Nicht über den misslungenen Jargon der Kirche klagen, sondern zum wirksamen Kern der Gottesrede vorstoßen. Darum geht es Andreas Knapp. Georg Langenhorst stellt den Priester, geistlichen Dichter und mystischen Gotteslehrer vor.
„Gott ist ein Wirkwort: Die Nennung seines Namens will uns nicht informieren, sondern erschüttern, beglücken, bekehren.“ Religiöse Rede ist im Kern nicht beschreibend, erklärend oder informierend, sie will vielmehr etwas „bewirken“[1]. Der Verfasser dieser Worte, Andreas Knapp (*1958), gilt selbst als wirkmächtigster geistlicher Dichter des deutschen Sprachraums der Gegenwart. Seine Texte bewirken genau das, was er im Zitat beschreibt: Sie öffnen den Raum für spirituelle Momente des Innehaltens, der Besinnung, der Gottesbegegnung. Andreas Knapp ist ein mystischer Gotteslehrer unserer Zeit.
Abbrüche um anzukommen: Biographische Spuren
Schon sein Lebenslauf ist ungewöhnlich: Alles lief auf eine glänzende katholische Kirchenkarriere hinaus: Theologiestudium in Freiburg und Rom, Priesterweihe, Promotion, Tätigkeiten als Hochschulpfarrer, dann als Regens des Freiburger Priesterseminars. Unversehens der Bruch, der bei genauem Hinsehen keiner war, sondern sich untergründig angedeutet hatte. Knapp wendete sich ab von dem vorgespurten Weg in die kirchliche Hierarchie und schloss sich den „kleinen Brüdern vom Evangelium“ an, einer geistlichen Gemeinschaft, die sich dem spirituellen Erbe Charles de Foucaulds (1858-1916) verpflichtet weiß. Mehrere Jahre lang verbrachte er als Armer unter Armen in Frankreich und Bolivien. Seit einiger Zeit lebt er nun in Leipzig, arbeitete lange Zeit mit halber Stelle als Packer in einem Verlag, jetzt erneut in Teilzeit als Gefängnisseelsorger. Er ist zugleich ein Priester und Poet, ein Pfarrer und Schriftsteller, ein Arbeiter mit Hand, Stift und Seele.
Lebenslauf – und unversehens der Bruch
Mehrfach hat er von seinem aktuellen Leben in einem entchristlichten Kontext erzählt.[2] Von der kleinen Brudergemeinschaft in der seelenlos erscheinenden Anonymität riesiger Plattenbauten. Von der Verwunderung, die dort diese Lebensweise, ihre Rituale, ihre unverständlichen Sprachspiele hervorruft. Hier denkt er über die zeitgenössische Theo-Logie, über ein angemessenes Reden von Gott nach. Hier entstehen seine Verse. Andreas Knapps Gedichte zählen gegenwärtig zu den am weitesten verbreiteten und sprachlich eindrucksvollsten Beispielen von spiritueller Poesie.
Leben in einem entchristlichten Kontext – hier Gottesrede üben
Im Würzburger Echter-Verlag sind seit der Publikation von „Weiter als der Horizont. Gedichte über alles hinaus“ (2002) mehrere Gedichtbände erschienen, inzwischen zum größten Teil in immer wieder neuen Auflagen. 2017 veröffentlichte Knapp zuletzt einen Band mit „Naturgedichten“ unter dem Titel „Beim Anblick eines Grashalms“. Doch er publiziert auch andere Bücher: etwa den Glaubensführer für unsere Zeit „Glaube, der nach Freiheit schmeckt“ (zusammen mit Melanie Wolfers 2009), konzipiert als „Einladung für Zweifler und Skeptiker“. Oder das „spirituelle Tagebuch aus der Wüste“ „Lebensspuren im Sand“ (2015). 2016 erschien sein Zeugnis über „Die letzten Christen“, ein erschütternder Bericht über „Flucht und Vertreibung aus dem Nahen Osten“.
Poesie wird bei Andreas Knapp nicht zur Flucht
Zahlreiche Bände sind seit 2002, oft in immer wieder neuen Auflagen, erschienen. Knapp scheut auch schwierige Themen nicht. Nein, Poesie ist für Andreas Knapp keine Flucht in die Welt der Ästhetik. Sein bedingungsloser Einsatz gilt den religionslosen Menschen seiner Umgebung, dem Wohl der von ihm betreuten Gefangenen, den aus ihrer Heimat vertriebenen Christen aus Syrien und dem Irak. Mystik und Politik – in gut befreiungstheologischer Tradition sind sie auch bei Andreas Knapp kein Gegensatz, sondern bedingen einander.
Theo-Poesie als angemessene Form der Gottesrede
Wie aber kann man mitten in dieser Welt von Gott reden? Wie funktioniert das, Theo-Logie hier und heute? Knapp weist einen sehr spezifischen Weg. Seine poetischen Texte sind unmittelbare geistliche Lyrik, immer wieder zentral bezogen auf die Bibel oder das Kirchenjahr, auf Heilige oder auf religiöses Brauchtum. Seine Bände bestehen aus Meditationen, Natur- und Alltagsbetrachtungen, aber auch aus explizit geistlichen Reflexionen, Gedankenpoesie oder lyrischen Gebeten. All das setzt einen religiös gedeuteten Kosmos voraus und zielt in eine religiös gedeutete Welt hinein, sei es als Einladung für von außen kommende Neugierige, sei es als Hallraum für Gläubige. Die Rezeption dieser Bände erfolgt bislang vor allem im binnenkirchlichen, noch präziser: im katholischen Milieu. Dort freilich erfreuen sich die Texte des Priesterpoeten großer Beliebtheit.
Rezeption vor allem im katholischen Milieu
Und das völlig zu Recht. Knapp weiß, was Sprache heute kann und darf. Der im gleichen Kontext lebende und arbeitende evangelische Pfarrer und Dichter Christian Lehnert weist darauf hin, dass die „poetische Sprache […] in Bildern und Metaphern Räume erkundet, die noch nicht Sprache geworden sind“. Gerade so hält sie die Spannung aufrecht „zwischen dem, was gesagt wird, und dem was ich nicht sagen kann“. Sie ist als Urform religiöser Rede eine „Suche nach Worten“, „suchend, nicht erklärend […], öffnend, nicht benennend.“[3] Eine erstaunliche ökumenische Begegnung im entchristlichten Kontext: Zwei Dichterpfarrer teilen die Einsicht, dass Theo-Poesie die einzig glaubwürdige Art der Gottesrede darstellt.
Ein Sprach- und ein Gottsucher, der gleichzeitig sucht und bereits gefunden hat
Was zeichnet diese Sprache aus? Andreas Knapp fällt nicht zurück in inhaltliche oder formale Vorgaben der klassischen christlichen Literatur der 1950er Jahre, die damals ihre Stimmigkeit und Passgenauigkeit hatten, heute aber fragwürdig, anbiedernd und klischeehaft wirken müssten. Keine Rückkehr zu einer kirchlichen Bestätigungsdichtung, keine Rückwendung zu weitgehend verbrauchten lyrischen Stilmitteln wie Reim, Strophik, stereotypen Bildworten. Knapp ist ein Sprach- und ein Gottsucher, der gleichzeitig sucht und bereits gefunden hat – sowohl eine Sprache, denn seine Gedichte sind in einem nun schon klar erkennbaren ‚Knapp-Ton‘ gehalten, als auch den Glauben, denn seine Texte verbleiben nicht in Zweifel und Unbestimmtheit, sondern wagen Affirmation und Bestätigung
Ostern verdichtet
Betrachten wir als aussagekräftiges Beispiel einen Text, der erstmals 2014 im Band „Heller als Licht“[4] erschien:
osterspaziergang
in aussichtsloser nacht
ein totenlicht ans grab bringen
aufbruchstimmung am wegrand
es knospen die ersten kreuzblütler
wer aber wälzt
den stein vom herzen
der neue morgen öffnet mir
engelgleich die augen
bei licht besehen
ist das grab kein endlager mehr
überwältigt betrete ich
den aufwachraum ins unbegrenzte
In diesen reimlosen Doppelversen geht es um das klassische Motiv eines Osterspaziergangs. Elemente des Besuchs der biblischen Erzählung um die Frauen am Grab klingen an. Sie mischen sich mit heutigen Perspektiven. Die doppelte Zeitebene zeigt sich schon im ersten Zweiervers. Der frühmorgendlich-nächtliche Gang zum Grab dient nicht mehr der – in unserem Kulturraum unüblichen – Salbung mit Ölen, sondern dem Aufstellen eines Grablichtes. Der vom ersten Tageslicht ermöglichte Blick fällt auf den Wegesrand, wo Blumen erste Knospen treiben. Aufgerufen wird so eine Frühlingsstimmung, ein Neuanfang, symbolisiert im Erwachen der Natur. Dass ausgerechnet „Kreuzblütler“ benannt werden – also etwa Blaukissen oder Levkojen, durchaus mögliche Grabblumen – hat primär symbolische Bedeutung. Dem Kreuz wachsen Blüten, aus dem Kreuz erwächst Leben…
In der dritten Versgruppe wendet sich der Blick nach innen. Die Aufbruchsstimmung betrifft die eigene Spiritualität. Ja, auch hier gilt es einen Stein fortzuwälzen, aber es ist der Stein unserer Herzen. Was hindert unsere Herzen daran, in der Wahrheit zu ‚brennen‘? Mit dieser Frage endet der erste Teil des Gedichts.
Die drei folgenden Doppelverse zeigen Perspektiven auf. Es bleibt nicht bei der poetischen Problemschilderung und Frage, sondern gleitet über zu angebotenen Leitlinien. Wie den Emmaus-Jüngern, so werden auch uns die Augen geöffnet zum wahren Sehen. Als sei es durch das Wirken von Engeln. Deren ‚tatsächliches Erscheinen‘ es dazu nicht braucht. Im Licht des Ostermorgens kann man anders sehen lernen. Alles. Das ganze Leben. Und über die Grenzen des Todes hinaus. „Bei Licht besehen“ ist alles anders. Gerade auch der Blick auf den Tod. „Kein Endlager“, weder im Blick auf Jesus, noch für uns. Das ist der Osterglaube. Die Zumutung, der Zuspruch, die neue Sicht des Neuen Testaments.
Der Osterglaube, die Zumutung
Was bedeutet Ostern für heute? Im letzten Doppelvers schildert das Gedicht die mögliche Konsequenz, vorgeprägt durch den Gedichtsprecher. Er ist „überwältigt“, verändert wie Maria Magdalena vor dem Grab. Wohin führt sein Weg an diesem Ostermorgen, wohin lädt er zum Mitgehen ein? In den „Aufwachraum ins Unbegrenzte“. Das verspricht Ostern: Aufzuwachen zu einer neuen Art, das Leben zu sehen. Den Blick zu ändern auf eine Unbegrenzheit, in welcher der Tod vieles verändert, aber nicht alles. Herzvertrauen zu spüren, dass Gott die Grenzen unseres Sehens, Denkens und Vorstellens sprengt, gerade im Blick auf ein ‚ewiges Leben‘.
Preisgekrönte Sprachwege in die Freiheit
Das Beispielgedicht zeigt: Andreas Knapp nimmt uns hinein in das Geheimnis Osterns, das jegliche Dogmatik, jegliche Philosophie, jeglichen benennenden Zugriff sprengt. Ihm zufolge kann allein die Dichtung die möglichen Räume eröffnen, um eine Einfühlung in dieses Geheimnis zu erschließen. So sehr Gott ein ‚Wirkwort‘ ist, so sehr erschließt es sich heute in den Worten der Poesie. Darin liegt das Herzstück der Theo-Logie. So wird der Priester-Poet zum theologischen Sprachlehrer.
Gründe genug, um sein Werk nicht nur zu lesen, sondern auch auszuzeichnen.
Am 11.03.2018 wird Andreas Knapp in Luzern mit dem Preis für „Freiheit in der Kirche“ der Herbert Haag Stiftung ausgezeichnet.[5] Eine gute Wahl der Jury: Knapps Texte sind Freiheitswege auf der Suche nach einer zeitgenössisch überzeugenden Gottesrede.
—
Georg Langenhorst ist Professor für Didaktik des Katholischen Religionsunterrichts/Religionspädagogik an der Universität Augsburg.
Bild: Joao Silas / unsplash_com
Einige Titel von Andreas Knapp:
Im Würzburger Echter-Verlag sind seit der Publikation von „Weiter als der Horizont. Gedichte über alles hinaus“ (2002) mehrere Gedichtbände erschienen, inzwischen zum größten Teil in immer wieder neuen Auflagen. 2017 veröffentlichte Knapp zuletzt einen Band mit „Naturgedichten“ unter dem Titel „Beim Anblick eines Grashalms“. Doch er publiziert auch andere Bücher: etwa den Glaubensführer für unsere Zeit „Glaube, der nach Freiheit schmeckt“ (zusammen mit Melanie Wolfers 2009), konzipiert als „Einladung für Zweifler und Skeptiker“. Oder das „spirituelle Tagebuch aus der Wüste“ „Lebensspuren im Sand“ (2015). 2016 erschien sein Zeugnis über „Die letzten Christen“, ein erschütternder Bericht über „Flucht und Vertreibung aus dem Nahen Osten“.
[1] Andreas Knapp: Sucht neue Worte, das Wort zu verkünden. Gedanken und Gedichte aus dem Weg zu einer neuen religiösen Sprache, in: euangel. magazin für missionarische pastoral 1/2017, S. 1-13, hier: S. 11.
[2] Vgl. www.feinschwarz.net/die-erdichtung-gottes-poetische-annaeherungen.
[3] Christian Lehnert: „Glaube lässt sich nicht in Dogmen verfestigen“. Gespräch, in: Herder Korrespondenz 6/2017, S. 19-23, hier: S. 19f.
[4] Andreas Knapp: Heller als Licht. Biblische Gedichte (Würzburg 2014), S. 51. Zum Hintergrund: Georg Langenhorst: Auferweckt ins Leben. Die Osterbotschaft neu entdeckt (Freiburg 2018).
[5] Vgl. www.herberthaag-stiftung.ch.
Weitere Artikel zum Thema auf feinschwarz.net:
Die Erdichtung Gottes. Poetische Annäherungen an den christlichen Glauben
„Literatur ist mächtig, weil das Wort nie an Kraft einbüßt.“