„Im Innern barfuß“ – so beschreiben die beiden Franziskanerinnen Mirjam Schambeck und Elisabeth Wöhrle die Suche nach einem alltagstauglichen Beten. Wilhelm Bruners stellt das Buch für feinschwarz vor.
Der echte Begriff einer Bitte schließt notwendig zwei Eigenschaften ein: die Aufmerksamkeit des Geistes und die Aufrichtigkeit des Herzens. … Der Geist muss es verstehen, und das Herz muss es wollen, um was gebetet wird.“ (Sigismund von Storchenau + 1798)
Ja, es ist alltagstauglich! Alltagstauglich ist es auch deshalb, weil das Buch kurz und doch nicht oberflächlich seine Gedanken vorträgt. Entlang franziskanischer Spiritualität beten zu lernen, „barfüßig“ eben, dazu laden die Verfasserinnen, selbst Franziskanerinnen, ein. Inspiriert sind sie von Menschen, die mit ihnen auf Gott-Suche sind. Ein kleines, geistliches Buch, das erste, das ich nach langer Zeit in einem Durchgang gelesen habe. Ein spirituell kluges und durch die zitierte Lyrik auch poetisches Buch, das ich gerne vor sechzig Jahren in die Hand bekommen hätte. Damals wäre es mir sicher eine große Hilfe gewesen, heute ist es eine starke Bestätigung dessen, was ich selbst in geistlicher Begleitung mitzuteilen versuche: Ein Beten, das „immer durchlässiger… für das Eigentliche, die Menschen und Gott“ wird. Wie meist oberflächlich war im Beichtstuhl etwa das Bekenntnis: „Ich habe unandächtig gebetet“.
Als Messdiener und später auch als Student und Priesteramtskandidat gehörte dieser „Bekenntnissatz“ lange (noch im Erwachsenenalter) zum Standardprogramm meiner monatlichen Beichte. Und ich höre ihn immer noch von religiös erwachsenen Menschen – etwa bei geistlichen Tagen und Exerzitien. Wahrscheinlich sind manche froh, vor allem ältere Menschen, die noch eine mehrmalige Beichttradition im Jahr oder im Monat haben (Ordensleute), wenigstens das bekennen zu können, weil ihnen sonst nichts anderes (mehr) einfällt.
Sachlich-poetisch
Angenehm auffallend ist der angemessen-sachliche Ton, mit dem sich die Verfasserinnen auf die Suche nach „alltagstauglichem Beten“ machen. Dadurch aber, dass sie Lyrik mit einbeziehen, wird Ihr Buch nicht trocken oder nur eine nüchterne Abhandlung über das Thema Beten und Gebet (neben so vielen anderen Veröffentlichungen in letzter Zeit), sondern bekommt eine literarische und spirituelle Qualität, die mit Spannung und Freude weiterlesen lässt. Auch der Aufbau des Buches ist stringent, denn er nimmt die Leserinnen und Leser vom Allgemeinen zum Besonderen mit an die Hand, und endet doch schließlich wieder im Alltag – und Gott lächelt.
In der Einleitung erzählen die Verfasserinnen von der Findung des Titels „Im Innern barfuß“. Ein Fußabdruck und eine biblische Erzählung sind der Schlüssel zu diesem Buch. Den Fußabdruck finden sie an einem biblisch-traditionsreichen Ort, in Tabgha/Kafarnaum, das die Speisung der vielen Hungrigen nach einem wegweisenden Wort, einem nährenden und geteilten Brot in Erinnerung behält. Um den Hunger der Vielen, auch der Jugend, nach Möglichkeit den Alltag bis in seine Banalitäten und Gott miteinander in Beziehung zu bringen, diesen Hunger zu stillen, darum geht es in diesem Buch. Unter drei Überschriften ist das Buch gegliedert:
- Beten – ein Panorama von Fragen, Hoffnungen und Ermutigungen zum Leben.
- Biblische Splitter, franziskanisch gespiegelt: Gott sucht den Menschen.
- Alltagstaugliches Beten – Gebet praktisch
Fragend-inspirierend
Die Verfasserinnen stellen sich nicht dar als Allwissende im Gebetsleben. Sie gehen mit den Adressatinnen und Adressaten des Buches den Weg fragend und suchend auf Augenhöhe. Sie kennen, das wird sehr deutlich, die Fragen, die sich vielen in ihrem geistlichen Lebens stellen. Sie wissen aber ebenso um Hoffnungen und ermutigen, selbst entschieden neue Wege zu suchen und zu versuchen.
Das göttlich Ansprechende in der Alltagssprache der Menschen zu hören und zu entdecken, die auf ihre Weise durchaus auch poetisch sein kann, diese Aufgabe stellt sich täglich neu. Beten sei viel mehr als Liturgie zu feiern, betonen die Verfasserinnen. Welcher Trost in der heutigen Situation des verordneten Abstandes, von der niemand sagen kann, wie lange sie uns noch auferlegt ist. Gerade in unserer Zeit, in der Gottesdienste aus leeren Kirchen medial vermittelt werden, wird die Notwendigkeit offenbar, eine eigene, selbständige Gebetskultur zu entwickeln. Dabei gibt es keine „religious correctness“, nichts ist verboten ins Wort zu bringen, die Zärtlichkeit ebenso wenig wie Wut und Zorn. Israel ist seinem Gott gegenüber nie „höflich“ gewesen. Es hat sich unter seinem freien Himmel immer in Gänze ausgesprochen. Während andere Völker ihre Götter je nach der herrschenden Besatzungsmacht ausgetauscht haben und die „Sieger-Götter“ übernahmen, blieb Israel streitend und oft am Rande des Glaubens seinem Gott treu.
Vorbildlich-innovativ
Wenn Israel keine (Tempel-)Liturgie feiern konnte, und das war ihm öfter als einmal im Exil verwehrt, dann hat es dennoch den Kontakt zu seinem Gott nicht verloren, wie viele Psalmen zeigen. Israel hat, da Juden die alten Lieder auswendig rezitieren konnten, immer, selbst auf dem Weg ins Exil und im Exil bis in die Gasöfen, gebetet. Und hat, der Situation entsprechend, neue Texte dazu gedichtet. In die Reihe der Psalmendichter gehört im NT etwa der Evangelist Lukas. Der Mutter Jesu, dem Vater Johannes des Täufers und dem alten Simeon im Tempel legt er neue Psalmenworte in den Mund, die ihrerseits aber einen deutlichen Bezug zur geistlichen Literatur Israels haben. Auch das stiftet dieses Buch an: Selbst neue Texte, unfrisierte Gebete ins Wort und ins Lied zu bringen und dabei Gott und Menschen nichts „durchgehen zu lassen“ – dankend dem Licht nicht, aber auch klagend dem Dunkel nicht.
Fazit
Das in diesem Buch zur Sprache Gebrachte ist eine wichtige Stimme in einer Fülle neuer Literatur zu Gebet und Gottessprache. Ich wünsche dem Buch eine weite Verbreitung, vor allem unter jungen Menschen, die nicht in erster Linie einer „Halleluja-Gemeinde“ angehören. Wer zweifelnd und kritisch nach einer angemessenen Sprache im täglich betenden „Umgang“ mit Gott fragt, findet in diesem Buch ein großes Verständnis und gleichzeitig Anregungen für einen Neubeginn – freilich:
im Innern barfuß .
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Wilhelm Bruners, Dr. theol., Pfarrer des Bistums Aachen, Exerzitienbegleiter und religiöser Lyriker. Viele Jahre seines Lebens verbrachte er in Jerusalem.
Bild: Gerhard Prantl – pixelio.de
Mirjam Schambeck/ Elisabeth Wöhrle, Im Innern barfuß. Auf der Suche nach alltagstauglichem Beten, Franziskanische Akzente Bd. 25, Echter Verlag: Würzburg 2020, 112 Seiten, 9,90 EUR.