Sonja Angelika Strube warnt seit längerem vor rechtspopulistischen Tendenzen in der Gesellschaft und auch im christlichen Feld. Ihr neuestes Buch „Das Fremde akzeptieren“, das einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit entgegenarbeitet, sollte auf jedem kirchlichen Schreibtisch liegen – so der Rezensent Rainer Bucher.
Betrachtet man die aktuelle politische Weltlage, so ist man versucht, mit Bert Brecht zu konstatieren: „Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich/ Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.“ Oder mit den Worten des ersten Satzes des hier zu besprechenden Sammelbandes: „Populistische Autokraten und rechtspopulistische Parteien erleben derzeit in Europa und im freiheitlichen Westen eine politische Wiedergeburt, die noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte.“ (13) Einmal an der Macht, ermutigen sie „das offene und ungenierte Ausleben von Vorurteilen und Hass in Teilen der Bevölkerung, sodass sich eine Eskalationsspirale der Menschenfeindlichkeit ergeben kann.“ (13)
Das von Sonja Angelika Strube nun herausgebrachte Buch widmet sich schwerpunktmäßig der umfassenderen Frage, wie man „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, ein Konzept des Bielefelder Rechtsextremismusforschers Wilhelm Heitmeyer, entgegenwirken könne und speziell was die christliche Theologie dazu beitragen könne. Dass diese selbst bisweilen in ihrer Geschichte extremismusgefährdet war, wird nicht verschwiegen.
Das Grundproblem: Die Unfähigkeit, die Ambivalenzen und Paradoxien auszuhalten.
Der thematische Bogen ist breit. Sonja Angelika Strube skizziert einleitend „Erreichtes und Desiderate“ (13-29) und definiert dabei treffend das geistliche Grundproblem: „die Unfähig- oder Unwilligkeit, die Ambivalenzen und Paradoxien der uns ‚stets kontingent begegnenden, nie hintergehbaren Schöpfungswelt‘ auszuhalten.“ (20) Gerhard Lindemanns Rückblick auf die „Deutschen Christen“ (30-41) beleuchtet die Anpassungsstrategien der evangelischen – und knapp auch der katholischen – Kirche an den Nationalsozialismus und ortet den tiefsten Grund in der Ablehnung des Menschenrechtsgedankens und in der Nähe zu autoritären Gesellschaftskonzepten. Der ebenso ausführliche wie gewohnt gründliche Beitrag von Eberhard Schockenhoff „Moral menschenfreundlich denken. Von der Norm zur Beziehung“ (45-69) plädiert für eine differenzierte Tugendethik und würdigt Amoris laetitia als Revision der „Engführung einer neuscholastischen Aktmoral“ (68). Eine „Logik der Ausgrenzung und der Verurteilung“ könne nicht länger den Weg der Kirche bestimmen (68).
Höchst bemerkenswert dann Roman A. Siebenrocks Überlegungen „Wie(so) allein in Hochachtung vor allen Menschen das Evangelium bezeugt werden kann“ unter dem Titel „Bekennen und Anerkennen“ (70-84), die in die ebenso richtigen wie emphatischen Schlusssätze münden „Was ist das beste Mittel gegen Menschenverachtung? Das gelebte Zeugnis des unverkürzten Evangeliums!“ (84). Dass dies zumindest für Christinnen und Christen gelten muss, zeigt Siebenrock überzeugend mit Verweis auf den unbedingten und universalen Heilswillen Gottes, verschweigt dabei aber auch nicht die „Schatten der Geschichte“ (71) von Kirche und auch Theologie, die Siebenrock vor allem in einer exklusivistischen Interpretation des Satzes „Extra ecclesiam nulla salus“ und in der „konstantinischen Ära“ ortet, also der jahrhundertelangen Kopplung von Kirche und gesellschaftlicher Macht.
„Widerstand gegen Rechts ist Christenpflicht!“
Während Margit Eckholt kundig den Missionsbegriff problematisiert und heute als „Mission gegen Rassismus und Chauvinismus“ (87-106) rekonstruiert, bietet Anne Krauß in ihrem Beitrag „Inklusion statt Mildtätigkeit“ (107-120) „Impulse einer barrierefreien Theologie“. Andreas Lob-Hüdepohl, der sich aus sozialethischer Sicht schon seit längerem mit dem neu aufkommenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus befasst, entwickelt in seinem Beitrag „Demokratie stark machen gegen Rechtspopulismus – auch ein Beitrag der Kirchen“ einen überaus handhabbaren Begriff des Rechtspopulismus: anti-institutionell, anti-liberal, anti-pluralistisch, anti-repräsentativ, reduktionistisch in der Vorspiegelung einfacher Lösungen und vor allem exklusivistisch, indem Rechtspopulisten „sich selbst als die Auserwählten begreifen und damit alle anderen, die sich ihnen nicht anschließen, als nicht ebenbürtig oder gleichwertig abwerten“ (124). Lob-Hüdepohl fordert von den christlichen Kirchen, ihr populismuskritisches Potential im Einsatz für eine starke Zivilgesellschaft voll auszuspielen: „Widerstand gegen Rechts ist Christenpflicht!“ (134)
Christian Kern skizziert unter dem Titel „Fragiles Menschsein“ (138-152) gegen alle rechten Heroismen eine christliche „Theologie des Scheiterns“, während Christian Bauer in seinem Beitrag „Heimat in einer offenen Welt? Ressourcen für ein spätmodernes Kohärenzgefühl“ (153-168) den von Rechtspopulisten gerne in Anspruch genommenen Heimatbegriff neu bestimmt, und das Christentum mit Jean-Luc Nancy als „offenes Narrativ“ fasst, in dem es gerade auf der Basis einer unabweisbaren Öffnungs- und Selbstüberstiegsbewegung möglich sei, kohärenzstiftende „Orte des Erzählens vom eigenen Leben“ (164) zu schaffen, die nicht ein- und beengen.
Ermutigung zum Widerspruch
Empirisch blickt Constantin Klein auf „Einsichten aus 70 Jahren sozialwissenschaftlicher Forschung“ mit der Frage „Welche Formen von Religiosität verringern Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?“ (169-181) und kommt zum, nun freilich nicht sehr überraschenden, Ergebnis, dass intrinsische, durch offene Fragestellungen und ein eher symbolisches Verständnis geprägte Religiosität, die den religiösen Pluralismus bejaht und sich durch das Fremde positiv herausfordern lässt, eben dies tut. Willibald Sandlers „Streiten im Heiligen Geist. Christusnachfolge zwischen Radikalismus und Naivität“ (185-200) erarbeitet dogmatische Grundlagen einer ebenso entschiedenen wie nicht-ausschließenden Gläubigkeit und ortet sie in der „‚starken Mitte‘ eines recht verstandenen erlösenden Christusereignisses“ (199), einer Mitte, die eine positiv-bezogene Identität ermöglicht, welche keine negativen Ausschlussprozeduren nötig hat.
Die Dresdner Religionspädagogin Monika Scheidler steuert schließlich mit ihrem Text „Unterscheidung der Geister in einer gespaltenen Gesellschaft“ (201-221) eine sehr nützliche Skizze zum geistlich orientierten Umgang mit der rechtspopulistischen Versuchung auf der Basis der ignatianischen Spiritualität bei, woran sich Sonja Angelika Strubes praktisch-theologische Überlegungen „Ermutigung zum Widerspruch“ (222-234) folgerichtig anschließen. Andreas Heeks abschließende Betrachtungen „Familien schützen – Vielfalt gestalten“ (235-251) plädieren in Anschluss an Amoris laetitia für eine realistische Sicht auf heutige Familienformen.
Theologen und Theologinnen haben Relevantes beizutragen zum brennenden Problem der aufkommenden gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
Unaufgeregt, aber entschieden, dabei klar und hilfreich und auch für einen weiteren Kreis verständlich, dokumentiert der vorliegende Band, dass Theologen und Theologinnen Relevantes beizutragen haben zum brennenden Problem der wieder aufkommenden gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wie sie mittlerweile vor allem aus dem rechten politischen Spektrum droht.
Dieses Buch gehört auf den Schreibtisch jedes Seelsorgers, jeder Seelsorgerin, und auch jedes Religionslehrers und jeder Religionslehrerin, weil es kompakt, zuverlässig und wissenschaftlich solide das Notwendige enthält, um dem Gift der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit theologisch fundiert in Theorie und Praxis zu wehren. Dazu braucht es, wie Strube immer wieder festhält, Entschiedenheit und Konfliktfähigkeit, aber auch höchste Aufmerksamkeit. Denn das Gift der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit schleicht sich schon da ein, wo alltägliche Abwertungsmechanismen greifen und immer mehr jenseits aller Würde, Liebe und Vornehmheit schreien: „Wir zuerst“. Das aber nimmt nun tatsächlich nach Kräften zu.
Sonja Angelika Strube (Hrsg.), Das Fremde akzeptieren. Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenwirken. Theologische Ansätze., Freiburg/Br.-Basel-Wien 2017
Weitere Bücher von Sonja Angelika Strube zum Thema
– Rechtsextremen Tendenzen begegnen. Handreichung für Gemeindearbeit und kirchliche Erwachsenenbildung. Herder: Freiburg im Breisgau u.a. 2013;
– (Hrsg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie. Herder: Freiburg im Breisgau u.a. 2015.
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Autor: Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Graz und Mitglied der feinschwarz-Redaktion.
Siehe auch:
Beitragsbild: Buchcover