Nicht nur zu Pfingsten und nicht nur im Neuen Testament bewirkt Gottes Geist in den Menschen Unerwartetes. Auch im Alten Testament ist die „ruach“ Gottes eine spontan gegebene, verwandelnde Kraft, die allerdings auch negative Folgen haben kann. Über Wirkung und unerwünschte Nebenwirkungen von Gottes Geist informiert Elisabeth Birnbaum.
Eines vorweg: Alttestamentlerinnen und Alttestamentler werden nicht müde zu betonen, dass der Heilige Geist, von dem im Neuen Testament viel die Rede ist und der sich später mit Gott-Vater und Sohn zur heiligen Dreifaltigkeit verbunden hat, nicht mit der alttestamentlichen ruach gleichzusetzen ist.[1]
Die Wirkung, die diese ruach (ein Femininum übrigens!) hat, ist aber ähnlich umwerfend und dynamisch wie die ihres neutestamentlichen Kollegen. Vor ihr kann niemand fliehen (vgl. Ps 139,7), sie überkommt und ruht auf Menschen, ohne dass diese etwas dazu oder dagegen tun können. Eine so dynamische Kraft hat Auswirkungen auf Mensch und Welt. Und die können sehr unterschiedlich sein.
Erwünschte Wirkung
Der Geist Gottes ist im wahrsten Sinne des Wortes die Kreativität Gottes. Sie schwebt schon zu Anbeginn der Welt über der noch ungeformten Erde (Gen 1,2) und durch sie werden die Menschen erschaffen (Ijob 33,5; Ps 104,30). Sie ist es auch, die selbst aus leblosen Knochen wieder lebendige Wesen machen kann (Ez 37). Und auch den Menschen verleiht er ungeahnte Fähigkeiten.
Die häufigste Wirkung der Geistgabe Gottes besteht darin, dass Menschen zu Prophet*innen werden und „prophetisch reden“ können. Das kann auf Dauer sein, oder nur für eine sehr kurze Zeit wie die siebzig Männer, die Mose bei seiner schwierigen Aufgabe der Volksführung helfen sollen (Num 11,25-29). Aber auch Traumdeutung zählt zu den geistgegebenen Fähigkeiten. Josef vermag den Pharao damit so zu beeindrucken, dass er zu dessen rechter Hand am ägyptischen Hof aufsteigt (Gen 41,37–40).
„Ich gebe meinen Geist in euer Inneres und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt.“ (Ez 36,27)
In feindlichen Auseinandersetzungen ersetzt Gottes Geist mangelnde eigene Stärke und Kraft. Sowohl der Richter Otniël als auch König Saul werden erst durch ihn fähig, ihr Volk zu retten und den Feind zu besiegen (Ri 3,10f., 1 Sam 11,6ff.). Und das Volk ist durch ihn endlich imstande, auf Gottes Weisung zu achten (vgl. Ez 36,27).
Nicht zuletzt bietet die göttliche Energie manch andere Annehmlichkeiten. Für Tätigkeiten rund um die Errichtung des Heiligtums sind große Künste notwendig. Wie angenehm, wenn sie von Gottes Geist geschenkt werden, statt mühsam erlernt werden zu müssen. Schon bei der Ausstattung des Wüstenheiligtums im Buch Exodus ist es Gottes Geist, der die langjährige Ausbildung ersetzt und Bezalel die Fähigkeit zu Planung und Ausführung des Projekts in Sekundenschnelle verleiht (Ex 31,1–4). Und beim Wiederaufbau des Tempels nach dem babylonischen Exil tritt der Geist Gottes gleich mehrfach an die Stelle menschlichen Könnens. Er verleiht dem Volk Mut, das fordernde Bauprojekt anzugehen (Hag 2,4f.), er verhilft Serubbabel zur Fähigkeit, das Fundament des neuen Tempels zu legen und sorgt sogar für die erforderlichen finanziellen Mittel zum Tempelaufbau, indem er in Babylon reiche Exilsjuden zur Rückkehr und zu großzügigen Spenden inspiriert (Sach 6,8–11).
„Und der Geist hob mich empor und brachte mich nach Chaldäa zu den Verbannten.“
(Ez 11,24)
Und für Ezechiel schließlich wird göttliche Geistkraft zum „Teleporter“, der ihn in seinen Visionen von Babylon nach Jerusalem und zurück, auf Gräberfelder oder gar in den Tempel transportiert. So vermag der Prophet das von ihm Geschaute vor Ort und hautnah zu erleben (Ez 8,3; 11,1 u.ö.).
Unerwünschte Nebenwirkungen
Eine solche Energie, wie sie der Geist Gottes ist, kann natürlich auch negative Folgen haben. Allen voran sind es wohl die Adressaten der Prophezeiungen, die über die Geistbegabung ihrer Propheten nicht immer glücklich sind. Der Prophet Micha etwa hat den Geist Gottes explizit dafür erhalten, um Israel seine Sünden aufzulisten (Mi 3,8).
Für Saul wiederum wirkt sich Gottes Geist auf ganz andere Weise nachteilig aus. Denn dieser überkommt ihn ausgerechnet dann, als er den gehassten David verfolgen will. Saul gerät in prophetische Verzückung, wirft seine Kleider von sich und muss nackt und hilflos mitansehen, wie David entfliehen kann. (1 Sam 19,23f.)
Manch einem schließlich scheint der Geist Gottes gar nicht gut zu bekommen: In Jiftach setzt die göttliche Energie unbezwingbare Ruhelosigkeit frei. Er beginnt im Land umherzuziehen. Zwar richtet er die neugewonnene Kraft später auf die Auseinandersetzung mit den Ammonitern, doch nützt er sie leider auch für ein folgenschweres Gelübde, das letztlich den Tod seiner Tochter zur Folge hat (Ri 11,29f.).
„Und der Geist des HERRN kam über ihn; er ging nach Aschkelon hinab und erschlug dreißig Mann von ihnen.“ (Ri 14,19).
Auch Simson wird durch Gottes Geist zunächst zum „Herumtreiber“. Er zieht ohne erkennbaren Zweck im Lager Dans umher (Ri 13,25). Vollends problematisch wird ihm die göttliche Kraft jedoch, weil sie ihn immer wieder zu Gewaltexzessen treibt. So tötet er allein deshalb 30 Männer, weil sie die durch eine List die Antwort auf Simsons Rätselfrage in Erfahrung bringen konnten (Ri 14,19).
Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen
Gottes Geist hat also zahlreiche segensreiche Wirkungen. Ohne unerwünschte Nebenwirkungen ist aber nicht einmal die Kraft Gottes zu haben.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
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[1] Nähere Informationen zu dieser äußerst komplexen Materie finden sich in wibilex, Geist (AT) unter https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/geist-at/ch/b8bb01260d6c027fc953d5b2a186f0f4/