Zwei Monate nach dem Terror in Paris, ein Jahr nach dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, Terrorangst aller Orten. Und in all dem GOTT: „Gott segne Ungarn“ als neue Einleitung der ungarischen Verfassung, Horst Seehofers „wen Gott liebt, lässt er in Bayern leben“, Angela Merkels „Gott hat jedem Menschen die Würde gegeben, das ist der Kern der CDU“. Und schließlich: „Gott ist groß“ als Schlachtruf der Terroristen. Von Birgit Hoyer.
Gott ist groß. Reden wir über Gott, nicht über den Terror. Ob Politiker, Reporter, Menschen im Interview, jeder ringt um Worte angesichts des Terrors. Grundtenor der notgedrungen hilflosen Äußerungen: Terroristen darf keine Souveränität über und im Ausnahmezustand zugestanden werden. Sie dürfen nicht die Macht über das freie Leben bekommen.
Dann überlassen wir ihnen auch nicht das Wort „Gott“. Sprechen wir über Gott, gemeinsam ohne Grenzen zwischen Religionen, Konfessionen, Nationen. Nehmen wir Gott aus der Hand derer, die den Namen Gottes missbrauchen für platte Propaganda, ihre eigenen Allmachtsansprüche auf die Herrschaft über Menschen, für Unterdrückung und Mord. Gott ist groß, Gott braucht keinen Schutz, keine Handlanger, schon gar nicht mit Sprengstoffgürtel und Kalaschnikow. Welche Hybris, welcher Zynismus in der Situation des Massakers, der Ruf: Gott ist groß. Gotteslästerung nennt es der Papst.
„Mit Worten kann Heil wie Unheil anfangen.“ So begann Heribert Prantl seinen Kommentar zu Weihnachten 2013. Er schlug damit die Brücke zwischen den tödlichen Worten vom Krieg als Reinigung und Erlösung am Vorabend des ersten Weltkriegs 1913 und der Flüchtlingstragödie an der Außengrenze der EU 2013 und hebt die guten, schöpferischen Worte hervor, die Papst Franziskus auf Lampedusa gesprochen hat – seine Warnung vor der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und einer Gewöhnung an das Leiden des Nächsten und seine Frage: „Wer hat über die Menschen geweint, die in den Booten waren?“ Von Gott, dem Fest der Menschwerdung Gottes ließ sich 2013 nicht mehr sprechen ohne die toten Flüchtlinge, ohne den Krieg in Syrien.
Der Papst, Heribert Prantl – Versuche, mit Worten aus der sicheren Burg Europa, der Gleichgültigkeit, dem Wohlstand, der Besinnlichkeit in die Besinnung zu rufen. „Worte haben Kraft, Worte können helfen, Worte können heilen, mit Worten kann eine neue Welt beginnen.“ So die Hoffnung im Weihnachtskommentar, der auf die Schöpfungsgeschichte rekurriert und sie in einem Satz zusammenfasst: „Die Botschaft ist: Der Mensch braucht Ordnung im Chaos; er braucht eine Lebensgrundlage; er braucht Heimat; es muss Transparenz in undurchsichtige Zustände und Recht in die Willkür. Das ist gemeint mit der Erschaffung des Lichts.“
Ordnung im Sinne von Lebensgrundlagen.
Von Ordnung ist in diesen Tagen oft die Rede. Es lohnt sich, genau hinzuhören, nachzufragen, nach Sinn und Absicht der Worte. In den Forderungen nach Grenzkontrollen, Schranken und Zäunen geht es nicht um Ordnungen im Sinne von Lebensgrundlagen, sondern um Ausschluss, um Absicherung. Wir schaffen es, wir haben gar keine andere Wahl, als es zu schaffen. Was eigentlich?
Lebensgrundlagen zu schaffen – für alle Menschen, weil die Grundlage unseres Glaubens, unserer Gesellschaft, der meisten Parteien die Überzeugung ist, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, jedem Menschen ohne Vorbedingung der richtigen Nationalität, Herkunft, Ausbildung, Sprache etc. die gleiche Würde eigen ist, weil Gott so groß ist, dass er keine Einschränkungen, kein Innen und Außen nötig hat, Liebe ist, die unsere menschlichen Vorstellungen von Liebe und Gerechtigkeit, gar den Tod überschreitet.
Gott ist groß, er braucht keine Ordnungen, keine Kontingente der Menschlichkeit, keine Verteidigung seiner Ehre, keine Zuzugsregeln, keine Gewalt. „Es geht also um Bedingungen, die Leben überhaupt möglich machen“, so Heribert Prantl an Weihnachten 2013, „nicht nur am Nullpunkt der Zeit, sondern immer und immer wieder: Anfang ist immer wieder. Schöpfung ist nicht etwas, das einmal war; sie muss tagtäglich neu geschehen, um Leben in einer Welt von Krieg, Not, Gewalt und Ungerechtigkeit möglich zu machen.“
In diese Wirrnis von Anfang der Erde an bis in das Chaos unserer postmodernen Zeiten – so glauben wir – verschwendet sich das Geheimnis Gott – das ganz Nahe, das, was uns unbedingt angeht und zugleich das ganz Andere, sich entziehende Fremde.
Gott als Geheimnis, das gesagt werden will.
Kern dieses Glaubens ist Gott als Geheimnis, das gesagt werden will, gesagt werden muss. So spricht das Neue Testament von Gott – ein Geheimnis, das auf keinen Fall verschwiegen werden darf. „Obwohl es nicht ‚aufgelöst‘ werden kann, will es ergriffen werden. [… Gott] offenbart sich als Geheimnis.“ (Jüngel, Geheimnis, 341) Der Glaube verlangt viel von dem, der glaubt. Er verlangt, sich der Größe Gottes zu stellen, im besten Sinne Gottesfurcht, Ehrfurcht vor der Größe Gottes, der grenzenlosen Liebe Gottes, die nicht einmal die Bedingung stellt, an sie zu glauben, vor Gott als diese Liebe, die sich ohne Grenzen und Bedingungen verschwendet für alle Menschen, die gesamte Schöpfung.
Glaube ist nicht, Gott ist groß zu rufen, und ihn im selben Moment niederzuschießen, weil man Freiheit und Vielfalt nicht erträgt, das christliche Abendland zu beschwören und es mit den Außengrenzen der EU zu identifizieren, die es gegen Feinde, Angreifer zu sicher gilt. Kirche, Politik, die dieses christliche Fundament für sich reklamiert, muss in dieser Ehrfurcht, im Bewusstsein der Größe ihrer Aufgabe um die richtigen Worte und Entscheidungen ringen.
Gott ist groß in den sich ständig verändernden Welten in uns und um uns, die unsere Leben in Fragmente zerreißen und immer wieder Neues zum Vorschein bringen. Gott wird gelästert und missbraucht, wenn (christliche) Religion, der Glaube an Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, instrumentalisiert wird für die Wiederherstellung überkommener Ordnungen, für die Ausgrenzung Fremder, für die Verweigerung von Hilfe.
Die größte Herausforderung für Politik und Kirche, uns alle ist in diesen Tagen nicht die Ordnung im Sinne eines Aussortierens, sondern die Ordnung im Sinne einer Grundlage für Leben, das der Würde jedes Menschen gerecht wird. Im Denken und Sprechen von Gott haben dabei auch die Theologien eine wichtige Aufgabe, Gott aus dem Bild der totalen Herrschaft über den Menschen zu lösen und gleichzeitig aufzudecken, wo Menschen Gott funktionalisieren, um ihre Herrschaft zu vergötzen und Menschen zu versklaven.
Theologie steht in der Verantwortung, dass Gott nicht zur Funktion, zur Rechtfertigung von Herrschaft und Unterdrückung missbraucht wird. „An einem theologisch angemessenen Begriff der Herrschaft Gottes [wäre] die Erkenntnis zu gewinnen, daß Herrschen und Dienen sich keineswegs paradox zueinander verhalten müssen und daß Herrschaft keineswegs notwendig die Knechtschaft anderer impliziert.“ (Jüngel, Geheimnis, 28)
Gott ist groß, das geht uns Glaubende an. Es geht für uns alle darum, Gott die Radikalität seines Gottseins zu lassen, sie anzuerkennen, sie nicht zu verkleinern in unsere menschlichen Kategorien hinein, Gott in seiner verschwenderischen Größe und Unerschöpflichkeit auszuhalten.
Gott ist groß. Sich dieser Größe stellen, heißt Schluss machen mit den Blasphemien unserer Ängstlichkeit und Engstirnigkeit, wenn wir das Geheimnis Gottes vereinfachen, es mickriger werden lassen als die Komplexität unserer Welt.
….ein sich verschwendender, aber nutzloser Gott.
Man „wird dabei die Vermutung nicht unterschlagen können, daß der Herrschaftsanspruch des Wortes ‚Gott‘, wenn er als ein die Freiheit des Denkens beeinträchtigender Anspruch auftritt, das Wesen Gottes theologisch kaum zutreffend begriffen haben dürfte.“ (Jüngel, Geheimnis, 28)
Die Konsequenz aus dieser Größe Gottes ist der Glaube an einen Gott, der den Glauben nicht braucht. Insofern ist Glaube „‘Luxus‘, Gratisbeigabe überfließender Gnade. Er ist nicht notwendig für ein gutes Leben […]. Hierfür ist nur eines notwendig: die menschliche Erfahrung von Zärtlichkeit und Annahme.“ (Fuchs, Glaubenspastoral, 509) Ein sich verschwendender, aber nutzloser Gott? – „nutzlos in dem Sinn, dass er in keinem Erfahrungs-, Interessen-, und Intentionenbezug aufgeht.“ (Fuchs, Glaubenspastoral, 511). Ein Gott ohne Außengrenzen, entsichert?
Flüchtlinge – eine Ahnung der Größe Gottes.
Umgekehrt gefragt: Lassen uns gar erst die Flüchtlinge die Größe Gottes, die Verschwendung Gottes in die Welt ahnen? Brauchen wir die Vervielfältigung von Leben, Eindrücken, Bildern, Abbrüchen und Anfängen, um das Wesen Gottes zu begreifen? Werden wir erst Mensch in diesem Überfließen der Liebe, in der Nutzlosigkeit des Glaubens? Verkündet uns diese Zeit des gleichzeitigen Neben- und Durcheinanders nicht gerade das unerklärbare, undurchschaubare Geheimnis Gott?
„Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide, esst, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung! … Neigt euer Ohr mir zu, und kommt zu mir, hört, dann werdet ihr leben. … Völker, die du nicht kennst, wirst du rufen; Völker, die dich nicht kennen, eilen zu dir, um des Herrn, deines Gottes, des Heiligen Israels willen, weil er dich herrlich gemacht hat.“(Jes 55,1-5)
Literatur:
Ottmar Fuchs, Glaubenspastoral zwischen Innen und Außen. Gnadentheologische Überlegungen zum Weltdienst der Kirche, in: Jan Heiner Tück (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. B. 2012, 493-536
Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 7.Aufl., Tübingen 2001
(Text: Birgit Hoyer; Bild: Lupo / pixelio.de)