Anlässlich des Weltfrauentages 2016 nimmt Christian Bauer Stellung zu einer aktuellen kulturpolitischen Auseinandersetzung.
Sturm im Tiroler Wasserglas. Ende Jänner wurde an der Inntalautobahn bei Kufstein das Schild „Grüß Göttin“ der Künstlerin Ursula Beiler abmontiert. Seit 2008 hatte es die Vorbeifahrenden dort begrüßt, die Tiroler Alltagssprache irritiert und die Gemüter erhitzt. Es gab viel Zustimmung, aber auch erbitterten Widerstand bis hin zu handfester Sachbeschädigung. Bereits 2010 hatte die Landtagsfraktion der FPÖ einen Antrag auf Entfernung gestellt. Die Tafel sei eine „blasphemische Provokation“, hieß es in anderem Zusammenhang. Seitdem bekannt wurde, dass sie demnächst in Innsbruck an der Talstation der alten Hungerburgbahn eine neue Heimat findet, tobt abermals eine erbitterte Leserbriefschlacht.
Theologische Entdramatisierung
Ein Zitat der Gebirgsschützen im Tiroler Unterland bringt die Kritik auf den Punkt: „Die Tafel ist eine Verfälschung unserer Werte, unserer Identität, und eine Verfälschung unseres christlichen Glaubens.“ Zumindest die letztere ‚Verfälschung’ jedoch lässt sich mit guten theologischen Gründen anzweifeln. Denn dass das Kunstwerk bestimmte traditionelle Werte und Identitäten infrage stellt, ist keine Frage.
…ein Gott der alle allzumenschlichen Vorstellungen sprengt.
Der ‚christliche Glaube’ jedoch legt eine gewisse theologische Entdramatisierung der Diskussion nahe. Er ist nämlich zwar stets mit konkreten kulturellen Kontexten verschmolzen, geht aber niemals zur Gänze in ihnen auf. Vielmehr überschreitet er ihre Grenzen und öffnet sie auf andere kulturelle Kontexte hin, die andere Werte hochhalten und andere Identitäten ausbilden. Denn der Gott des christlichen Glaubens ist ein universaler Gott, der alle menschlichen (und allzumenschlichen) Vorstellungen von ihm sprengt.
Gott ist immer größer
Daher ist die Einschätzung auch verfehlt, mit der Obmann des Tiroler Seniorenbundes Helmut Kritzinger in der Tiroler Tageszeitung vom 20. Februar 2016 zitiert wird: „Gott mit Göttin zu verweiblichen ist eine theologische Verfehlung.“ Das stimmt so nicht. Denn es handelt sich um eine Vermenschlichung Gottes, so wie es grundsätzlich auch ein männlicher Gottesbegriff ist. Gott aber ist immer größer als unsere menschlichen Begriffe von ihm.
Wenn Du es verstanden hast, ist es mit Sicherheit nicht Gott.
Anselm von Canterbury sagt, er sei sogar das, über das hinaus überhaupt nichts Größeres gedacht werden kann („aliquid quo maius nihil cogitari potest“). Deshalb schreibt Thomas von Aquin auch: „Es ist die äußerste Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis Gottes, dass der Mensch weiß, dass er von Gott nichts weiß [sciat se Deum nescire], insofern er erkennt, dass das, was Gott selbst ist, alles überschreitet, was wir von ihm erkennen.“ Oder ganz kurz mit Augustinus gesagt: Si comprehendis non est Deus. Wenn Du es verstanden hast, ist es mit Sicherheit nicht Gott.
Gleich unangemessen
Der Innsbrucker Jahrhunderttheologe Karl Rahner hat daher auch immer wieder, wenn er von Gott sprach, die vorsichtige Formel „das unendliche Geheimnis, das wir Gott nennen“ verwendet. Es gibt das unendliche Geheimnis Gottes – und unsere menschliche Rede davon. Beides ist jedoch niemals dasselbe, diese semiotische Differenz darf nicht übergangen werden. Die Rede von Gott mit ihm selbst zu verwechseln, ist eine gravierende Form der Gotteslästerung, denn sie macht Gott klein, indem sie sein Geheimnis auf das Maß unseres menschlichen Verstandes reduziert.
…menschliche Kategorien, im Bewusstsein ihrer prinzipiellen Unzulänglichkeit.
Daher ist es auch dem Geheimnis Gottes radikal unangemessen, wenn wir in rein menschlichen – und das heißt immer auch: in männlichen oder weiblichen – Kategorien von ihm sprechen. Nun ist er (oder sie) aber ein Geheimnis, von dem wir weder reden noch schweigen können. Wir brauchen daher menschliche Kategorien, zugleich müssen wir uns aber auch ihrer prinzipiellen Unzulänglichkeit bewusst sein. Denn männliche Gottesbegriffe („Gott“) sind ebenso unzulänglich wie weibliche („Göttin“) – und genau darin grundsätzlich gleichberechtigt. In symmetrisch gleicher Unangemessenheit verfehlen beide das Geheimnis Gottes notwendigerweise.
Gott, weiblich
Weibliche Gottesbilder haben eine große Tradition, auch wenn sie in der Christentumsgeschichte meist weniger dominant waren als die männlichen. Die beiden Testamente der Hl. Schrift jedenfalls sind voll von weiblich konnotierten Gottesbildern. Schon am jüdischen Ursprung des christlichen Glaubens gingen weiblichen Gottheiten des vorderen Orients in den biblischen Gottesglauben ein („Yahwe und seine Aschera“). Und auch die vermeintlich ‚urkatholische’ Marienfrömmigkeit muss man nur einmal mit den Augen eines Religionswissenschaftlers betrachten… Mehr Informationen zu alldem finden sich in dem Buch „Gott bin ich und nicht Mann“ (vgl. Hos 11,9), das auf die Bamberger Ausstellung Gott weiblich zurückgeht und 2012 im Grünewaldverlag erschienen ist. Biblische, Historische, Systematische und Praktische Theologinnen und Theologen gehen darin auf eine entsprechende Spurensuche nach den bisweilen verschütteten weiblichen Anteilen des christlichen Gottes.
Tiroler Heiliginnen
Und Tirol? Als professioneller Theologe kann ich nur für entsprechende Aufklärung argumentieren, und als aus Deutschland stammender Arbeitsmigrant möchte ich mich nicht in dortige identitätspolitische Streifragen einmischen. Was aber tun zugereiste Neotiroler (und vielleicht auch Einheimische), wenn es ihnen schwerfällt, sich an bestimmte Kulturdifferenzen zu gewöhnen? Zum Beispiel einen Blick in die neue offizielle Integrationsbroschüre des österreichischen Innenministeriums werfen! Dort heißt es: „Frauen und Männer haben in Österreich die gleichen Rechte.“ Und weiter: „Jeder darf nach seiner Religion leben.“
Grüß Göttin verweist auf die weiblichen Anteile des christlichen Gottes
Also müsste eine von archaischen Naturreligionen inspirierte Tiroler Künstlerin doch auch beides, Frauenrechte und Religionsfreiheit, miteinander kombinieren und das Ergebnis öffentlich ausstellen können? In beiden Bereichen hat ja auch die katholische Kirche noch einen gewissen Nachholbedarf. Grüß Göttin jedenfalls verweist auf die weiblichen Anteile des – ohnehin alle menschlichen Bilder sprengenden – christlichen Gottes, zugleich ironisiert das Kunstwerk diese Aussage mit einem Augenzwinkern. Eine entsprechende gendersensible Gelassenheit hat auch im ‚Heiligen Land Tirol’ durchaus Tradition. Ein schönes Beispiel dafür findet sich in Osttirol, in einer Kapelle in Feld bei Matrei:
Autor: Christian Bauer, Prof. f. Pastoraltheologie in Innsbruck
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