Das Gottesmedium Fleisch stand im Zentrum der jüngst beendeten Tagung der Arbeitsgemeinschaft Katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie. Klaus Müller würdigt die Tagung mit einem kritischen Rückblick.
Von 19. bis 22. 9. 2016 trafen sich in Freising gut 80 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Katholische Dogmatik und Fundamentaltheologie zu ihrer im Zweijahresrhythmus stattfindenden Tagung, die diesmal unter dem Titel „Körper – Leib – Inkarnation“ stand. Mittlerweile traditionell ließen sich die Teilnehmenden in einem ersten Block durch Blicke von außen an die Thematik heranführen.
Blicke von außen:
Literaturwissenschaft und Soziologie
Dazu versuchte die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken (München) unter der Überschrift Heiligkeit und Hysterie die Geschichte der Magd Felicité aus Flauberts Erzählung Ein schlichtes Herz als hoffnungslose Liebesgeschichte einer frommen Seele im Kontrast zur Biographie der Hl. Margareta Marie Alacoque – der Erzpatronin des sinnlich hoch aufgeladenen Herz-Jesu-Kults – zu rekonstruieren und Flaubert als den Theologen einer verschärften Kenosis zu zeichnen, der in Felicité als einer verkehrten Maria die verheerende Wahrheit des Christentums (was Liebe und Leib betrifft) vor Augen führt.
Die zweite Fremdprophetie spielte der Soziologe Robert Gugutzer (Frankfurt) ein. Sein Thema war Der Kult um den Körper. Ihn leitete die Option, die gesellschaftskritische Rede von „Körperkult“ und „Schönheitswahn“ von negativen Konnotationen zu befreien und Body-Styling, Body-Tuning sowie Body-Caring als Formen eines „Kults um das Selbst“, der in einer Art Selbstsakralisierung spätmoderner Subjekte die Stelle religiöser Kulte besetze, als respektable Formen des Auto-Designs zu rechtfertigen. Das tat er in einem bisweilen die Grenze zur Naivität überschreitenden Optimismus, der für die kritische Anfrage, ob denn diese Selbsttechniken nicht unschwer zu einem dehumanisierenden Optimierungszwang führen können, einfach taub war.
Blicke von innen:
Christentumsgeschichte und Patrologie
Den zweiten Tagungsblock eröffnete Hubertus Lutterbach (Essen), indem er Christentumsgeschichtliche Langzeitperspektiven (Untertitel) zum Spannungsfeld von Leibfeindlichkeit oder Leibfreundlichkeit in der christlichen Tradition entfaltete. Im Zentrum stand dabei der Begriff der Gotteskindschaft in seiner doppelten Ausprägung als Lebensform und -norm „einfacher“ Gläubiger sowie der besonderen Gotteskindschaft der bereits frühkirchlich aufkommenden Hochleistungsspiritualität der Asketen. Auf faszinierende Weise konnte Lutterbach bis in ästhetische Gestaltungen und Lebenspraxen hinein zeigen, wie der Topos des Kindes als eines weder von Sexualität noch Tod tangierten Wesens zum normativen Ideal für die Ausprägung spiritueller Stile und selbst amtstheologischer Positionierungen werden konnte, die bis in die Gegenwart reichen – und wie selbst die Epoche des Ultramontanismus (entgegen landläufiger Klischees) tiefreichend von der Idee einer buchstäblichen Verkörperung des (ewig jungen) Jesus-Kindes dirigiert war.
Lutterbachs Ausführungen schloss sich der Beitrag des evangelischen Theologen und Patrologen Christoph Markschies an, der unter dem Titel Der Körper Gottes. Zu systematischen Konsequenzen einer patristischen Monographie einige ausgewählte Befunde aus seinem jüngst publizierten Buch Gottes Körper: jüdische, christliche und pagane Gottesvorstellungen in der Antike (München 2016) vortrug und daraus Konsequenzen zog, die er – nach eigener Auskunft – in der Monographie noch unausgesprochen lassen wollte. Diese Konsequenzen haben im Wesentlichen damit zu tun, dass ein ernsthaftes Erwägen einer Körperlichkeit Gottes, das dieses nicht als unaufgeklärte biblische Metapher abtut, nicht folgenlos bleibt für die Theologoumena der Gottebenbildlichkeit und die Trinitätstheologie und zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Transzendenz und Kontingenz nötigt. Bezeichnender Weise kam der Patrologe dabei nicht umhin, sich Unterstützung bei einem der radikalsten (und konservativ-katholischen) Phänomenologen der Gegenwart, J.-L. Marion, zu holen, um über dessen Leitgedanken des Gegebenseins zum Votum für einen „wohlbedachten Anthropomorphismus“ (so Markschies´ Lehrer Eberhard Jüngel) zu kommen. Was dabei aber „wohlbedacht“ genau bedeutet, ließ Markschies unbeantwortet und erachtete er als durch seine (gegenüber einigen evangelischen Kollegen nicht unpolemischen) Selbstlokalisierung als „Offenbarungstheologe“ als hinreichend gedeckt.
Philosophisch-theologische Zugänge: ohne Ermäßigungen in sprachlicher wie denkerischer Bringschuld
Unterbrochen durch eine Exkursion in die Alte Pinakothek und die Pinakothek der Moderne in München mit exzellenten Führungen zu wenigen ausgewählten Werken, die direkt auf das Thema der Tagung bezogen waren, begann der dritte Tagungsblock mit einem Formatwechsel: Vier ganz verschiedene philosophisch-theologische Ansätze traten miteinander ins Gespräch über das Tagungsthema: Gregor Maria Hoff (Salzburg) als Vertreter einer Differenzhermeneutik, Thomas Schärtl-Trendel (Regensburg) repräsentierte die Analytische Philosophie, Magnus Striet (Freiburg) verlieh der Transzendentalphilosophie Stimme und Erwin Dirscherl (Regensburg) übernahm den Part der Phänomenologie. Beeindruckend war der Reichtum der Perspektiven, der da zum Vorschein kam, desgleichen die offenkundige Möglichkeit, sprachlich und konzeptionell weit auseinander liegende Denkformen in dem Bemühen zu erleben, sich den jeweils anderen verständlich zu machen und diese auch umgekehrt einigermaßen angemessen zu verstehen. Nicht überraschen konnte, dass dabei auch beträchtliche Überhänge zutage traten und dass das Gespräch in einigen Passagen nicht konfliktfrei ablief. Was alle vier Repräsentanten verband, war die Überzeugung, dass das, was jeweils an begrifflicher Analyse und spekulativer Modellbildung geleistet wird, notwendig auf die Existenzdimension des nach sich und ggf. nach Gott fragenden Menschen rückbezogen bleiben muss, ohne dabei Ermäßigungen in der sprachlichen wie denkerischen Bringschuld einzukalkulieren.
Genderdebatten
Die nächste Arbeitseinheit, die dem Zwischenprogramm einer Vorstellung einiger Projekte von Nachwuchswissenschaftler*innen folgte, war den Genderdebatten in Kirche und Gesellschaft gewidmet. Regina Ammicht Quinn (Tübingen) eröffnete dieses Themensegment mit einer Skizze zu dem Verhältnis von Genderdiskurse[n] und Religion, in der sie zunächst historische Schlaglichter der Problemstellung und Entwicklung der Gender-Forschung aufrief und anschließend die Infragestellung der normativen Zweigeschlechtlichkeit als Quelle der Feinbildgenese seitens der Anti-Genderisten identifizierte. Ihnen gegenüber erblickte sie in „Gender“ eine Analyse-, Verunsicherungs- und Gerechtigkeitskategorie, von der heilsame „Konversionen“ zur genuinen „Schöpfungs-Unordnung“ ausgehen sollen. Auf Nachfragen zu der doch bemerkenswert extensiven akademischen Institutionalisierung der Gender-Forschung wären präzisere Auskünfte hilfreich gewesen.
Den Ausführungen Ammicht Quinns folgte ein mit Christiane Florin (Deutschlandfunk) und Hans-Joachim Höhn (Köln) besetztes Podium, auf dem den gesellschaftlichen wie kirchlichen Reflexen der Gender-Debatte nachgespürt wurde. Für Florin fungiert die Gender-Debatte doppelt als Stellvertreterdiskurs: Ganz links als späte Vollendung des Klassenkampfes gegen den alle Lebenssphären (und damit auch Sexualität und Leiblichkeit) unterjochenden (Neo)-Kapitalismus, ganz rechts als Ausdrucksform eines fundamentalen anti-intellektuellen Gestus. Höhn machte bei den Anti-Genderisten – zumal auch ihren binnenkirchlichen Wortführer*innen – drei treibende Motive aus: Ein Relativieren des Relativierens, den Anspruch auf eine Kunst des Unterscheidens (zwischen diskriminierenden und identifizierenden Unterschieden) und die These einer Naturabhängigkeit aller Kultur. Während er in ersterem Fall einen naturalistischen Fehlschluss gegeben sieht und gegen das dritte Motiv daran erinnert, dass „Natur“ selbst ein Kulturbegriff ist, stellt sich im zweiten Fall eine diffizile Unterscheidungsaufgabe hinsichtlich von Unterschiedsqualitäten. Bei Florin fiel auch der Neologismus „postfaktisch“ als Label für Einstellungen und Werturteile, die sich um Fakten einfach nicht kümmern, die gerade in rechtslastigen und reaktionär-katholischen Debatten zu beobachten sind (Donald Trump führt diese Strategie seit Monaten im politischen Großformat vor). Allerdings müssen die Pro-Genderisten darauf achten, dass ihnen dieses Argument nicht auf die Füße fällt, weil ihre Gegner ihnen auch ihrerseits das „postfaktisch“ vorwerfen, wo der Eindruck aufkommt, dass die Sache, um die es geht, in einer Endlosschleife von Diskursen und Zuschreibungen von Zuschreibungen etc. zum Verschwinden gebracht wird. Dass es sich beim „Postfaktischen“ nicht nur um eine Journalistenerfindung handelt, wie Florin meinte, sondern das Epiphänomen eines epistemologischen Grundproblems, belegt die internationale Konjunktur der Bewegung des (an sich gar nicht so neuen) Neuen Realismus, der gegen den Trend einer vulgarisierenden Total-Virtualisierung der Lebenswelt darauf beharrt, dass wir uns, obwohl uns Wirkliches nur unter Beschreibung zugänglich ist, nicht nur auf Beschreibungen beziehen.
Christologie
Der letzte Tagungsblock war Christologische[n] Reflexionen mit dem Schwerunkt Leid und Erlösung gewidmet. Saskia Wendel (Köln) sprach über „Leib Christi“ und verkörperte Existenz. Im Mittelpunkt stand die „prekäre Metapher“ dabei nicht hinsichtlich ihres christologisch-kosmologischen, ekklesiologischen oder sakramentalen Gebrauchs, sondern in Absicht, die Körperlichkeit Jesu Christi nicht nur in ihrer sichtbaren Materialität, sondern auch mit ihrer „dunklen Materie“ (U. Eco), also Begehren, Lust und „Feuchtgebieten“ (Ch. Roche) gegen einen mentalistisch verankerten Restdoketismus der Christologie in Stellung zu bringen. Dass das letztendlich nur im Gefälle einer wie immer genauer zu bestimmenden panpsychistischen Rahmentheorie und gleichzeitigen Anthropomorphismusbremse gelingen kann, provozierte mehr aufregende Fragen, als vor Ort beantwortet werden konnten, weil der Rekurs auf die Praxen Jesu und die auch sie involvierenden Körperzuschreibungen dafür nicht ausreichen.
Den Schlusspunkt setzte Helmut Hoping (Freiburg) mit einer transzendentalphänomenologischen relecture von Tertullians Theologoumenon Caro salutis est cardo. Das inkarnierte Subjekt und die Menschwerdung Gottes. Mit primärem Bezug auf die einschlägige Trilogie Michel Henrys wird das pathische Subjekt – Henrys „Ipseität“ im Sinn einer Selbstgegebenheit des Leibes – als Bedingung der Möglichkeit eines Kommens Gottes im Fleisch entfaltet. Henry scheut sich dabei nicht vor der These, im Leben Jesu spüre sich der Vater. Vorbehalte meldete Hoping dort an, wo Henry diesem trinitarischen Verhältnis die Beziehung zwischen Gott und jedem Menschen bis zur faktischen Gleichheit annähert und damit monistischen Interpretationen die Türe zu öffnen scheint.
Blinde Flecken
Resümierend bleibt festzuhalten, dass es dem Beirat der Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von Georg Essen gelungen ist, inhaltlich wie strukturell eine ausgesprochen ambitionierte und anregende Tagung auf die Beine zu stellen. Ein Defizit bleibt zu vermerken: Bis auf kurze Hinweise in der Eröffnungsansprache von Essen und wenige Anspielungen bei Gugutzer fiel das brisante Thema des Transhumanismus mit seinem Leibperfektionierungsprogrammen wie seiner gleichzeitigen Leibabwertung und der beidmalig damit verbundenen scharfen Religionskritik komplett aus. Ein Letztes: An etlichen Wegmarken der Debatten – vor allem bei Vierer-Gespräch – kristallisierte sich ein wenig geklärter Hotspot heraus: die Ontologie. Die Relevanz einer Auskunft über die ontologischen Verpflichtungen, die jegliche theologische Rede eingeht, wird seit langem durch eine unkritisches Bashing der Begriffe Identität, Einheit und Substanz vernebelt. Unbeeindruckt von hausinternen Verächtern aller Metaphysik täte Theologie gut daran, aus Gründen intellektueller Redlichkeit ihre einschlägigen Hausaufgaben bald in Angriff zu nehmen.
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Klaus Müller, Prof. Dr. Dr. habil., lehrt Philosophie an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Münster.
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