Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück wendet sich angesichts aktueller politischer Diskussionen in Österreich gegen eine Instrumentalisierung des Gottesnamens.
Gott und Parteipolitik – passt das zusammen? Steht nicht der ideologische Missbrauch des Heiligen unter dem Vorbehalt: „Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren!“ Schon 2009 hatte der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache mit einem Kruzifix in der Hand gegen eine Moschee gewettert – und damit im Affekthaushalt der Muslime die traumatische Erinnerung an die Kreuzzüge des Mittelalters neu aufgewühlt und zugleich das zentrale Glaubenssymbol des Christentums pervertiert. Am vergangenen Freitag nun hat der FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer sein neues Plakat vorgestellt, auf dem er parteipolitische Parolen mit der Gelöbnisformel „So wahr mir Gott helfe“ kombiniert. Das öffentliche Bekenntnis des Christen Hofer ist politisch allerdings nicht so unschuldig, wie es daher kommt. Sein Gegenkandidat Alexander Van der Bellen ist, wie es heißt, bekennender Agnostiker und wird die Formel deshalb wohl nicht verwenden – soll er als „Ungläubiger“ hingestellt werden?
Die Geschichte lehrt, dass sich politische Akteure immer wieder zum „Werkzeug Gottes“ stilisiert haben.
Stellen wir die Frage nach der parteipolitischen Instrumentalisierung der Gottesvokabel zunächst zurück und halten fest: Die Berufung auf Gott versteht sich nicht von selbst, sie ist immer kontextabhängig und deutungsbedürftig. Sie kann Ausdruck einer reflektierten Selbstbegrenzung sein und die Gefahr, die eigene Position mit dem Absoluten gleichzuschalten, abwehren. Die kluge Selbstunterscheidung von Gott zeigt hier die Fehlbarkeit und Endlichkeit der eigenen Perspektive an, sie steht für Nachdenklichkeit und Lernbereitschaft und kann gerade daher humanisierende Kraft entfalten.
Ganz anders ist es, wenn das Eigene unter der Hand mit dem Gottesstandpunkt gleichgesetzt wird. Die Berufung auf Gott kann hier die eigenmächtige Beanspruchung des Richtigen und Wahren anzeigen, welche jede Kritik von vornherein als deplatziert und verfehlt abweisen soll. Die Geschichte lehrt, dass sich politische Akteure immer wieder zum „Werkzeug Gottes“ stilisiert und ihr eigenes Handeln als alternativlos hingestellt haben. Die Vereinnahmung des Gottesnamens in diesem Sinn hat selten zu einer Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse beigetragen – im Gegenteil! Sie provoziert daher den entschiedenen Einspruch einer politisch sensibilisierten Theologie.
„ein Schüren islamophober Tendenzen unter Berufung auf ‚die‘ christliche Tradition ist nicht hinzunehmen“
Mit dem Hinweis auf den möglichen Missbrauch des Heiligen ist weiter an die vielleicht triviale Einsicht zu erinnern, dass die Bedeutung des Wortes „Gott“ zunächst vage ist. Damit steht die Frage im Raum, wie die Vokabel inhaltlich näher gefüllt werden soll. Nimmt der Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer die Vokabel Gott in den Mund, um sein politisches Handeln unter den Schutz und Segen des Allerhöchsten zu stellen? Sieht er darin eine Selbstverpflichtung, sich an die biblischen Weisungen zu halten, die gerade auf die Armen, Schutzbedürftigen und Schwachen ein besonderes Augenmerk werfen? Versteht er sie als Auftrag, Freund-Feind-Unterscheidungen hinter sich zu lassen und ein friedliches Zusammenleben der bunter werdenden Gesellschaft zu befördern? Dagegen wäre nichts einzuwenden. Oder aber sollen unentschiedene Wähler aus dem kirchlichen Milieu angelockt werden und das Narrativ des christlichen Abendlands gegen die „Islamisierung der Gesellschaft“ in Stellung gebracht werden?
Jede theologische Überhöhung von Volk und Nation widerspricht dem Universalismus des Christentums.
Eine religionspolitische Verschärfung der Lage im Namen Gottes, ein Schüren islamophober Tendenzen unter Berufung auf „die“ christliche Tradition, das wäre theologisch genauso wenig hinnehmbar wie eine Kontaminierung der Gottesvokabel mit völkischem Ideengut. Jede theologische Überhöhung von Volk und Nation widerspricht dem Universalismus des Christentums, das in Gott den Schöpfer aller Menschen sieht und von Anfang an Nationen und Länder übergreifenden Charakter gehabt hat. Auch steht eine ethnozentrische Politik in Spannung zur Idee der europäischen Einigung, die von katholischen Politikern wie Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi und Robert Schuman nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurde. Diese hatten für die Zeit nach Hitler nicht ein Europa der ethnisch homogenen Blöcke im Sinn, sondern zielten auf eine Verständigung der Völker auf der Grundlage der universalen Menschenrechte.
„Ein Politiker kann der Sache nach näher an biblischen Intuitionen sein als ein anderer, der das Wort Gott für sich und seine Sache reklamiert“
Nicht unwahrscheinlich, dass die FPÖ durch Rückgriff auf die Formel „So wahr mir Gott helfe“ den Unterschied zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten in der letzten Etappe des Wahlkampfes im Sinne einer Zuspitzung forcieren will: Der „fromme“ Christ, der die Eidesformel verwendet und für die Österreicher klare Identitätspolitik betreibt, hier – der Agnostiker, der sie ausspart und eine multikulturelle Gesellschaft befürwortet, dort! Mit dieser gezielten Kontrastierung wird allerdings auch ein Problem offengelegt, dass nicht wenige überzeugte Christen mit dem Kandidaten Alexander Van der Bellen haben. Seine Nähe zu einer liberalen Abtreibungspolitik wird für sie zur Gewissensfrage. Den Verzicht auf die Gottesvokabel bei der Vereidigung sind sie im Rahmen eines säkularen Rechtsstaats gerne bereit hinzunehmen. Er könnte ja auch Ausdruck des Respekts sein, das Heilige politisch nicht vereinnahmen zu wollen. Auch können sie sein europapolitisches Engagement bei aller Einzelkritik an den zentralistischen Auswüchsen Brüssels wertschätzen.
Ein Politiker kann der Sache nach näher an biblischen Intuitionen sein als ein anderer, der das Wort Gott für sich und seine Sache reklamiert.
Aber dass der begrüßenswerte Einsatz für eine nachhaltige ökologieverträgliche und verständigungsbereite Politik bei ihm nicht mit dem Einsatz für die unbedingte Schutzwürdigkeit des Menschen von Anfang an zusammengeht, ist für sie ein echtes Problem. Ihre Frage an Van der Bellen wäre, wie er zu einer „Ökologie des Menschen“ steht, die am Anfang und am Ende des Lebens das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde ohne Abstriche geltend macht. Bräuchten nicht gerade die Schwächsten der Schwachen eine Stimme? Unwahrscheinlich, dass der Kandidat vor der Wahl am 4. Dezember auch nur eine Andeutung in diese Richtung machen wird, zumal die Abtreibungsfrage in Österreich gesetzlich geregelt ist und in der Präsidentschaftswahl jetzt nicht zur Disposition steht. Um die Engführung der Debatte auf diesen Punkt aufzubrechen, wären die gläubigen Bedenkenträger darauf aufmerksam zu machen, dass ein Politiker der Sache nach näher an biblischen Intuitionen sein kann als ein anderer, der das Wort Gott für sich und seine Sache reklamiert. Wie Norbert Hofers Berufung auf Gott sich mit Heinz-Christian Straches Ankündigung bürgerkriegsähnlicher Zustände in Österreich verträgt, ist eine offene Frage.
Jan-Heiner Tück ist Professor für Dogmatik und Vizedekan der Katholisch-Theologischen Fakultät in Wien.
Bild: Detail eines Wahlkampfplakats Nov 2016 (Foto J. Pock)