»Gott sei Punk« ist der Titel eines Punkrockfestivals, das Samstag in der Großen Freiheit 36 (Hamburg, St. Pauli) stattfand. Gerrit Spallek über ein urbanes Phänomen: wenn zusammenkommt, was nicht zusammenzupassen scheint.
Neongelbe Aufkleber finden sich seit einigen Monaten in der gesamten Stadt Hamburg. »Gott sei Punk« steht in schwarzer Schrift auf neonfarbenen Hintergrund geschrieben. Vielen Aufklebern sieht man an, dass versucht wurde, sie abzuziehen oder abzukratzen. Besonders der Begriff »Gott« scheint in Mitleidenschaft gezogen zu sein. Über die Intention der Kratzwütigen können wir nur spekulieren: Stören sich hier religiöse Menschen an wahrgenommener Blasphemie? Oder stören sich womöglich Punks bzw. Sympathisant*innen daran, dass ihr Lifestyle und Musikstil derart unverhohlen mit Gott in Verbindung gebracht wird?
Ein Punkrockfestival auf St. Pauli
Die Aufkleber mit dem »Gott sei Punk«-Schriftzug sind Hauptwerbeträger eines gleichnamigen Punkrockfestivals (Link zur Festival-Homepage), welches dieses Wochenende auf St. Pauli in der Großen Freiheit 36 stattfand.
Wortwitz: »Gott sei Punk« – cool, witzig provokant und ein bisschen blasphemisch.
Der Veranstalter, Thomas Promny, bezeichnet sich selbst als Unternehmer und Hobby-Punk und verdient seinen Lebensunterhalt in erster Linie mit Veranstaltungen für Unternehmen. Aus einem kleinen Line-Up zur hauseigenen Geburtstagsparty ist die Idee eines öffentlichen und kommerziellen Punkrockfestivals geboren.
Auf die Frage, wie er zu dem Titel des Festivals gekommen sei und warum »Gott sei Punk« als Slogan offensichtlich so gut funktioniere, antwortet er: In erster Linie ging es um den Wortwitz. Der Titel sei cool und witzig. Zugleich sei er provokant, noch dazu ein wenig blasphemisch. Das passe gut, denn es sei typisch Punk. Das Anti-Autoritäre des Punks schließe ein Anti-Kirche und ein Anti-Religion mit ein. Bei aller Vielfalt unter Punks sei die Ablehnung von Kirche und Religion (als Institutionen und Systemstabilisatoren von Macht) geradezu ein Identitätsmarker, der Punkerinnen und Punker vereint.
Auf der Seite des Establishments: Gott und Religion.
Gott und Religion, das gehört aus Perspektive des Punks auf die Seite des unterdrückenden Establishments, gegen dass es sich mit allen Mitteln der Kunst abzugrenzen gilt. Kein Punk würde den Titel des Festivals daher auch im Sinne eines religiösen Bekenntnisses verstehen, wonach Gott tatsächlich darum gebeten werden würde, Punk zu werden.
Ausgenommen von ein paar polemisch antireligiösen Sprüchen auf Shirts war auf dem Festival nichts mitzubekommen von Atheismus und Religionskritik als identitätsstiftendes Element des Punks. Das lag nicht zuletzt auch am Line-Up. Deutsche Punkbands früherer Generation (Wizo, Slime, Terrorgruppe etc.) texteten noch aggressiv in Abgrenzung gegenüber Religiosität. Die Notwendigkeit dafür scheint heute nicht mehr in gleicher Weise gesehen zu werden. Vielmehr traut sich ein Festival gegenwärtig zu, mit dem Gottesbegriff zu werben und zu spielen. Und es funktioniert: Die Festivalshirts verkaufen sich nicht schlecht. Viele Besucherinnen und Besucher tragen den Titel des Festivals in Großaufschrift auf ihrer Brust. Bei einem Christrock-Festival hätte Gott nicht präsenter sein können.
Religion und Gott sind kein Thema – positiv wie negativ.
Entsprechend der Intention kommt der Titel allerdings nicht über einen Marketing-Gag hinaus. Die Preise für Merchandise-Artikel werden von Mose mithilfe der Steintafel der 10 Gebote angezeigt. Darüber hinaus hat die Band Das frivole Burgfräulein mittlerweile zwei gleichnamige Songs für das Festival geschrieben. Auch sie werden aber nicht zum Anlass, Religion und Gott zum Thema zu machen – positiv wie negativ.
Die bunte Gruppe der Besucherinnen und Besucher scheint vielmehr etwas anderes als Religionskritik zu vereinen. Zwischen den Songs werden regelmäßig zwei Parolen skandiert, die gleichzeitig Songwünsche darstellen. Der eine Ruf richtet sich gegen Nazis, die antifaschistische Kampfparole: „Alerta, Alerta Antifacista!“ Die zweite Parole formuliert eine hedonistische Utopie: „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist!“
Die Kontaktfläche zwischen »Gott sei Punk« und »Gott sei Dank« blieb auf das Gatter vor dem Kirchhof begrenzt.
Ein Ort, an dem Gott dagegen für gewöhnlich zum Thema gemacht wird, liegt direkt gegenüber vom Veranstaltungsort. Auf Hamburgs größter Partymeile ist eine katholische Kirchengemeinde beheimatet. Einmal im Monat öffnet sie den Kirchenraum für eine offene Nacht der Kirche (St. Josef by Night). An diesem Abend sah sie sich veranlasst, ihre Tore verschlossen zu halten.
Das Sommerwetter hatte, verbunden mit den hohen Bierpreisen auf dem Festivalgelände, dafür gesorgt, dass sich auf der Straße zwischen St. Josef und Großer Freiheit 36 ein spontanes Straßenfest und Sit-in entwickelt hatte. Dass die Polizei eine alkoholbeeinflusste Streiterei schlichten musste, trug verständlicherweise nicht zum Vertrauen und zur Ermutigung der Gemeindemitglieder bei, die Kirche in dieser Nacht zu öffnen. Die Kontaktfläche zwischen »Gott sei Punk« und »Gott sei Dank« blieb daher auf das Gatter vor dem Kirchhof begrenzt.
Berührungspunkte und Schnittflächen zwischen Punk und Christentum
Bei näherer Betrachtung existieren jedoch mehr Berührungspunkte und Schnittflächen zwischen Punk und Gott, beziehungsweise dem Christentum. Promny selbst bringt mich darauf, dass Kirchen in der DDR ihre Räume für Punkerinnen und Punkern geöffnet hatten, als die SED-Regierung ihre Treffen an anderen Versammlungsorten gewaltsam unterbanden.[1] In neuerer Geschichte hatte das feministische Performance-Kollektiv Pussy Riot für Aufsehen gesorgt, als sie in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale ein Punk-Gebet abhielten. Sie baten Gott zwar nicht darum, er möge Punk werden, jedoch riefen sie die Gottesmutter an, Feministin zu werden und Putin aus dem Weg zu räumen.[2]
Und auch nicht erst mit dem Hamburger Punkrockfestival kommt der Gottesbegriff in Berührung mit Punk. Zum Gründungsmythos des Punkrocks zählt das Jahr 1977, als die Sex Pistols der Queen zu ihrem Thronjubiläum „God Save the Queen“ über die Themse entgegenschrien, das in der Zeile gipfelt: „No future (for you)!“
Bei aller Fremdheitserfahrung: Christentum lässt sich nur als kritische Zeitgenossenschaft denken.
Aber auch wenn wir in die Tiefe gehen, finden wir Berührungspunkte. Wir könnten bspw. die Stile (vgl. Ch. Theobald) von Punk und Christentum vergleichen, die Welt zu bewohnen und sich in ihr zurechtzufinden. Beide zeichnen sich durch eine Fremdheitserfahrung und dadurch aus, dass sich die Verwirklichung der als wahr erkannten Verheißung unter den gegebenen Verhältnissen nicht leben lässt (vgl. hierzu 1 Petr, bes. 2,11ff). Während Punk allerdings in radikaler Verweigerung der Zeitgenossenschaft aufgeht, lässt sich Christentum authentisch nur in kritischer Zeitgenossenschaft denken.
No gods, no masters, no idols!
Die Parole des Punks no gods, no masters, no idols könnte auch als Titel einer befreiungstheologischen Einführungsveranstaltung Verwendung finden. Auch wenn es heißen müsste „no other gods“, es ließen sich dennoch ausreichend Inhalte und Übereinstimmungen finden, nicht nur für gemeinsame Lehrveranstaltungen, sondern auch für Allianzen, das Leben in der gemeinsamen Welt in Richtung der jeweils verheißenen Wirklichkeit hin zu verändern.
Zurück zu »Gott sei Punk«. Das Logo des Festivals ist eine Adaption der „Erschaffung Adams“ von Michelangelo. Gott hat einen Irokesenschnitt und überreicht einem oberkörperfreien Mann, der es sich sichtbar gemütlich gemacht hat, einen halben Liter Dosenbier. Das christliche »Gott sei Dank (vgl. Eucharistie)« scheint dem »Gott sei Punk« hier überraschend nahezukommen. Zur Erinnerung: Gott als Mensch, noch dazu als verschriener Fresser und Säufer (Lk 7,43), teilt mit uns Menschen einen mit Alkohol gefüllten Becher.
„Das Schlimmste wäre, wenn das Bier alle ist.“
Im Anschluss der Beobachtungen auf dem Festival: Wäre Gott für einen Abend tatsächlich ein Punk, was wäre anders? Die Kirchen wären zwar geschlossen. Dafür wäre die Welt dank seiner starken Faust wohl nazifrei, kein Mensch wäre illegal, ansonsten würden „Kriege geführt mit Konfettikanonen“ (Das frivole Burgfräulein) und zumindest für diesen Abend könnte gelten: „das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist.“
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[1] Vgl. hierzu: Tim Mohr, Stirb nicht im Warteraum der Zukunft. Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer, München 2017, 76-95.
[2] Dass die religiöse Semantik nicht nur als Performanceinstrumentarium dient, wird spätestens ersichtlich bei: Nadja Tolokonnikova, Anleitung für eine Revolution, München 2016.
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Gerrit Spallek ist Theologe in Hamburg und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net.
Bilder: https://gottseipunk.de
Vom Autor ebenfalls auf feinschwarz.net erschienen:
Verbrannte Erde in Hamburg: Nachdenklich im Anschluss an G20
Kinderspiel und Gottesreich: “Eine Welt, widde widde wie sie mir gefällt”