2
Für die KLJB Münster war die Entscheidung für die Partnerschaft trotz intensiver Beratungen mit dem Aktionskreis abenteuerlich, weil nicht wirklich abzuschätzen war, was da auf sie zukommt. Der Mut zum Experiment hat bisher sechs Begegnungen ermöglicht, vier in Brasilien, zwei in Deutschland. Die siebte startet im November 2019. Was hat sich nun in den Begegnungen und in den vergangenen Jahren hier und dort ereignet und entwickelt?
Lebenswirklichkeiten kennen lernen
Für die jungen KLJBler*innen war Brasilien 2012 ein unbekanntes Land. Nach intensiver Vorbereitung ging es im November 2012 los: 16 junge Menschen waren gespannt wie ein Flitzebogen, und den brasilianischen Gastgeber*innen ging es genauso. Diese Spannung war schnell verflogen, vielleicht haben junge Menschen vom Land eine ähnliche Mentalität bei allen kulturellen Unterschieden. In den ersten beiden Jahren besuchten wir fast alle 16 Siedlungen, erlebten Fragen und Aufbrüche. Das Leben ist einfach, zufrieden und fröhlich. Bei aller Beschwernis des Alltages gab es viel Zeit miteinander. Wir besuchten Schulen, um das Bildungssystem in Brasilien kennenzulernen. Es gibt z.B. kein duales Berufsbildungssystem. Haben überhaupt alle Zugang zu Bildung? Wie kommen Kinder von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zum Abitur und an die Universität? Welche Art der Landwirtschaft bevorzugen diese Landwirt*innen? Größe und Technisierung der Betriebe sind nicht mit der Landwirtschaft in Deutschland vergleichbar, doch die Fragestellungen nach der Zukunft auf dem Land, gibt es dort wie hier.
Gastfreundschaft verändert, baut Ängste ab und schenkt Vertrauen und Sicherheit.
Im Jahr 2014 haben wir unseren Partner*innen, die mittlerweile zu Freund*innen geworden sind die Lebenswelten unserer Jugendlichen gezeigt: von der Schule zur Universität, von der Ausbildung bis zum Beruf. Die brasilianischen Jugendlichen gaben uns als Feedback: deutsche Jugendliche müssen für ihr Einkommen eine Menge leisten.
In den Begegnungen 2016 bis 2018 wurde neben den Lebensumständen auch die persönliche Situation der Familien erlebt, es wurde intimer: Zwei Tage lebten alle Reiseteilnehmer*innen in einer brasilianischen Familie. Wo und wie seid ihr, sind wir aufgewachsen? In den Siedlungen der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wird Familie groß geschrieben, eine große Ähnlichkeit zur westfälischen Kultur. Alle Sprachbarrieren konnten mit Sympathie und Annahme überwunden werden. Gastfreundschaft verändert, baut Ängste ab und schenkt Vertrauen und Sicherheit.
Miteinander planen, bauen, lernen.
Die KLJB ist ein Verband mit vielen praktisch veranlagten Mitgliedern. Das haben wir in unseren Begegnungen genutzt. Das Bildungszentrum der CPT war im Jahr 2011 durch eine Explosion im Nachbarhaus sehr in Mitleidenschaft gezogen. So haben wir uns mit unseren brasilianischen Freund*innen an die Arbeit gemacht, das Zentrum wiederaufzubauen. Für das Workcamp 2013 hatte die CPT geplant, mit uns gemeinsam das Dach für einen Versammlungsraum zu bauen. Die Zimmerleute und Elektriker*innen in der KLJB brachten ihre Kompetenz beim Umsetzen des Bauvorhabens ein und gaben ihr Wissen an die brasilianischen Arbeiter*innen weiter. In Brasilien gibt es keine entsprechenden Ausbildungsberufe. In der Vorbereitung der hatten wir bereits überlegt, wie wir nicht als „Besserwisser*innen“ dastehen können. Unsere Befürchtungen waren völlig unbegründet: Bevor die Arbeit begann, gab es immer ein großes Planungsgespräch und unsere Gastgeber*innen hatten immer den Hut auf. Wir steuerten unsere Ideen bei. Die Besprechung dauerte so lange bis allen klar war, was jetzt der nächste Schritt ist. Schablonen wurden für den Zuschnitt der Hölzer gefertigt, die Hölzer zugeschnitten, gehobelt, und dann die ersten Konstruktionen auf dem Boden zusammengelegt. Das sah oft so aus, als arbeiteten nur einige und andere standen drum herum. Doch der Eindruck täuscht: alle arbeiteten, die einen demonstrierten die Schritte und die anderen lernten. Das wiederholte sich immer wieder an diesen Tagen des Workcamps. So geht Lernen auf Augenhöhe.
Lernen ist nicht die Übernahme von Technik, sondern die Transformation in den kulturellen Kontext.
Im Jahre 2014 lernten unsere brasilianischen Freund*innen die Konservierung von Futtermitteln bei dem Besuch in Deutschland kennen. Sie erkundigten sich bei den jungen Bäuerinnen und Bauern genau, wie das geht, eine Silage aus Mais anzulegen. Bei unserem Besuch 2016 erlebten wir die Umsetzung in Brasilien. Die Hexelmaschine war klein, der Haufen wurde festgetrampelt, doch das Prinzip war umgesetzt entsprechend ihrer Strategie. Lernen ist nicht die Übernahme von Technik, sondern die Transformation in den kulturellen Kontext.
Je länger die Freundschaft andauert, desto mehr wächst der Wunsch bei den brasilianischen Jugendlichen, sich selbst besser vertreten zu können. Sie möchten mehr über den Aufbau und die Arbeit des Verbandes der KLJB wissen. Das war ein Schwerpunkt der Begegnung im Jahre 2018 in Deutschland. Das konkrete Erleben der Ortsgruppen und der Netzwerkarbeit im Verband. Zurzeit wird geplant, wie das in dem Projekt der CPT aussehen kann. Eine Tagung zum Thema: Juventudo e participacao. (Freundschaften pflegen) hat bereits stattgefunden. Social Media und Digitalisierung machen es möglich, zwischen den Begegnungen in Kontakt zu bleiben. KLJBler*innen haben inzwischen auch eigenständig das Projekt für vier bzw. zwölf Wochen besucht und in Familien mitgelebt.
In den Begegnungen entstehen politische Netzwerke.
Während der Besuche in den Jahren 2016 und 2017 hat die KLJB die staatliche Agrarreformbehörde INCRA kennengelernt und eine Einladung nach Deutschland ausgesprochen. 2018 konnte ein umfangreiches Besuchsprogramm in Westfalen gemeinsam absolviert werden, bei Bauernfamilien bis zu Verbänden, von Tierhaltung und Ackerbau bis zur Agrartechnik, von der Kammer über das NRW-Landwirtschaftsministerium NRW bis zur politischen Ebene in Berlin. Jeder Tag war ein Entwicklungsschritt zu mehr gegenseitigem Vertrauen.
Und natürlich lernen sich die Freund*innen auch persönlich anders kennen, bauen Vorurteile und (Feind-)Bilder voneinander ab und gemeinsame Perspektiven und Visionen für die Weiterentwicklung kleinbäuerlicher Agrarreformen auf. Ein wichtiger Baustein im Begegnungsprogramm ist der Austausch mit dem KLJB-Diözesanvorstand, in dem die Zukunft junger Menschen im ländlichen Raum und was sie selbst dafür leisten im Vordergrund steht. Auch hier jeder Begegnungstag ein weiterer Schritt: Vertrauen ineinander ist gewachsen.
Gemeinsame Bildung und Politik
Bildung lebt von Menschen, die sie entwickeln. Die Bildungsarbeit der Landvolkshochschule Freckenhorst und die der KLJB im Bistum Münster wurde kombiniert mit der Bildungsarbeit in Brasilien, und es ist der Wille gereift, ein gemeinsames Bildungsformat zu entwickeln. Am Ende der Reise von Freckenhorst bis Berlin waren die Verantwortlichen der INCRA und der Projekte in ihrer gemeinsamen Zielvorstellung der Agrarreform Brasilien deutlich zusammengerückt: Im Gespräch mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wurden gemeinsame Ziele benannt und ich hoffe, dass diese Gespräche auf der Arbeitsebene zwischen Deutschland und Brasilien fortgesetzt werden.
Spirituell verwurzelt.
Unsere erste Begegnung in Brasilien begann mit der biblischen Geschichte der Hochzeit zu Kana. Es sollte ein Fest miteinander werden, und es war klar, jeder und jede trägt dazu bei. Und die gemeinsame Basis ist das Evangelium. Immer wieder gibt es bei unseren Begegnungen diese fruchtbaren und verbindenden Unterbrechungen. Sie geben unseren Erfahrungen Tiefe und Verbundenheit, Hoffnung und Energie. Ein Höhepunkt war die Taufe des Jugendlichen Ewaldo im Jahre 2017. Im November dieses Jahres werden wir die Hochzeit von Debora miteinander feiern. Sieben Jahre Freundschaft haben eine breite Wirkung im Verband erzielt. Ortsgruppen fragen nach den Erfahrungen, gestalten Aktionen, um diese Partnerschaft ideell und materiell zu unterstützen. Themen wie Gerechtigkeit und Frieden finden Ausdruck vor Ort.
Die Amazonassynode steht an, und ich hoffe, es werden für die Kirche in Lateinamerika Perspektiven für das kirchliche Leben und ihre Arbeit nach innen und außen gefunden. Die Erfahrungen der KLJB im Bistum Münster zeigen:
- Die Kirche hat einen großen Schatz: ihr globales Netzwerk. Sie kann Menschen in unterschiedlichen Kulturen verbinden. Mehr als 60 Jugendliche der KLJB haben Brasilien besucht und zuhause, in ihren Ortsgruppen von den Erfahrungen erzählt. Wir können in der Kirche danach fragen und suchen, was diese Welt zusammenhält.
- Partnerschaften können Türen öffnen, im sozialen und im politischen Bereich.
- Wenn junge Menschen beteiligt sind, bringen sie etwas in Bewegung. Sie sind nicht nur unsere Zukunft, sie sind vielmehr unsere Gegenwart. Das ist eine wichtige Erfahrung für die Jugendlichen auf beiden Seiten.
- Und der Sinn unserer Kirche leuchtet auf: Wir beteiligen uns an der Gestaltung des Miteinanders und der Welt.
Im November 2019 gehen wir gemeinsam den nächsten Schritt: Vertrauen wächst.
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Autor: Bernd Hante, Diözesanpräses für KLJB und KLB im Bistum Münster, geistlicher Rektor der LVHS Freckenhorst, Schwerpunkte der Arbeit: Bildung, Verbände, ländlicher Raum, Internationales, Agrar und Ökologie/Nachhaltigkeit.
Bilder: Bernd Hante