Mit der Taufe besitzen Frauen und Männer alles Entscheidende, um in Gottes Gegenwart zu leben, glaubt Markus Himmelbauer.
Der Priestermangel verunsichert. Manche Gläubige befürchten, ohne Priester könnten sie keine christliche, ja katholische Gemeinde sein, weil ihnen das Wesentliche fehlt. Damit meinen sie vor allem die Eucharistie. Ich sehe zwei Fragen dahinter: Was ist der Weltdienst der Christinnen und Christen wert, wenn „das Religiöse“ als das vermeintlich Eigentliche fehlt? Und: Gibt es „das Religiöse“ ohne Priester?
Jeder Tag ist Gottesdienst.
In diesem Jahr haben wir an den Sonntagen die Feldrede des Lukasevangeliums gehört. Jesu Worte drehen sich um das Verhältnis von Arm und Reich, um Feindesliebe, es geht um Heilung und Barmherzigkeit und darum, mit Gottes befreiender und liebender Gegenwart, – denn das ist es, was „Glauben“ meint, – genauso zu rechnen, wie einem Haus mit solidem Fundament zu vertrauen. Jesus fordert keine religiösen Übungen, fordert keine Gottesdienste und auch nicht das Wissen um Glaubenswahrheiten, präzise wie im Katechismus. Der Alltag hat religiöse Bedeutung; wir können erkennen, erschließen, erkennbar und sichtbar machen, wie dieser Alltag von Gottes Gegenwart durchströmt ist oder durchströmt sein kann. Das gilt es zu sehen: für uns als Kirche, dass der Gottesdienstbesuch nicht das einzige Kriterium für die Nähe des Ewigen ist; und zur Ermutigung der Menschen, wie wertvoll ihr tägliches Leben ist.
Das Volk Gottes ist das Subjekt.
Und doch, was ist das spezifisch „Religiöse“: Gebet, Liturgie und Eucharistie? Benedikt XVI. förderte das Beispiel des Heiligen Pfarrers von Ars1, Papst Franziskus jedoch warnt immer wieder vor Klerikalismus2: Klerikalismus sei eine „anomale Verständnisweise von Autorität in der Kirche“. Franziskus beschreibt ihn als jene Haltung, die „nicht nur die Persönlichkeit der Christen zunichte [macht], sondern dazu [neigt], die Taufgnade zu mindern und unterzubewerten, die der Heilige Geist in das Herz unseres Volkes eingegossen hat“.
Klerikalismus als anomale Verständnisweise von Autorität in der Kirche.
Klerikalismus beginnt nach Rainer Bucher dort, wo das Interesse sich auf den Priester richtet, auf Struktur und Stand, und nicht auf das Volk Gottes, für das Priester ja da sind.3. Klerikalismus ist eine Haltung von Priestern. Und ich setze dazu: Aber auch das Volk Gottes kann einem Klerikalismus anhängen, wenn es die Heilsgewissheit weder von Gott noch aus der alle verbindenden Taufe erwartet, sondern allein von der Berechtigung des Priesters, die Eucharistie zu leiten.
Mit dem Konzilstext Sacrosanctum Concilium (48) feiert die Gemeinde selbst und aktiv den Gottesdienst. In den Zeiten davor hat sie nur empfangen, was ein Priester durch seinen Vollzug des Ritus vermittelt hat. Ohne ihn wären die Gläubigen wörtlich heil-los gewesen. Die Gläubigen bringen sich selber dar, ihr Leben als Opfergabe, sie werden selbst zur Eucharistie, gemeinsam mit dem Priester. Das Volk Gottes aus allen Getauften ist Subjekt des Glaubens geworden: „An der Liturgie teilzuhaben, ist ein kirchliches Amt. Es wird durch die Taufe übertragen. Die [Liturgie-] Reform hat also die Gemeinde wieder in ihr Amt eingesetzt, das ihr lange Zeit vorenthalten worden war.“4
Nicht mehr angemessen, von Laien in der Kirche zu sprechen.
Nach meinem Verständnis ist es daher heute nicht mehr angemessen, von „Laien in der Kirche“ zu sprechen5, es ist eine Tautologie, weil es dasselbe bezeichnet. Etwa wie: Die Rolle des Wassers im Attersee oder die Bedeutung der Steine im Gebirge. Der See ist Wasser, die Berge sind Steine und die Kirche sind Laien. Papst Franziskus sagt: „Niemand wurde zum Priester oder zum Bischof getauft. Wir sind zu Laien getauft.” Und weiter: „Der Klerikalismus vergisst, dass die Sichtbarkeit und die Sakramentalität der Kirche zum ganzen Gottesvolk gehören (vgl. LG 9-14) und nicht zu einigen wenigen Auserwählten und Erleuchteten.”6
Das Lebensnotwendige bereitstellen!
Nun lehrt die römisch-katholische Kirche, die Eucharistiefeier sei Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens. Das wird gerne verglichen mit der Nahrung und mit der Luft, die uns unentbehrlich sind. Damit man diese menschlichen Grundbedürfnisse auch in unterschiedlichen und extremen Lebenssituationen befriedigt, hat man sich alles Mögliche einfallen lassen: ob beim Tauchen, bei der Mondlandung oder bei Patientinnen und Patienten im Wachkoma; an technischen Geräten und auch bei den Rahmenbedingungen im Umweltschutz, damit Nahrung und Luft nicht krank machen: Das braucht der Mensch unter allen Umständen, wo auch immer. Es genügt hier nicht einfach zu sagen: Essen, das sind Brot, Obst und Schnitzel, und Atmen ist das, was uns hier ganz selbstverständlich durch die Lunge geht. Alles andere ist in der Schöpfungsordnung nicht vorgesehen. Darum dürfen wir darüber auch nicht nachdenken und verfügen. Also keine Mondlandung und keine Ernährung durch eine Sonde.
Jüngst verwies ein verdienter bischöflicher Hirte mich auf einen Gedanken aus dem Konzilsdekret Christus Dominus (15) über die Hirtenaufgabe der Bischöfe. Er lautet: „Bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu heiligen sollen die Bischöfe bedenken, dass sie aus den Menschen genommen und für die Menschen bestellt sind in ihren Angelegenheiten bei Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen. … Unablässig sollen sie sich daher bemühen, dass die Gläubigen durch die Eucharistie das österliche Geheimnis tiefer erkennen und leben, so dass sie einen festgefügten Leib in der Einheit der Liebe Christi bilden.“
Bischöfe sind aus den Menschen genommen.
Zunächst hier der Verweis auf das Eingebunden-Sein des Amtes in alle Menschen und dann die Verpflichtung zu „unablässigem Bemühen“, den Gläubigen die Eucharistie zu ermöglichen. Hier hätten die Bischöfe versagt, meinte mein Gesprächspartner. Sie nehmen ihre Verpflichtung nicht wahr. Anstatt wie beim Beispiel von Luft und Nahrung zu überlegen, wie ich sie in besonderen (Not-)Lagen dorthin bringen kann, wo sie gebraucht werden, hätten die Bischöfe der vermeintlich vorgegebenen Ordnung mehr Gewicht gegeben als dem, was sie den Gläubigen schuldig wären.
Vielfache Gegenwart Gottes
Viele Gemeinden haben daher heute keinen Zugang zum Lebensnotwendigen, zur Eucharistie. Man kann dies beklagen oder man kann selbstbewusst aus dem reichen Schatz anderer Möglichkeiten der Begegnung mit dem Ewigen schöpfen. Gott ist erfahrbar, wo immer zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind; gegenwärtig im Anderen, in Werken der Nächstenliebe; gegenwärtig im Lobpreis und im Gebet in seinen vielfältigen Formen: im Stundengebet, Maiandachten, Rosenkranz und im Totenwachten, im persönlichen Morgen- oder Abendgebet; dort wo Segnung und Heilung geschehen; dort wo Vater und Mutter geehrt und die Gebote gehalten werden; wo Gerechtigkeit und Frieden vorbereitet werden und hoffentlich sich durchsetzen und wo kein Glied der Schöpfung ausgebeutet wird; präsent durch den Beistand der Heiligen Geistkraft im einzelnen Gläubigen und in der heiligen Gemeinde Gottes; erfahrbar im Studium und Hören der Heiligen Schriften. Das alles ist gute Lehre der biblischen und kirchlichen Tradition. Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos nennt die Familie eine Kirche im Kleinen, also einen Ort der Gottesbegegnung. Und wie in der sakramentalen Ehe und in der Familie als „Kirche im Kleinen“, so eröffnet das hier aufgezählte Gottesbegegnung ohne priesterlichen Beistand.
Kein Rechnen in Glaubensdingen!
In Glaubensdingen soll man nicht rechnen. Gott ist da – oder er ist nicht da. Es sind ja ohnedies immer nur Ausschnitte, die uns seine Größe erahnen lassen. Darum wären auch alle Zahlen auf einer Skala völlig unangemessen, welche dieser Formen uns mehr oder weniger weit hin zur Nähe Gottes führt – ganz oben angeführt von der Heiligen Messe. Auch ohne Messe haben wir immer 100 Prozent.
Unsere Kirche kennt selbst die eucharistische Präsenz Christi unabhängig von der Anwesenheit eines Priesters. Sie bleibt erhalten in der konsekrierten Hostie: Das Vierte Laterankonzil definierte 1215 diese bleibende Gegenwart Christi in der Eucharistie. Die damalige Entscheidung bekommt heute eine ganz neue Aktualität in Wort-Gottes-Feiern, bei denen die Gläubigen mit der Heiligen Kommunion eine besondere Stärkung und Gottesnähe erfahren. Der stärkende und Gemeinschaft fördernde Aspekt der Eucharistie bleibt auch ohne direkt vorhergehende Wandlungsworte erhalten: Gottes Gegenwart ist das Entscheidende!
Ich will Priester nicht verdrängen. De facto allerdings gibt es sie in der bisherigen Form bei uns immer weniger und ihre Zahl wird in den kommenden Jahren bei uns wohl weiter abnehmen. Mit meinen Überlegungen will ich unsere Kirche, unsere Pfarrgemeinden und den Glauben der Einzelnen stärken: Gott ist da! Es gibt die Fülle geistlichen Lebens in vielfältigen Formen, die sowohl Tradition als auch das Konzil vorbereitet haben und an deren Ernstfall wir nun stehen. Wenn wir bei einer Bergwanderung unsere Jause teilen, ein Dankgebet für Gottes Größe, für seine überwältigende Natur und für unsere Bergkameradschaft sprechen – wie sollen wir es nennen? Nun, es ist keine Eucharistie im traditionellen Verständnis – und doch bringt es ein Stück Himmel auf die Erde und beschenkt uns mit der vollen Gegenwart Gottes.
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Autor: Markus Himmelbauer, Pfarrassistent (Leitender Seelsorger) der Pfarre Wolfsegg am Hausruck/ Diözese Linz, Oberösterreich.
Bild: Markus Himmelbauer
- 05.08.09, http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090616_anno-sacerdotale.html, Schreiben von Papst Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres „Oh, wie groß ist der Priester! … Wenn er sich selbst verstünde, würde er sterben … Gott gehorcht ihm: Er spricht zwei Sätze aus, und auf sein Wort hin steigt der Herr vom Himmel herab und schließt sich in eine kleine Hostie ein … Ohne das Sakrament der Weihe hätten wir den Herrn nicht.“ ↩
- 20.08.18, http://w2.vatican.va/content/francesco/de/letters/2018/documents/papa-francesco_20180820_lettera-popolo-didio.htm ↩
- vgl.02.12.18, Blog von P. Bernhard Hagenkord https://paterberndhagenkord.blog/klerikalismus-priester-missbrauch-verantwortung ↩
- Rudolf Pacik, Singende Kirche 1/2019, 18 ↩
- Die Augen geöffnet hat mir dabei Peter Neuner: „Abschied von der Ständekirche. Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes“, Herder 2015 ↩
- vgl. Hagenkord, a.a.O., Brief von Papst Franziskus an Kardinal Marc Armand Ouellet, P.S.S. – Volk Gottes versus Klerikalismus: www.kirche-geht.ch/media/die-wahren-protagonisten-der-kirche, abgerufen 19.03.16 ↩