Priesterberufungen werden in der römisch-katholischen Kirche immer noch auf Männer eingeschränkt. Barbara Staudigl zeigt ihr eigenes theologisches und biografisches Ringen über diese Einschränkung. Und sie bringt dies mit Tilman Mosers Gottesvergiftung ins Wort.
Auf der Homepage des Priesterseminars des Erzbistums Köln kann man in sieben Fragen einen kurzen Selbsttest machen, ob man zum Priestertum berufen ist. Ich liebe Selbsttests; warum also nicht das freundliche Testangebot des Kölner Priesterseminars nützen?
- Die Beziehung zu Gott ist dir wichtig und du redest viel über Gott?
- Du bist irgendwie nicht zufrieden mit deinem Leben und sehnst dich nach „Mehr“?
- Du möchtest aus deinem Leben gerne etwas Großes machen?
- Du hast Freude am Engagement in der Pfarrgemeinde, in Jugendgruppen, als Messdiener?
- Du kennst Priester, die dich faszinieren und manchmal würdest du gern leben wie sie?
- Die Idee, Priester zu werden, fasziniert dich und macht zugleich etwas Angst?
- Die Idee vom Priestertum kommt immer wieder?[1]
Ich könnte sechs von sieben Fragen mit „Ja“ beantworten – oder hätte sie während meines Studiums so beantworten können. Auf diese Kleinigkeit, dass der Selbsttest nur für Menschen mit einem xy-Chromosomensatz ist, haben sie nicht hingewiesen. Klar, weiß man ja auch, dass der liebe Gott keine Frauen beruft.
Ich wusste das nicht immer, musste es erst lernen.
„Nein, ich werde selbst Pfarrerin“, erwiderte ich. … Die Festgemeinschaft war erheitert, ich war irritiert.
Als ich fünf Jahre alt war, durfte ich mit zur Priesterweihe meines Onkels. Eine Großtante meinte: Und du wirst sicher mal Haushälterin bei deinem Onkel, oder? Nein, ich werde selbst Pfarrerin, erwiderte ich. Was für ein schöner Witz aus Kindermund. Die Festgemeinschaft war erheitert, ich war irritiert.
Mit 22 beschloss ich, als Zweitstudium Theologie zu studieren. Noch immer konnte ich mir vorstellen, Pfarrerin zu werden. Die geistige Auseinandersetzung mit Theologie und Philosophie und die Botschaft des Evangeliums gefielen mir und Seelsorge von der Wiege bis zur Bahre reizte mich ebenfalls. Ich hatte gute Kontakte zu evangelischen Theologen und überlegte zu konvertieren. Vom Verstand her wäre es vielleicht das Richtige gewesen, hatte ich doch genügend Erfahrungen mit katholischem Klerikalismus. Aber ich fühlte mich nicht heimisch in evangelischen Gottesdiensten.
Mit 25 war ich Diplomtheologin und hatte während meines Studiums prägende Begegnungen mit männlichen Priestern und Priesteramtskandidaten hinter mir. Der Dogmatikprofessor meiner Alma Mater antwortete auf die Frage, warum Frauen nicht Priester werden dürfen, öffentlich in der Vorlesung: „Weil Schweine auch nicht fliegen können“. Was für ein Schenkelklopfer. Ich verließ die Vorlesung und ärgerte mich über die fehlende Solidarität der Kommilitonen, fast ausschließlich Priesteramtskandidaten. Zwei entschuldigten sich später bei mir für ihr Verhalten. Als ich mit einem sehr guten Diplomzeugnis abschloss, grinste mich einer der sich berufen fühlenden zukünftigen Priester an und meinte: „Was machst du jetzt mit deinen guten Noten? Willst du Haushälterin bei mir werden?“
Das ideologisch verbrämte Amtsverständnis der katholischen Kirche hat Tür und Tor geöffnet für eine Überheblichkeit, die sich aus der gefühlten Berufung speist.
Natürlich trägt ein System nicht eo ipso Schuld an der Arroganz oder Ignoranz einzelner Mitglieder. Aber es gibt systemische Komponenten und Faktoren, die diese Haltungen befördern. Und das ideologisch verbrämte Amtsverständnis der katholischen Kirche hat Tür und Tor geöffnet für eine Überheblichkeit, die sich aus der gefühlten Berufung speist.
Kirchliche Dokumente zum Amt lassen keinen Zweifel an der göttlichen Berufung von Priestern und an Gott als Handelndem und Berufendem zu. Und die Amtskirche befleißigt sich eines verzweifelten Festhaltens an dieser metaphysischen Dimension und der ontologischen Veränderung des Menschen durch die Priesterweihe – eine erstaunliche Beharrlichkeit angesichts des wissenschaftlichen Hintergrunds von Konstruktivismus und Psychologie jeder Couleur.
Wie soll man sich Gott vorstellen, der angesichts vieler begabter und interessierter Frauen und des enormen Priestermangels konsequent dabei bleibt, nur Männer zu Priestern zu berufen?
Ich habe mich in den letzten 30 Jahren oft gefragt, ob klerikale Amtsträger der katholischen Kirche sich je Gedanken gemacht haben über die Auswirkungen ihrer Berufungsideologie auf das Gottesbild von Frauen. Wie soll man sich Gott vorstellen, der angesichts vieler begabter und interessierter Frauen und des enormen Priestermangels konsequent dabei bleibt, nur Männer zu Priestern zu berufen? Als einen Vater, der nur seinen Söhnen sein Vermächtnis zukommen lässt, nicht aber den Töchtern? Als einen Vater, der seine Töchter mit Talenten und Interessen ausstattet, um ihnen dann zu sagen: nicht für meine Kirche? Was für ein zynisches Bild von Gott täte sich auf.
In den späten 1970er Jahren kam das Buch des Psychoanalytikers Tilman Moser „Gottesvergiftung“ auf den Markt. Es ist eine großartige Religionskritik zwischen Nietzsches „Gott ist tot“ und Feuerbachs Projektionstheorie. Aber es ist kein philosophisches Traktat, sondern ein Buch, das im Dialog und voller Emotionen mit jenem Gott abrechnet, mit dem man den Jungen Tilman klein gehalten und vergiftet hat. In seiner hitzigen Abrechnung kommt Tilman Moser auch auf das Thema der Erwählung, der Berufung zu sprechen:
„Mit der psychischen Grundfigur der Erwählung, des auserwählten Volkes, hast du dir ja schon ganz zu Anfang einen kleinen Teil der Menschheit eingefangen, einen Brückenkopf aus dem Nichts gebildet. Weißt du, wie listig du mit den narzisstischen Bedürfnissen deiner Anhänger umgehst, wie fein dosiert du die Grade der Erwählung und der Gottesnähe verteilen kannst, wie virtuos du die Angebote von Geborgenheit, Führung, Glanz und Einzigartigkeit mischst (…), so dass sich jeder nach seinen ureigensten, geheimsten niemals öffentlich eingestandenen Bedürfnissen bedienen kann?“[2]
Es braucht die Auseinandersetzung mit den eigenen Begabungen und Menschen, die einen mit gesundem Menschenverstand oder professioneller Kompetenz begleiten – und letztlich die eigene Entscheidung.
Ich habe viele Jahre junge Menschen mit großer Freude in der Schule und an der Hochschule auf ihrem Weg zu Berufsentscheidungen begleitet. Ich habe Respekt vor Entscheidungen aus Überzeugung und in Übereinstimmung mit dem eigenen Begabungsprofil – ob man nun Koch oder Erzieherin, Schlosser oder Schreinerin, Ärztin oder Pfarrer wird. Für all das braucht es keine metaphysische Dimension einer gottgewollten Berufung, sondern die Auseinandersetzung mit den eigenen Begabungen und Menschen, die einen mit gesundem Menschenverstand oder professioneller Kompetenz begleiten – und letztlich die eigene Entscheidung. Ich kenne Priester, die ihre eigene Berufsentscheidung genau so sehen. Und ich danke Oliver Wintzek für seinen großartigen Artikel „Berufung“, der am 22. und 23. Juni 2022 in feinschwarz.net erschien und diese Entscheidungslogik auch für Priester bestätigt.
Zwischen dem kleinen Mädchen, das mit fünf Jahren bei der Priesterweihe des Onkels Pfarrerin werden wollte, und heute liegen 50 Jahre. 50 Jahre, in denen ich mich nach besten Kräften gegen die Gottesvergiftung einer Lehre gewehrt habe, dass Gott angeblich nur Männer beruft. Ich weiß nicht, wie viele Frauen in der katholischen Kirche diese Erfahrung gemacht haben, die Tilman Moser so beschreibt: „Nur für mich schienst du nicht zuständig zu sein, ich donnerte an verschlossene Eisentore und kratzte am trockenen Kalk deiner Kirchenwände.“[3]
Ich habe die männliche Berufungsideologie als Gottesvergiftung erfahren und versucht, mich dagegen zu wehren.
Ich schreibe Gott nicht die engen Grenzen eines Männersystems zu. Und dennoch habe ich 55 Jahre in diesem System gelebt und diese Verkündigung gehört. Ich habe die männliche Berufungsideologie als Gottesvergiftung erfahren und versucht, mich dagegen zu wehren. Es hat Kraft gekostet, diesen permanenten Spagat zu vollziehen und sich zu sagen, dass es nur das klerikale System und nicht Gott ist.
Ich halte den Klerikalismus für eine wesentliche Ursache der Kirchenmisere.
Mittlerweile bin ich gründlich kuriert von dem Gedanken, Pfarrerin werden zu wollen. Ich halte den Klerikalismus für eine wesentliche Ursache der Kirchenmisere. Berufungs- resp. Erwählungsideologie, daraus abgeleitete Privilegien und Machtbefugnisse verschiedener Couleur, Machtmissbrauch, auch verschiedener Couleur, fehlende Gewaltenteilung und fehlende Kontrolle – all dies verlangt eine völlige Neukonzeption des Priesteramtes. Das Priesteramt in der derzeitigen Konzeption für Frauen zu öffnen, würde nicht das hierarchische Machtgefüge und ein für Machtmissbrauch allzu anfälliges Konstrukt ändern, sondern nur eine weitere Personengruppe daran beteiligen. Die Frage von verantwortbaren, verantworteten und kontrollierten Machtverhältnissen hingegen endlich und ehrlich anzugehen, würde die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit wohl von selbst beantworten. Hoffe ich zumindest.
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Barbara Staudigl, Prof. Dr., ist Stiftungsdirektorin der Trägerstiftung der Katholischen Stiftungshochschule (KSH), einer Fachakademie und Fachoberschule in München. Sie war viele Jahre als Lehrerin, Pädagogikprofessorin und Schulleiterin tätig.
Bild: privat
Beitragsbild: Gerd Altmann, Pixabay
[1]https://www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/priesterausbildung/die_berufung/meine_berufung_erkennen/
[2]Moser, Tilman: Gottesvergiftung, Frankfurt 1980, 34.
[3]Ebd., 39.